
Bild: © Stefan Borer
«Ich wäre gern gläubig»
Mit «Seinetwegen» hat Zora del Buono ein Buch über Versöhnung geschrieben
Die Schweizer Buchpreisträgerin glaubt nicht an Gott und das Jenseits, aber an Vergebung und Versöhnung.
Was verbindet Sie mit der Roten Zora?
Zora del Buono: Es war das Buch meiner Kindheit, weil es in Jugoslawien spielt und meine Grossmutter aus Slowenien stammt. Wir waren da oft zu Besuch. Ich habe mich sehr mit der Roten Zora identifiziert, aber ich bin weniger mutig als sie. Wie sie wollte ich den Jungs nicht gefallen, sondern sie als Kumpels haben. Das hat mein Leben angenehm gemacht.
Denken Sie an jemand bestimmtes, wenn Sie schreiben?Manchmal durchaus. In einem meiner Bücher habe ich erzählt, warum eine Freundschaft auseinandergebrochen ist. Das war eine geheime Botschaft für diesen Freund. Das konnte nur er verstehen. Leider hat er es nicht gelesen.
Wie schreiben Sie Ihre Bücher?
Ich bin eine sprunghafte Person. Das ist anstrengend für mein Umfeld. Ich interessiere mich schnell für Neues und vergesse das Alte. Mein jüngstes Buch ist wie ich, ich mäandere. Wie durch ein Wunder hat sich alles ineinandergefügt. Meine Rettung ist, dass ich strukturiert ans Schreiben gehe. Da hilft mir meine Ausbildung zur Architektin.
Klappentext
«Seinetwegen» von Zora del Buono
Zora del Buono war acht Monate alt, als ihr Vater 1963 bei einem Autounfall starb. Der tote Vater war die grosse Leerstelle der Familie. Mutter und Tochter sprachen kaum über ihn. Wenn die Mutter ihn erwähnte, brach die Tochter mit klopfendem Herzen das Gespräch ab. Sie konnte den Schmerz der Mutter nicht ertragen. Jetzt, inzwischen sechzig geworden, fragt sie sich: Was ist aus dem damals erst 28-jährigen E.T. geworden, der den Unfall verursacht hat? Wie hat er die letzten sechzig Jahre gelebt mit dieser Schuld?
«Seinetwegen» ist der Roman einer Recherche: Die Erzählerin macht sich auf die Suche nach E.T., um ihn mit der Geschichte ihrer Familie zu konfrontieren. Ihre Suche führt sie in abgründige Gegenden, in denen sie Antworten findet, die neue Fragen aufwerfen. Was macht es mit ihr, dass sie plötzlich mehr weiss über ihn, den Mann, der ihren Vater totgefahren hat, als über den Vater selbst? Und wie kann man heil werden, wenn eine Leerstelle doch immer bleiben wird?

Wie wahr sind Ihre Geschichten?
Sie sind so wahr wie möglich und so verändert wie nötig. Ich verändere Begebenheiten, um Menschen zu schützen. Aber ich versuche so nah wie möglich an der Wahrheit zu sein. Aber was ist schon die Wahrheit? Die Erinnerung verändert sich laufend. Ich war der Überzeugung, dass meine Mutter nie über den Tod meines Vaters gesprochen hat. Nun habe ich erfahren, dass sie durchaus darüber gesprochen hat, einfach nicht mit mir. In meiner kleinen Wahrheit hatte sie nie über den Tod ihres Mannes gesprochen. Ich schreibe so, wie ich es weiss.
Warum sammeln Sie in Ihrem Buch so viele Fakten?
Fakten geben mir eine Distanz zu den Emotionen. Ausserdem finde ich es bemerkenswert, wie viele Menschen bei Unfällen ums Leben kommen, wie viele schwer verletzt sind, wer die Unfälle verursacht, ihr Geschlecht, ihr Alter. Das grösste Problem hier sind junge Männer. Ich habe aber auch die Geschichte der Kopfstütze erzählen wollen. Es gab sie schon in den 1920er-Jahren aber wir benutzen sie erst seit den 1970er-Jahren. So viele Menschen sind in den 1960er-Jahren an Genickbrüchen wegen der fehlenden Kopfstützen gestorben. Das lese ich aus vielen Zuschriften von Menschen, die auf mein Buch mit ihrer Geschichte reagieren.
Wie gehen Sie mit den Reaktionen auf Ihre Bücher um?
Ich muss aushalten, wenn das Feuilleton schweigt oder bösartig wird. Auch mit dem Lob muss ich umgehen. Bei meinem jüngsten Buch war ich etwas überrumpelt von der grossen Aufmerksamkeit. Ich habe mir überlegt, was den Erfolg gebracht hat. Ich glaube, es ist über das Thema hinaus meine Offenheit. Ich habe ganz viele Zuschriften erhalten von Menschen, die mir ihre Geschichte erzählen, weil ich meine ohne Schonung erzählt habe. Diese Erfahrung ist neu für mich.
Wie ist das für Sie?
Es berührt mich tief, wenn mir jemand seine Unfallopfer-Geschichte erzählt. Es ist grauenhaft, was den Menschen widerfährt. Und viele von ihnen haben jahrelang darüber geschwiegen. Ich beantworte alle Zuschriften. Mit einigen Leuten habe ich mich auch getroffen. Aber ich kann mich nicht mit allen anfreunden. So viele Menschen sind betroffen von Schicksalsschlägen.
Sie machen also Seelsorge?
Vielleicht ein bisschen? Und gleichzeitig muss ich auch die neuen Aspekte der Geschichte meines Vaters verarbeiten. Im Zuge meiner Recherche sind Erinnerungen von anderen Menschen aufgetaucht, die meine inneren Bilder verändern, die vor allem auf Fotografien beruhen.
Glauben Sie, dass es nach dem Tod ein Wiedersehen gibt?
Leider nein.
Trotz ihrem Erlebnis beim Mammutbaum?
Das war eine einmalige Geschichte. Da habe ich im Sequoia Nationalpark in Kalifornien recherchiert. Nach einem Gewitter war ich ganz alleine zwischen den riesigen Bäumen. Da habe ich urplötzlich die Stimme meines Vaters gespürt. Wäre ich gläubig, hätte ich da eine Kapelle bauen lassen. Wenn ich mich daran erinnere, habe ich ein wohliges Gefühl beim Gedanken: Es gibt die Möglichkeit, dass es mehr gibt als diese Welt. Es wäre schön. Ich wäre gern gläubig. Der süditalienische Katholizismus ist mir sehr nahe.
Dann ist mit dem Tod alles aus?
Ich glaube, dass wir zerfallen und zu einem Teil von etwas anderem werden. Darum möchte ich in einer Urne bestattet werden, die sich auflöst, damit ich etwa zu einem Teil eines Baumes werden kann. Die Sehnsucht nach Friedwäldern verstehe ich gut. Mein Architektinnenherz schlägt aber für Friedhöfe. Ich liebe Friedhöfe. Was es dort an Biodiversität zu sehen gibt! In Berlin gab es jüngst einen Aufruf, sich auf Friedhöfen bestatten zu lassen. Sonst werden sie aufgelöst und zu Filet-Grundstücken für Immobilienspekulanten.
Würden Sie im Jenseits Ihre Hunde wiedersehen?
Wenn ich an ein Jenseits glauben würde, dann selbstverständlich. Ich habe vor langer Zeit einen weissen Kakadu für viel Geld aus einem kleinen Käfig gerettet und ihn dem Zoo geschenkt. Ein Medium, das ich zufällig getroffen habe, sagte zu mir: There is a bird, it looks like a chicken, but it is no chicken. Das fand ich nett. Wäre reizend, wenn mich der kleine Kakadu vielleicht doch im Jenseits erwartet.
Was bedeuten Ihnen die Tiere?
Ich nehme sie als Personen wahr. Die Tiere sind noch unschuldiger als wir Menschen. Nichts deprimiert mich mehr, als ausgebeutete, misshandelte und eingesperrte Tiere. Dass Nietzsche einen Zusammenbruch hatte, als er sah, wie ein Pferd geschlagen wurde, wundert mich nicht. Tiere sind fühlende Wesen und haben damit das Recht auf ein gutes Leben.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie eine Menschenfreundin seien, aber keine Menschheitsfreundin. Wie meinen Sie das?
Es deprimiert mich zu sehen, wozu Menschen in der Lage sind. Wenn ich die Welt von Weitem betrachte, denke ich, dass es ihr besser gehen würde ohne die Menschen. Warum nehmen wir uns das Recht heraus, nur für uns Menschen zu denken? Käme es hart auf hart, würde ich den Planeten und nicht die Menschheit retten wollen. Niemand könnte seine Schönheit erkennen, aber es könnte sie auch niemand zerstören.
Sind Sie pessimistisch?
Angesichts der globalen Situation ist es schwierig Optimistin zu sein. Gleichzeitig bin ich für Versöhnung. Das ist ein Grund, warum mein Buch gut angekommen ist. Es tut mir wahnsinnig leid, dass meine Mutter und ich nicht mit dem Unfallverursacher sprechen konnten. Für ihn wäre es gut gewesen. Und vielleicht auch für uns. Mein Buch ist versöhnlich, ich bin es auch.
Worauf hoffen Sie?
Ich hoffe auf das Gemeinwesen. Eigentlich bräuchte der Staat eine PR-Agentur, die den Menschen klar macht, dass es uns hier gut geht, weil der Staat funktioniert, und der wird mit Steuergeldern bezahlt. Der Gemeinsinn muss gefördert werden, die Überzeugung, dass ich etwas mittrage, auch wenn es mir nicht direkt zugutekommt. Da könnte die Kirche eine Rolle spielen.