«Ich habe mich gefühlt wie eine Köni­gin, die das Königs­kind auf die Welt bringt»

  • Sofie Spi­na* ist ver­gan­ge­nes Jahr zum ersten Mal Mut­ter geworden.
  • Sie erzählt, wie durch die Geburt ihrer Toch­ter für die gan­ze Fami­lie ein neu­es Leben ange­fan­gen hat.
  • Wun­der­schön und manch­mal auch unheim­lich sei es, die Ver­ant­wor­tung für ein Kind zu tragen.

«Ich habe schnell gemerkt, dass ich schwan­ger bin. Und das, obwohl der Schwan­ger­schafts­test vier­mal ein nega­ti­ves Resul­tat gezeigt hat. Vor mei­ner Schwan­ger­schaft war ich nicht sen­si­bel für die Zei­chen mei­nes Kör­pers. Dies hat sich mit der Schwan­ger­schaft jedoch schlag­ar­tig geändert.

Am Anfang hat­te ich gros­se Angst, unser Kind zu ver­lie­ren. Etwa in der sieb­ten Woche war es am schlimm­sten. Da habe ich zum Kind in mei­nem Bauch gesagt: «Gib mir ein Zei­chen, dass du noch da bist.» Von der einen Sekun­de auf die ande­re habe ich schreck­lich Bauch­weh bekom­men. Das ging so schnell weg, wie es gekom­men war. Ich konn­te mit unse­rem Kind kom­mu­ni­zie­ren. Das hat mich beruhigt.

Vor­freu­de

Wäh­rend mei­ner Schwan­ger­schaft habe ich eine enor­me Lie­be von mei­nen Mit­men­schen gespürt. Nicht nur mei­ne Fami­lie, son­dern auch Bekann­te, sogar Frem­de waren hilfs­be­reit und freund­lich zu mir. Die Frau, die unse­re Büros rei­nigt, hat mir Börek gebacken. Auch unse­re Eltern konn­ten die Ankunft unse­res Babys kaum erwar­ten. In gros­ser Vor­freu­de haben die wer­den­den Gross­el­tern uns immer wie­der mit Neu­hei­ten fürs Baby beschenkt. Mei­ne Geschwi­ster haben sich mehr denn je um mich gesorgt. Sogar die Freun­de unse­rer Eltern schick­ten uns Kar­ten und Geschen­ke. Ich habe mich gefühlt wie eine Köni­gin, die das Königs­kind auf die Welt bringt.

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Da unse­re Toch­ter nur eine Nabel­schnur-Arte­rie hat­te, durf­te sie nicht nach dem Geburts­ter­min auf die Welt kom­men. Ich wünsch­te mir aber eine natür­li­che Geburt und hat­te Angst vor der medi­ka­men­tö­sen Ein­lei­tung. Dar­um habe ich mei­ne Toch­ter beschwo­ren, spä­te­stens am errech­ne­ten Ter­min auf die Welt zu kom­men. An die­sem Tag haben die Wehen ein­ge­setzt. Mei­ne Toch­ter hat­te mei­ne Nach­richt verstanden.

Erlö­sen­der Schrei

Nach Stun­den in den Wehen habe ich gewusst, dass etwas nicht stim­men kann. Ich war so erschöpft, dass es für mich unvor­stell­bar war, die­se Schmer­zen wei­te­re zwölf Stun­den aus­zu­hal­ten, wie das die Heb­am­me vor­aus­ge­sagt hat­te. Beim Mes­sen der Herz­tö­ne mei­ner Toch­ter hat sich dann her­aus­ge­stellt, dass ihre Herz­fre­quenz wäh­rend der Wehen stark sank. Plötz­lich war die Atmo­sphä­re sehr ange­spannt. Die Ärz­tin wur­de geholt, nie­mand sag­te mehr, dass alles gut kommt. Die Ärz­tin ver­an­lass­te einen Not­kai­ser­schnitt. Das erste Schrei­en unse­rer Toch­ter war wun­der­bar und eine Erlö­sung für uns Eltern. Unse­re Toch­ter war voll­kom­men und ist es bis heu­te. Wie es uns alle vor­aus­ge­sagt hat­ten, waren jeg­li­che Schmer­zen ein­fach weg nach der Geburt. Ich erin­ne­re mich, wie stolz ich durch die Kran­ken­haus­gän­ge lief, wie glück­lich ich war. Am lieb­sten hät­te ich allen gesagt: «Das ist MEINE Tochter.»

Bedin­gungs­lo­se Liebe

Erst als sie auf der Welt war, wur­de mir wirk­lich bewusst, was es bedeu­tet, ein Kind bedin­gungs­los zu lie­ben. Alle haben mich vor dem Schlaf­man­gel gewarnt, aber nie­mand hat mir gesagt, dass ich mei­ne Selbst­be­stim­mung ver­lie­re. Jetzt weiss ich, was es heisst, für einen ande­ren Men­schen ver­ant­wort­lich und damit fremd­be­stimmt zu sein. Die­se Ver­ant­wor­tung tra­gen zu dür­fen, ist wun­der­schön und gleich­zei­tig ist mir die Abhän­gig­keit mei­ner Toch­ter manch­mal unheimlich.

Wäh­rend mei­nes Mut­ter­schafts­ur­laubs sind wir nach Wet­tin­gen gezo­gen. Manch­mal habe ich kei­ne ein­zi­ge Kiste aus­packen kön­nen, weil ich mich die gan­ze Zeit um mei­ne drei Mona­te alte Toch­ter geküm­mert habe. Manch­mal habe ich mir gewünscht, sie wür­de ein biss­chen mehr schla­fen, und mich sofort dafür geschämt. Was bin ich für eine Mut­ter, wenn ich mir wün­sche, dass mein Kind schläft, damit ich es ein­fa­cher habe?

Schlech­tes Gewissen

Mit mei­nem Mann und mei­nen Freun­den habe ich viel über mein schlech­tes Gewis­sen gespro­chen. Das hat mir gehol­fen. Irgend­wann habe ich akzep­tiert, dass ich manch­mal eine Kiste aus­packen kann und manch­mal nicht. Von da an fiel es mir leich­ter, die Zeit mit unse­rer Toch­ter voll zu geniessen.

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Am lieb­sten möch­te ich alles fest­hal­ten: Wie sie auf uns noch in den ersten Tagen im Kran­ken­haus mit einem Lächeln reagiert hat. Wie sie sich über ihr erstes Bäd­li gefreut hat und gar nicht mehr raus­woll­te. Wie sie tage­lang ihre erste Dre­hung übte und nie auf­ge­ge­ben hat. Wie wir vor dem Schla­fen alle Fami­li­en­mit­glie­der auf­zäh­len und ihr dabei die Augen zufal­len. Ich habe sie wohl in jedem ihrer Klei­dungs­stücke foto­gra­fiert, weil ihr alles gut steht und sie so süss dar­in aus­sieht. Tau­sen­de Fotos habe ich von unse­rer Toch­ter gemacht. Die Ein­ma­lig­keit die­ser Zeit ist mir heu­te sehr bewusst.

Ein Dorf für ein Kind

Am Anfang in Wet­tin­gen war ich manch­mal trau­rig. Ich woll­te eigent­lich nicht hier­her­zie­hen. Aber die Fami­lie mei­nes Man­nes wohnt ganz in der Nähe. Heu­te bin ich froh, dass wir die Gross­el­tern in der Nähe haben. Jetzt weiss ich, was das Sprich­wort bedeu­tet: Um ein Kind zu erzie­hen, braucht es ein gan­zes Dorf. Ich habe mei­ne Trau­rig­keit und alle schlech­ten Gefüh­le immer dem Umzug zuge­schrie­ben. Heu­te den­ke ich, dass die Trau­rig­keit auch mit mei­nen Hor­mo­nen in Zusam­men­hang stand.

Am Ende mei­nes Mut­ter­schafts­ur­laubs konn­te ich mir nur schwer vor­stel­len, wie­der arbei­ten zu gehen, obwohl ich mei­ne Arbeit gern mache. Aber bei der Arbeit habe ich rasch gemerkt, wie gut sie mir tut. Es hat mir Mühe berei­tet, unse­re Toch­ter mit sie­ben Mona­ten in die Kita zu brin­gen Zum Glück geht sie sehr ger­ne. Den­noch habe ich mir gewünscht, wir hät­ten drei, vier Mona­te mehr Mut­ter­schafts­ur­laub. Heu­te schät­ze ich es, dass mei­ne Toch­ter Abwechs­lung hat, weil sie von mei­nem Mann und mir, von ihren Gross­el­tern und in der Kita betreut wird.

Fami­lie sein

Mein Mann unter­stützt mich sehr. Wobei es mir selt­sam vor­kommt, von Unter­stüt­zung zu spre­chen. Schliess­lich ist unse­re Toch­ter unser gemein­sa­mes Kind, wir küm­mern uns bei­de um sie. Zwei, drei Aben­de ver­su­chen wir zusam­men als Fami­lie zu ver­brin­gen. An zwei Aben­den bin ich weg, an den ande­ren mein Mann. Für mich war das Gefühl, etwas zu ver­pas­sen, sehr schwie­rig zu ertra­gen. Sei es in der Fami­lie oder mit mei­nen Freun­din­nen und Freun­den. Frü­her ging ich bis tief in die Nacht in Clubs, heu­te las­se ich das sein. Wie soll­te ich sonst den fol­gen­den Tag durchstehen?

Seit der Geburt mei­ner Toch­ter habe ich Lust, mich wei­ter­zu­bil­den. Ich möch­te ihr spä­ter ein­mal erzäh­len kön­nen, was ich alles gelernt habe. Ich möch­te ihr ein Vor­bild sein.

Eine Fünf gera­de sein lassen

Ich bin gern Mut­ter, es ist das Schön­ste auf der Welt, es macht mir Spass, gibt mir viel und macht mich voll­kom­men. Ich den­ke durch mei­ne Toch­ter viel über mich nach. Vor­her habe ich ein­fach gelebt. Durch sie erin­ne­re ich mich auch oft an mei­ne eige­ne Kind­heit. Ich bin an einem Punkt in mei­nem Leben, an dem ich zum ersten Mal alles rich­tig machen will. Denn jetzt besteht die Mög­lich­keit, dass ich es wirk­lich ver­bocke als Mut­ter. In den ersten Jah­ren merkst du nicht, wenn du alles rich­tig machst, aber du merkst es nach­her, wenn du es falsch gemacht hast. Aber immer mehr rea­li­sie­re ich auch, dass ich immer wie­der eine Fünf gera­de sein las­sen muss.»

*Sofie Spi­na ist Rezept­re­dak­to­rin bei Bet­ty Bos­si und lebt mir ihrem Mann und ihrer Toch­ter in Wettingen.

Eva Meienberg
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