I care…

I care…

  • Schon bei den alten Griechen ging die «Care-Arbeit» vergessen.
  • Noch heute ist die lebenswichtige Sorge-Arbeit beina­he unsicht­bar und darum – wenn über­haupt – schlecht bezahlt.
  • Die meiste Care-Arbeit wird von Frauen gemacht. Sie sei der heim­liche Motor der Wirtschaft, sagt Philosophin Car­o­line Krüger.

Was ist Care?

Car­o­line Krüger*: Care ist die Zuwen­dung, ohne die kein Men­sch die ersten Jahre seines Lebens über­lebt. Care ist grundle­gend für jeden Men­schen während seines ganzen Lebens.

Warum ver­wen­den Sie den englis­chen Begriff Care?
Der englis­che Begriff «Care» ist ver­bre­it­et und meist pos­i­tiv beset­zt. Die deutschen Begriffe Sorge oder Für­sorge wer­den manch­mal mit Sozial­hil­fe oder Zwangs­mass­nah­men in Verbindung gebracht und damit neg­a­tiv bew­ertet. Care umfasst weit­ere Aspek­te wie Acht­samkeit, Pflege, Umsicht. Care ist ausser­dem auch ein Verb. «I care» bedeutet: Ich küm­mere mich, etwas ist mir nicht egal. In der englis­chen Sprache ist Care auch nahe an Cure, was Heilung bedeutet. Wir kön­nen nicht alles heilen, aber wir kön­nen uns den­noch küm­mern, für jeman­den sor­gen. Der Begriff Care wird inter­na­tion­al ver­wen­det. Es gibt viele ver­schiedene Care-Ini­tia­tiv­en.

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Was hat Care mit Wirtschaft zu tun?
Ohne Care gibt es keine Men­schen. Ohne Men­schen braucht es keine Wirtschaft. Das ist ein­er unser­er Leit­sprüche bei «Wirtschaft ist Care» – weil es stimmt. Wirtschaft wird auch als Ökonomie beze­ich­net. Das Wort kommt aus dem Griechis­chen und ist aus den Begrif­f­en oikos – Haushalt und nomos –Gesetz oder Lehre zusam­menge­set­zt. Bei der Ökonomie sprechen wir also von der Lehre des Haushal­tens.

Und wie sieht diese Lehre aus?
Die Ökonomie lehrt, beziehungsweise sollte lehren, wie alle Men­schen in Ein­klang mit ihrer Umge­bung gut zusam­men­leben kön­nen, damit alle Bedürfnisse, die der Men­schen und ihrer Mitwelt, berück­sichtigt wer­den kön­nen. Aber die freien Män­ner im antiken Griechen­land kon­nten nur deshalb über die Ökonomie philoso­phieren, weil in der Zwis­chen­zeit unfreie Frauen, Sklavin­nen und Sklaven deren Haushalt bestell­ten, also die Care-Arbeit erledigten. Das war so selb­stver­ständlich für die freien Män­ner, dass die Care-Arbeit in der Lehre des Haushal­tens vergessen ging. Und diese Arbeit­steilung war so selb­stver­ständlich, dass sie zur Natur des Mannes erk­lärt wurde. Und zur Natur der unfreien Frau wurde es, dass sie sich mit den Sklavin­nen und Sklaven um Haushalt und Kinder küm­mern sollte. Spuren dieser Auf­fas­sung bee­in­flussen noch heute unser Ver­ständ­nis von Wirtschaft und Care.

Die Care Arbeit ist also die Voraus­set­zung für die Ökonomie?
Die Care-Arbeit ist der Mit­telpunkt der Wirtschaft, denn ohne die soge­nan­nte repro­duk­tive Arbeit – das Gebären, die Hausar­beit – ist keine pro­duk­tive Arbeit möglich. Wir soll­ten das Ganze der Wirtschaft in den Blick nehmen. Das Men­schen­bild unser­er tra­di­tionellen Wirtschaft ist falsch. Darin ist der Men­sch pro­to­typ­isch ein erwach­sen­er Mann, gesund und autonom. Das stimmt nicht. Wir sind auch Frauen, schwanger, beein­trächtigt, alt, krank und unmündig und vor allem sind wir alle zuerst Babys und total abhängig. Das Men­schen­bild, von dem wir aus­ge­hen, sollte sich daher eher am Baby ori­en­tieren und unsere Bedürftigkeit nicht ver­leug­nen.

«Wirtschaft ist Care» in leichter Sprache

Wenn Men­schen ein Ziel haben, kön­nen sie einen Vere­in grün­den.

Wir sind ein Vere­in.

Der Vere­in heisst «Wirtschaft ist Für­sorge».

Wir ver­suchen, mit dem Vere­in die Wirtschaft zu ändern. In der Wirtschaft soll es nicht nur um das Geld gehen. Wir wollen, dass die Wirtschaft hil­ft, damit es den Men­schen bess­er geht.

Unser Vere­in ist in der Schweiz und in Deutsch­land. Wir arbeit­en zusam­men mit Öster­re­ich. Es gibt auf der ganzen Welt Vere­ine, die ähn­lich sind wie unser Vere­in «Wirtschaft ist Für­sorge». Alle arbeit­en zusam­men. Quelle

Welche Arbeit­en bein­hal­tet Care?
Zuerst ein­mal ver­ste­hen wir unter Care Arbeit­en, die wir alle machen: kochen, putzen, trösten, zuhören, Windeln wech­seln, abstauben… Seit der Pan­demie ist das Bewusst­sein von Care-Arbeit als Sek­tor weit ver­bre­it­et. In diesen Sek­tor gehören zum Beispiel medi­zinis­che Berufe, in denen sich die Men­schen um andere küm­mern. Auch päd­a­gogis­che oder sozialar­bei­t­er­ische Berufe gehören zu diesem Sek­tor. Diese Care-Arbeit ist bezahlte Arbeit. Es gibt also bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit.

Wo gibt es son­st noch Care-Arbeit?
Care kann auch als Kri­teri­um für alle Arbeit ver­standen wer­den. Brück­en­bauen beispiel­sweise wäre dann Care-Arbeit, wenn die Men­schen zweier Dör­fer über einen reis­senden Bach ver­bun­den wer­den kön­nten und die Kinder so einen unge­fährlichen Schul­weg hät­ten. Eine Brücke, bei deren Bau ein Naturschutzge­bi­et zer­stört würde, wäre hinge­gen in Bezug auf das Kri­teri­um keine Care-Arbeit. Für wen ist die Arbeit gut? Wie wird die Arbeit gemacht? Wer entschei­det? Diese Fra­gen müssten zu Gun­sten der Betrof­fe­nen und ihres Leben­sraums beant­wortet wer­den kön­nen.

Da kom­men mir die prekären Arbeits­be­din­gun­gen in der Pflege in den Sinn.
Arbeit­en im Care-Sek­tor genü­gen para­dox­er­weise oft dem Kri­teri­um Care nicht. Die Arbeits­be­din­gun­gen der Pfle­gen­den sind ungenü­gend und die Arbeit ist ver­gle­ich­sweise schlecht bezahlt. Wir soll­ten in allen Arbeit­en nach dem Care-Aspekt suchen.

Literatur zum Thema

Ina Prae­to­rius, Uta Meier-Gräwe: Um-Care. Wie Sorgear­beit die Wirtschaft rev­o­lu­tion­iert. Pat­mos Ver­lag, 2023.

Uta Meier-Gräwe, Ina Prae­to­rius, Feline Teck­len­burg (Hrsg.): Wirtschaft neu aus­richt­en. Care-Ini­tia­tiv­en in Deutsch­land, Öster­re­ich und der Schweiz. Ver­lag Bar­bara Budrich, 2023.

Car­o­line Krüger, Care as a Cri­te­ri­on for Every­thing We Do (97 ‑111) in: Vanes­sa Cam­pos Cli­ment et al, Con­nect­ing Sus­tain­abil­i­ty Orga­ni­za­tion­al Mod­els with SDGs. Uni­ver­si­tat de Valèn­cia 2023

Car­o­line Krüger: Care – ein Kri­teri­um nicht nur in der Krise

Hat Care mit Liebe zu tun?
«Das ist keine Arbeit, ich küm­mere mich aus Liebe», wird oft argu­men­tiert. Das ist für mich kein Wider­spruch. Care ist Arbeit und wir kön­nen sie aus und mit Liebe machen. Vielle­icht müssen wir sie mit Liebe machen, wenn wir sie gut machen wollen.

Was hat Care mit dem Chris­ten­tum zu tun?
Im Chris­ten­tum wird Gott Men­sch und ist darum auch zuerst ein Baby. Wir kön­nen uns über­legen, was uns diese Abhängigkeit des Gottes bedeuten soll und welche Rolle sie für die Gesellschaft spielt. Ausser­dem ist die Sorge um die Seele – die Seel­sorge – ein wichtiger Teil der religiösen Prax­is.

Warum leis­ten so viele Men­schen unbezahlte Care-Arbeit?
Der Anthro­pologe David Grae­ber hat soge­nan­nte Bull­shit-Jobs beschrieben: Arbeit­en, die von den­jeni­gen, die sie ver­richt­en als sinn­los und teil­weise schädlich bew­ertet wur­den. Men­schen möcht­en in der Regel Arbeit­en machen, die sin­nvoll sind. Care-Arbeit ist per Def­i­n­i­tion sin­nvoll, weil unverzicht­bar.

*Car­o­line Krüger ist freie Philosophin. Sie engagiert sich im Vor­stand des Vere­ins «Wirtschaft ist Care» und auf dem Labyrinth­platz Zürich und ist Mit­glied des Zürcher Insti­tuts für philosophis­che Prax­is (ZIPPRA).

https://youtu.be/NfvCsimDrU8?si=lcj8JfwK3eZ_rP8l

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Eva Meienberg
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