Hil­de­gard Aepli lässt sich in Zel­le einschliessen

  • Die Hei­li­ge Wibora­da leb­te zehn Jah­re ein­ge­schlos­sen in einer Zel­le. Und war doch eine bedeu­ten­de Rat­ge­be­rin. Wie sich das anfühlt, wol­len zehn Per­so­nen her­aus­fin­den. Sie las­sen sich für eine Woche ein­schlies­sen. Allen vor­an: Hil­de­gard Aepli.
  • Die Zel­le wird an die Kir­che St. Man­gen ange­baut – wie damals bei Wibora­da. Die Akti­on dau­ert vom 24. April bis zum 3. Juli.

Die Hei­li­ge Wibora­da leb­te im 10. Jahr­hun­dert. Sie ver­brach­te ihre letz­ten zehn Lebens­jah­re als soge­nann­te Inklu­sin – als Ein­ge­mau­er­te – in einer Zel­le an der Kir­che St. Man­gen in St. Gal­len. Dort wur­de sie von auf­su­chen­den Men­schen um Rat gefragt – auch von hohen poli­ti­schen und geist­li­chen Wür­den­trä­gern ihrer Zeit.

Katho­lisch Initi­an­tin, öku­me­ni­sches Projekt

An die reli­giö­se Frau will das Pro­jekt Wibora­da 2021 erin­nern. Und zwar mit einem Nach­stel­len der dama­li­gen Situa­ti­on. Sie­ben Män­ner und drei Frau­en bege­ben sich in St. Gal­len auf die Suche nach der Hei­li­gen Wibora­da. Sie las­sen sich für eine Woche in eine Zel­le ein­sper­ren – um wie sie nach Gott zu suchen. In der Zel­le an der Kir­che St. Man­gen wer­den die heu­ti­gen Inklu­sin­nen und Inklu­sen hau­sen. Nicht für zehn Jah­re – aber immer­hin für je eine Woche.

Die erste von ihnen ist Hil­de­gard Aepli. Die katho­li­sche Theo­lo­gin ist Initi­an­tin des Pro­jekts, das nun von einer öku­me­ni­schen Grup­pe getra­gen wird. Am Sams­tag, 24. April, wird sie um 16 Uhr in die Zel­le ein­ge­schlos­sen. Dies nach einer Fei­er in der Kir­che Man­gen und einer Pro­zes­si­on zur Zel­le. Am Sams­tag drauf wird sie fei­er­lich in die Frei­heit ent­las­sen – mit einem Auf­schliess-Ritu­al. Dann wird die näch­ste Per­son in die Zel­le eingeschlossen.

Was­ser, Brot und eine war­me Mahlzeit

Die zehn Wibora­da-Suchen­den tref­fen sich seit letz­tem Juni regel­mäs­sig, um über ihre aus­ser­ge­wöhn­li­che Woche zu spre­chen. Aktu­ell ver­su­che jeder und jede, einen eng getak­te­ten Tages­plan auf­zu­stel­len, um die Zeit in der Ein­sam­keit sinn­voll zu fül­len, sagt Hil­de­gard Aepli. Auch sie selbst berei­tet sich im Rah­men der Grup­pe dar­auf vor. «Für mich sind die Tage in der Zel­le Exer­zi­ti­en einer beson­de­ren Art», sagt Aepli.

Die Ein­ge­schlos­se­nen sind aber nicht ganz allein. Jeden Mor­gen bringt ihnen Hil­de­gard Aepli einen Kani­ster Was­ser und ein Brot. Mit­tags um halb Zwölf wird eine war­me Mahl­zeit gelie­fert – von einer Per­son aus dem Freiwilligen-Pool.

Gele­gent­lich Kon­takt mit Aussenstehenden

Am Mit­tag und am Abend öff­net der oder die Ein­ge­schlos­se­ne das Fen­ster zur Welt – für je eine Stun­de. Dann haben Aus­sen­ste­hen­de Gele­gen­heit, mit Fra­gen vor­bei­zu­kom­men. «Die Inklu­sin oder der Inklu­se muss kei­ne Rat­schlä­ge ertei­len und auch sonst nichts sagen, was sie oder er nicht will», sagt Hil­de­gard Aepli. Wich­tig sei in die­ser Rol­le, zuhö­rend zu sein.

Und dann ist da noch das Fen­ster zur Kir­che. Die­ses kön­nen die Ein­ge­schlos­se­nen eben­falls öff­nen. Etwa um an einem Got­tes­dienst teil­zu­neh­men oder ein Kon­zert mit­zu­er­le­ben. «Wie Wibora­da haben sie zwei Fen­ster: eines zur Welt hin­aus und eines in die Kir­che», sagt Aepli.

Schlüs­sel für den Notfall

Was aber, wenn jemand die­ses Ein­ge­schlos­sen­sein nicht erträgt? «Ich wer­de alle beglei­ten», sagt Hil­de­gard Aepli. Wenn sie mor­gens Brot und Was­ser bringt, spricht sie auch mit der ein­ge­schlos­se­nen Per­son und fragt, wie es ihr geht. Und falls es gar nicht geht: Es gibt einen Not­schlüs­sel in der Zel­le. «Die Inklu­sin oder der Inklu­se kann die Zel­le jeder­zeit ver­las­sen», sagt Aepli. Die­se Vor­keh­rung soll hel­fen, psy­chi­sche Not­fäl­le zu verhindern.

Das Pro­jekt steht. Am 19. März ist der Mau­er­durch­bruch in der Kir­che geplant. Die Woche dar­auf wird die pro­vi­so­ri­sche Zel­le errich­tet. Auch die Coro­na-Pan­de­mie kann dem nichts mehr anha­ben. Davon ist Hil­de­gard Aepli über­zeugt. «Der Zel­len­auf­ent­halt ist ein eigent­li­ches Qua­ran­tä­ne-Pro­jekt», sagt sie. Nur ein­zel­ne Per­so­nen trä­ten in Kon­takt mit dem oder der Ein­ge­schlos­se­nen – «und das natür­lich mit Mas­ke». Und die Wibora­da-Ritua­le in der Kir­che geschä­hen unter den gel­ten­den Einschränkungen.

Andreas C. Müller
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