Hier brennt’s wie am Schnürchen

Hier brennt’s wie am Schnürchen

Christ­bäu­me ste­hen in fast allen Aar­gau­er Kir­chen. Doch nicht über­all ent­flam­men die Ker­zen so spek­ta­ku­lär wie in der Pfar­rei Schöftland.Wie Tar­zan an der Lia­ne schwingt sich eine Flam­me von Docht zu Docht. Flink ver­schwin­det sie hin­ter den Tannä­sten, um Sekun­den spä­ter an ande­rer Stel­le her­vor zu schies­sen. Schein­bar unbe­re­chen­bar tanzt das Feu­er­züng­lein um den Baum, stürzt jäh ab, schwingt sich dann zu neu­en Höhen auf. Etwa eine Minu­te dau­ert das Spek­ta­kel, dann ver­glimmt die Flam­me. Auf ihrem wil­den Ritt über die Äste hat sie die Ker­zen ent­zün­det, die jetzt fried­lich am Christ­baum bren­nen. Da soll noch einer sagen, eine Alters­heim-Weih­nacht sei zum Gäh­nen! Im katho­li­schen Pfar­rei­zen­trum in Schöft­land haben sich um die zwei­hun­dert Senio­rin­nen und Senio­ren mit Ange­hö­ri­gen und Betreu­ern ein­ge­fun­den. Die tra­di­tio­nel­le Weih­nachts­fei­er des regio­na­len Alters­zen­trums ist eine Fei­er für alle Sin­ne. Die Musik von Quer­flö­te und Kla­vier dringt ins Herz, die Wor­te des refor­mier­ten Pfar­rers Dani­el Hin­ter­mann regen zum Nach­den­ken an, der Apé­ro und das damit ver­bun­de­ne Zusam­men­sein stär­ken gleich zwei­fach. Heim­li­cher Star des Nach­mit­tags ist aber der Christ­baum. Genau­er: die Zünd­schnur, die sorg­fäl­tig um sei­ne Äste gespannt ist. Ein­mal in Brand gesteckt, ent­zün­det sie die Ker­zen und lässt die Her­zen höher­schla­gen.Kniff­li­ge Vor­ar­beit Insze­niert wird das weih­nächt­li­che Feu­er­werk von Sakri­stan Hei­ko Lenz. Den Feu­er­lö­scher hat er in Griff­nä­he. Gebraucht hat er ihn noch nie, denn gefähr­lich sei das Anzün­den der Ker­zen mit der Zünd­schnur nicht. Doch braucht es etwas Vor­ar­beit: Hei­ko Lenz muss die Doch­te vom Wachs befrei­en und die ein­zel­nen Docht­fä­den aus­brei­ten. Blitz­schnell muss der Docht Feu­er fan­gen, wenn die Flam­me vor­bei­zischt. «Aber lie­ber ein paar Ker­zen ohne Feu­er, als der gan­ze Baum in Flam­men», scherzt der Sakri­stan. Die Zünd­schnur kommt tra­di­tio­nell auch im Kin­der­got­tes­dienst an Hei­lig­abend zum Ein­satz – zur Freu­de von Kin­dern und Eltern. Hei­ko Lenz hat die Zünd­schnur-Metho­de von sei­nem Vor­gän­ger über­nom­men. Laut Pfar­rei­lei­ter Beat Nie­der­ber­ger steckt aber Reli­gi­ons­päd­ago­ge Mar­kus Cor­ra­di­ni hin­ter der Idee. Des­sen Vater war Sakri­stan und pfleg­te die Christ­baum­ker­zen auf die­se spe­zi­el­le Art zu ent­zün­den. Ganz ein­zig­ar­tig im Aar­gau ist die Schöft­län­der Tra­di­ti­on aber doch nicht: auch in der Mit­ter­nachts­mes­se in Stein im Frick­tal wan­dert die Flam­me an einer Zünd­schnur quer durch die Kir­che.Lücken­haf­te Bele­ge In jeder Aar­gau­er Kir­che steht an Hei­lig­abend ein Christ­baum. Auch Kind­heits­er­in­ne­run­gen an Weih­nach­ten sind bei vie­len Men­schen eng an den Christ­baum in der Stu­be geknüpft. Doch woher der Brauch stammt, ist nicht ein­fach zu rekon­stru­ie­ren. Hat der Hei­li­ge Boni­fa­ti­us ihn im 8. Jahr­hun­dert den heid­ni­schen Ger­ma­nen schmack­haft gemacht? Oder stand der erste Christ­baum im 15. Jahr­hun­dert im Strass­bur­ger Mün­ster? Um die Geschich­te des Christ­baums ran­ken sich vie­le Legen­den. «Je wei­ter man in die Ver­gan­gen­heit zurück­geht, desto lücken­haf­ter wird zwangs­läu­fig die Daten­la­ge», schreibt Moni­ka Rös­si­ger in der Wochen­zei­tung «Die Zeit». Die Bio­lo­gin und Wis­sen­schafts­jour­na­li­stin zitiert in ihrem Arti­kel aus dem Buch «das Weih­nachts­fest» von Volks­kund­le­rin Inge­borg Weber-Kel­ler­mann: «Die frü­he­sten Bele­ge für einen geschmück­ten Tan­nen­baum im Inne­ren des Hau­ses stam­men aus der Lebens­welt des städ­ti­schen Hand­werks.» Die Zünf­te haben dem­nach im 16. Jahr­hun­dert begon­nen, klei­ne Bäu­me mit Äpfeln, Nüs­sen und der­glei­chen zu schmücken. Einer der genann­ten Hin­wei­se stammt aus Basel, wo 1597 die Schnei­der­ge­sel­len mit einem grü­nen Baum vol­ler Äpfel und Käse umher­zo­gen. Von den Zünf­ten sei der Christ­baum-Brauch all­mäh­lich in die Fami­li­en über­ge­gan­gen, erklärt der «Zeit»-Artikel. Und wie die Flam­me an der Zünd­schnur hat sich der Christ­baum-Brauch im Lauf der Jahr­hun­der­te von Deutsch­land aus über die Welt ver­brei­tet.Aus Deutsch­land stammt auch der Christ­baum, der die­ses Jahr den Peters­platz in Rom schmückt. Die 25 Meter hohe und 3,5 Ton­nen schwe­re Fich­te ist ein Geschenk der baye­ri­schen Gemein­de Hirschau in der Ober­pfalz. Die Gemein­de Hirschau hat­te sich vor zehn Jah­ren dar­um bewor­ben, den tra­di­tio­nel­len Weih­nachts­baum auf dem Peters­platz zu stel­len. «Ich habe den Baum in unse­rem Wald aus­ge­sucht, weil er schön gewach­sen ist und zwei Spit­zen hat», sag­te Trans­port­lei­ter Bern­hard Wis­gickl mit Blick auf die Prä­senz eines amtie­ren­den und eines eme­ri­tier­ten Pap­stes im Vati­kan. Wegen des trocke­nen Som­mers in Deutsch­land habe er die Fich­te mit ins­ge­samt 25’000 Liter Was­ser gegos­sen. Arbei­ter der tech­ni­schen Dien­ste des Vati­kan stell­ten den Baum mit Hil­fe eines mobi­len Krans neben dem Obe­lis­ken in der Mit­te des Peters­plat­zes auf. Für den Trans­port durch Deutsch­land, Öster­reich und Ita­li­en war der Tief­la­der ledig­lich mit einer Durch­schnitts­ge­schwin­dig­keit von 60 Stun­den­ki­lo­me­tern unter­wegs, wie Bern­hard Wis­gickl errech­net hat. 
Marie-Christine Andres Schürch
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