Halt auf Verlangen

Halt auf Verlangen

Lukas 14,31–32Wenn ein König gegen einen ande­ren in den Krieg zieht, setzt er sich dann nicht zuerst hin und über­legt, ob er sich mit sei­nen zehn­tau­send Mann dem ent­ge­gen­stel­len kann, der mit zwan­zig­tau­send gegen ihn anrückt? Kann er es nicht, dann schickt er eine Gesandt­schaft, solan­ge der ande­re noch weit weg ist, und bit­tet um Frieden.Ein­heits­über­set­zung 2016 

Halt auf Verlangen

In der Bahn, die von Solo­thurn quer durch den Jura tuckert, leuch­tet kurz vor Mou­tier der Hin­weis auf: «Halt auf Ver­lan­gen – Arrêt sur deman­de». Wer zum Wagen­fen­ster hin­aus­schaut, wird eine klei­ne Hal­te­stel­le ent­decken mit dem Namen­schild «Grand­val». Vier Minu­ten spä­ter tref­fen wir in Mou­tier ein. End­sta­ti­on, oder umstei­gen.Hin­ter dem unschein­ba­ren Orts­na­men ver­birgt sich die gros­se Geschich­te des Klo­sters Mou­tier-Grand­val (latei­nisch: «Monaste­ri­um Gran­dis­val­lis»), gegrün­det im 7. Jahr­hun­dert, in den Wir­ren des Mero­win­ger­rei­ches. Aus einem ein­fa­chen Grund: In Lux­euil, wo der iro-schot­ti­sche Wan­der­mönch Kolum­ban fünf­zig Jah­re zuvor ein Klo­ster errich­tet hat­te, gab es mitt­ler­wei­le zu vie­le Mön­che, um die 600. Eini­ge von ihnen wur­den aus­ge­schickt, um in der fel­si­gen Wild­nis am Ober­lauf der Birs ein Klo­ster zu errich­ten, mit Ger­man als Abt und Ran­do­ald als Pri­or. Bei­de star­ben am 21. Febru­ar 675 eines ruch­lo­sen Todes, weil sie sich gegen Schi­ka­ne und Unge­rech­tig­keit gewehrt und sich fürs geplag­te Volk, das schutz­los der Will­kür des rück­sichts­lo­sen Des­po­ten Eticho aus­ge­setzt war, ein­ge­setzt hat­ten. Im 12. Jahr­hun­dert wur­de das Klo­ster zu einem Chor­her­ren­stift umge­wan­delt, das im 16. Jahr­hun­dert wegen der Refor­ma­ti­on nach Dels­berg umzog. Zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts ver­schwand es defi­ni­tiv von der Bild­flä­che. Im Mit­tel­al­ter pfleg­ten das Stift Mün­ster-Gran­fel­den, so hiess es auf Deutsch, und das Klo­ster Bein­wil – das Mut­ter­haus von Maria­stein – gut­nach­bar­schaft­li­che Bezie­hun­gen. Ger­man und Ran­do­ald und ihre Reli­qui­en wer­den bei uns bis heu­te ver­ehrt.Wert­vol­ler ist das Glau­bens­zeug­nis von Ger­man und Ran­do­ald, die Erin­ne­rung an ihren beherz­ten Ein­satz gegen Gewalt­tä­tig­keit und Will­kür, ihr tap­fe­res Ein­ste­hen für Gerech­tig­keit gegen­über Ent­rech­te­ten, Unter­drück­ten, Ver­folg­ten.Wert­voll sind auch zwei Pracht­stücke aus dem Früh­mit­tel­al­ter, die eng mit ihren Namen ver­bun­den sind, zwei Kost­bar­kei­ten, die das hoch­ste­hen­de kul­tu­rel­le und reli­giö­se Leben des Klo­sters Mou­tier-Grand­val doku­men­tie­ren. Da ist der präch­ti­ge Abt­stab des hei­li­gen Ger­man, welt­weit der älte­ste sei­ner Art, auf­be­wahrt im Histo­ri­schen Muse­um in Dels­berg. Da ist fer­ner die ums Jahr 840 im Mar­tins­klo­ster in Tours ent­stan­de­ne, wun­der­schön illu­mi­nier­te «Bibel von Mou­tier-Grand­val». Sie gelang­te über aben­teu­er­li­che Umwe­ge 1836 ins Bri­tish Muse­um in Lon­don (ein­seh­bar im Inter­net).Im Jura wird der­weil mun­ter wei­ter­ge­strit­ten. Ende März sind die Stimm­be­rech­tig­ten von Mou­tier ein­mal mehr an die Urne geru­fen, um über ihre Kan­tons­zu­ge­hö­rig­keit zu ent­schei­den.Bleibt das mar­tia­li­sche Gleich­nis, in wel­chem Jesus von den Kriegs­plä­nen eines Königs spricht. Was will er uns damit sagen? – Viel­leicht nur so viel: Ob auf der Bahn­fahrt durch den Jura, ob auf dem Weg durchs Leben, ein «Halt auf Ver­lan­gen» emp­fiehlt sich alle­mal; anhal­ten und aus­stei­gen, sich hin­set­zen und über­le­gen: Ger­man oder Eticho? Auf­rü­sten oder um Frie­den bit­ten? Gren­zen ver­schie­ben oder ein Klo­ster grün­den? Kul­tur­gü­ter schaf­fen oder umstei­gen? End­sta­ti­on oder für die Ewig­keit wer­ben?Halt auf Ver­lan­gen: sich hin­set­zen und über­le­gen – das wär doch was!Peter von Sury, Abt des Bene­dik­ti­ner­klo­sters Mariastein 
Redaktion Lichtblick
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