Hagel, Blitz und Bodenfrost

Zwar lässt sich sei­ne Wir­kung eben­so wenig bewei­sen wie der Ein­fluss der Eis­hei­li­gen auf die Frost­näch­te. Doch der Wet­ter­se­gen ist noch immer ver­brei­tet und beliebt. Den einen gibt er Ruhe und Zuver­sicht, ande­ren kann er die Her­kunft unse­rer Nah­rung neu bewusst machen.Mit­ten in der Nacht vom 27. auf den 28. April 2016 stieg der Wet­tin­ger Paul Stei­mer aus dem Bett, ging zum Fen­ster und schau­te hin­aus auf den Vor­platz. Als er ent­deck­te, dass eine dün­ne Eis­schicht die Schei­ben sei­nes Autos über­zo­gen hat­te, war an ent­spann­te Nacht­ru­he nicht mehr zu den­ken. Mit den Gedan­ken war der Wein­bau­er in sei­nem Reb­berg. Auch ande­re Win­zer lagen in die­ser Frost­nacht Ende April wach. In den Wein­ber­gen der Bünd­ner Herr­schaft herrsch­te gar reger Betrieb. Dort brach­ten die Win­zer Frost­ker­zen zwi­schen den Reb­stöcken an und ver­such­ten, die jun­gen Trie­be vor dem Erfrie­ren zu bewah­ren. Paul Stei­mers Frau Doris erzählt, dass Frost­ker­zen in ihrem Betrieb noch nie zum Ein­satz gekom­men sei­en, seit sie dabei ist — das sind schon mehr als 30 Jah­re. Die­ses Jahr hät­te die ange­kün­dig­te Käl­te sie aber schon unru­hig gemacht, gibt sie zu: «In den Tagen vor der kri­ti­schen Nacht haben wir die Wet­ter­vor­her­sa­gen häu­fi­ger als sonst ange­schaut. Zum Glück ist es aber in unse­rer Gegend eher sel­ten der Fall, dass es Ende April so kalt wird wie heu­er.» Laut Meteo Schweiz sind Frost­näch­te Ende April nicht unty­pisch. Der Rekord­wert in die­sem Zeit­raum wur­de in Aar­au am 22. April 1997 mit minus 3,3 Grad gemes­sen.

Die Eis­hei­li­gen…

Frost­näch­te im Früh­ling sind also regel­mäs­sig zu beob­ach­ten. Der jahr­hun­der­te­al­ten land­wirt­schaft­li­chen Erfah­rung mit Früh­jahrs­frö­sten ent­sprang die Über­lie­fe­rung der Eis­hei­li­gen. Wahr­schein­lich aus dem Mit­tel­al­ter stammt die Fest­le­gung des Zeit­raums für die Näch­te mit Minus­tem­pe­ra­tu­ren: Die Eis­hei­li­gen fal­len in Mit­tel­eu­ro­pa auf die Tage vom 11. bis zum 14. Mai. Dies sind die Namens­ta­ge der Bischö­fe und Mär­ty­rer Mame­r­tus, Pan­kra­ti­us, Ser­va­ti­us und Boni­fa­ti­us. Am Ende die­ser Rei­he liegt der Namens­tag der hei­li­gen Sophia von Rom, die im Jahr 304 das Mar­ty­ri­um erlitt. Die «kal­te Sophie» bil­det den Abschluss die­ser angeb­li­chen Kalt­pha­se Mit­te Mai. Da sich die alten Bau­ern­re­geln auf den Julia­ni­schen Kalen­der bezie­hen und sich seit der Gre­go­ria­ni­schen Kalen­der­re­form im Jahr 1582 die Daten ver­scho­ben haben, sol­len die angeb­li­chen Käl­te­ein­brü­che heu­te um mehr als eine Woche spä­ter statt­fin­den. Die angeb­li­che Kalt­pha­se beginnt also am 19. und endet am 23. Mai. Die Namens­ta­ge der Hei­li­gen sind aber auf ihrem alten Platz im Kalen­der ver­blie­ben.

…wir­ken in der Schweiz nicht 

Der Wit­te­rungs­re­gel­fall, der an die­sen bestimm­ten Mai­ta­gen auf­tre­ten soll, lies­se sich mit den Mess­rei­hen von Meteo­Schweiz nicht bestä­ti­gen, hält die Insti­tu­ti­on fest. Zwar sei­en über den gan­zen Mai immer wie­der Frost­näch­te zu beob­ach­ten, jedoch tre­te der Frost in den genann­ten fünf Daten nicht häu­fi­ger auf als im rest­li­chen Monat. Meteo Schweiz schreibt dazu: «Die Tage der Eis­hei­li­gen vom 19. Mai bis zum 23. Mai zei­gen kei­ne spe­zi­el­le Häu­fung. Zwar ist vom 22. bis 24. Mai eine leicht höhe­re Häu­fig­keit fest­zu­stel­len, doch das­sel­be gilt für den 14. bis 16. Mai und kann des­halb nicht als spe­zi­ell beur­teilt wer­den. Auch an Mess­sta­tio­nen mit kür­ze­ren Mess­rei­hen ist kei­ne Häu­fung von Boden­frost um die Eis­hei­li­gen zu beob­ach­ten. Es lässt sich also fest­hal­ten, dass die Eis­hei­li­gen, ver­stan­den als beson­de­re Pha­se im Mai mit gehäuf­tem Auf­tre­ten von Boden­frost, in der Schweiz nicht fest­stell­bar sind.»

Wet­ter­glocke und Wetterkreuz

Eine Regel lässt sich also nicht fest­le­gen. Zwar lässt sich das Wet­ter immer genau­er vor­her­sa­gen und ist somit gegen­über frü­her «bere­chen­ba­rer» gewor­den. Das ändert jedoch nichts am Umstand, dass Mensch und Natur dem Wet­ter aus­ge­lie­fert sind. Zwar nicht schutz­los, aber doch weit­ge­hend macht­los. Dass Unwet­ter gros­sen Scha­den anrich­ten kön­nen, erle­ben wir immer wie­der. Auch ein gewöhn­li­ches Gewit­ter zeigt, wie bedroh­lich die Kräf­te der Natur wir­ken kön­nen. Es erstaunt des­halb nicht, dass auch Chri­sten glaub­ten, dass im Gewit­ter böse Dämo­nen wirk­sam sei­en und ihr Unwe­sen trie­ben. Kein Wun­der bete­te man des­halb um Abwehr die­ser feind­li­chen Kräf­te. So ent­stand der soge­nann­te «Wet­ter­se­gen», den die katho­li­sche Kir­che heu­te noch kennt und pflegt. Apo­tro­päi­schen, das heisst Unheil abwen­den­den Zwecken, dien­ten die Ver­wen­dung von hei­li­gen Reli­qui­en, geweih­ten Ker­zen, das Weih­was­ser und das Glocken­ge­läu­te gegen die Dämo­nen. In der Pfar­rei Bal­din­gen läu­tet die Sakri­stanin den Wet­ter­se­gen jeweils wäh­rend der «Schöp­fungs­zeit» vom 25. April bis 14. Sep­tem­ber mit der Glocke aus dem 15. Jahr­hun­dert. Die Bal­din­ger Wet­ter­glocke wird von Hand betrie­ben. Im Gegen­satz zum «römi­schen» Wet­ter­se­gen, der nur bei dro­hen­dem Unheil gebe­tet wur­de, spen­de­te man den «deut­schen» Wet­ter­se­gen vom April bis zum Sep­tem­ber nach der hei­li­gen Mes­se. Die­ser Brauch hat sich im deutsch­spra­chi­gen Gebiet bis heu­te erhal­ten, die Aar­gau­er Pfar­rei­en bil­den da kei­ne Aus­nah­me.

Es geht um die Existenz

In Bal­din­gen steht in die­sen Mona­ten das Wet­ter­se­gen­kreuz auf dem Altar. Der Prie­ster erteilt damit nach der Sonn­tags­mes­se den Wet­ter­se­gen. Han­ni Von­lan­then arbei­tet als Reli­gi­ons­päd­ago­gin und Seel­sor­ge­rin im Pfar­rei­en­ver­band Zurz­ach-Stu­den­land und ist Bezugs­per­son für die Pfar­rei Bal­din­gen. Sie weiss, wie viel der Wet­ter­se­gen den Men­schen in den Dör­fern Bal­din­gen und Böbi­kon noch heu­te bedeu­tet: «Vie­le im Dorf leben min­de­stens zum Teil noch vom Obst­bau und die Abhän­gig­keit der Ern­te vom Wet­ter ist den Leu­ten sehr bewusst.» Extre­me Wet­ter­la­gen wie zum Bei­spiel die anhal­ten­de Trocken­heit im ver­gan­ge­nen Som­mer gehen buch­stäb­lich an die Exi­stenz. Der Wet­ter­se­gen sei den Leu­ten des­halb sehr wich­tig, er bestär­ke sie im Gefühl, irgend­wie doch beschützt zu sein, sagt Han­ni Von­lan­then. Das bestä­tigt auch Doris Stei­mer: «Den Wet­ter­se­gen in der Kir­che neh­men wir durch­aus bewusst wahr, es ‚beru­higt’ in einem gewis­sen Sinn, ihn am Ende des Got­tes­dien­stes zu hören. Gera­de weil man dem Wet­ter gegen­über macht­los ist, hilft der Gedan­ke an den Schutz von oben.»

Hal­te Hagel von uns fern!

Denn wäh­rend sich die mei­sten Men­schen bei einem Som­mer­ge­wit­ter mit Hagel bloss um ihr Auto sor­gen, steht für Obst- und Wein­bau­ern unter Umstän­den die Jah­res­ern­te auf dem Spiel. Doris Stei­mer kennt die­se unter­schied­li­chen Wahr­neh­mungs­wei­sen aus Erfah­rung: «Als ich noch nicht im Wein­bau tätig war, mach­te ich mir nie gross Gedan­ken ums Wet­ter. Heu­te ste­he ich bei einem Gewit­ter da und schaue besorgt in den Him­mel, ob auch sicher kei­ne Hagel­kör­ner kom­men.» Nach einem Som­mer­ge­wit­ter geht die Fami­lie Stei­mer als erstes in den Reb­berg, um nach den Trau­ben zu schau­en. «Das Schlimm­ste wäre Hagel kurz vor der Ern­te. Da wäre die gan­ze Arbeit des Jah­res zunich­te.», sagt Doris Stei­mer.«Erhö­re unser Gebet: Hal­te Unge­wit­ter und Hagel, Über­schwem­mung und Dür­re, Frost und alles, was uns scha­den mag, von uns fern.», lau­tet denn auch eines der Gebe­te aus dem Wet­ter­se­gen. Die­ser Segen kann auch Nicht-Bau­ern hel­fen, sich bewusst zu sein, woher die Nah­rung für unser Leben kommt. 
Marie-Christine Andres Schürch
mehr zum Autor
nach
soben