Gren­zen überwinden

Gren­zen überwinden

 Aus Psalm 126Als der Herr das Geschick Zions wen­de­te, da waren wir wie Träumende.  Da füll­te sich unser Mund mit Lachen und unse­re Zun­ge mit Jubel. Da sag­te man unter den Völ­kern: Gross hat der Herr an ihnen gehandelt! Ja, gross hat der Herr an uns gehan­delt. Da waren wir voll Freude. Wen­de doch, Herr, unser Geschick, wie die Bäche im Südland. Die mit Trä­nen säen, wer­den mit Jubel ernten. Sie gehen, ja gehen und wei­nen und tra­gen zur Aus­saat den Samen. Sie kom­men, ja kom­men mit Jubel und brin­gen ihre Garben.Ein­heits­über­set­zung 2016 

Wie ein Traum wird es sein, wenn wir Gren­zen überwinden

Mit­ten in der wun­der­ba­ren Land­schaft des Kan­tons Jura steht der Zaun in der Wie­se, ein Künst­ler­zaun, leicht zu umge­hen. Und den­noch ist es schwer, dar­an vor­bei­zu­kom­men. Zwi­schen eini­gen Pfäh­len ist Sta­chel­draht gespannt, und dar­an hän­gen Hän­de aus Blech. Viel­leicht hän­gen­ge­blie­ben Hän­de von Men­schen, die ver­sucht haben, die auf­ge­rich­te­te Gren­ze zu über­win­den, viel­leicht Hän­de, die denen ent­ge­gen­ge­streckt wur­den, die jen­seits die­ser Gren­ze an Ver­zweif­lung zer­bra­chen. An den Gren­zen die­ser Welt hän­gen über­all sol­che Hän­de, nur haben sie nicht über­all ein Denk­mal. Die Ber­li­ner Mau­er gibt es nicht mehr, die Toten blei­ben trotz­dem tot, die im Mit­tel­meer Ertrun­ke­nen blei­ben unsicht­bar ver­sun­ken. Und so geht es an all den Gren­zen, die Men­schen dar­an hin­dern sol­len, auf die ande­re Sei­te zu kom­men, auf die Sei­te der erhoff­ten Frei­heit von Ver­fol­gung, Ver­zweif­lung, Aus­weg­lo­sig­keit.Am Fest­tag des hl. Wen­zel wer­den wir ein­ge­la­den, über die unglaub­li­che Erfah­rung zu stau­nen, dass ein Grenz­zaun über­wun­den wer­den konn­te. Das Ende der jüdi­schen Gefan­gen­schaft in Baby­lon kann eben­so gemeint sein wie der Fall der Ber­li­ner Mau­er. «Nur mit Got­tes Hil­fe kann das gesche­hen sein», stau­nen die Befrei­ten, sie erin­nern sich auch lan­ge Zeit nach ihrer Befrei­ung immer noch dar­an, dass sie sich wie Träu­men­de gefühlt haben. Die­se Erfah­rung macht Hoff­nung dar­auf, dass auch ande­re Gren­zen über­wun­den wer­den kön­nen: «Gott, lass es doch wie­der gesche­hen», ist ihr Gebet.So sind der Zaun in der grü­nen Jura­wi­e­se und der Psalm, der von Befrei­ung singt, zwei Sei­ten der glei­chen Mün­ze. Wir sind ein­ge­la­den, bei­de Sei­ten wahr­zu­neh­men. Es gibt wei­ter­hin die viel­fäl­ti­gen Gren­zen, sie schei­nen wie­der zuzu­neh­men in unse­rer Zeit, und es gibt eben­so die Hoff­nung auf die Über­wind­bar­keit des Sta­chel­drahts durch Enga­ge­ment, Mut und Gott­ver­trau­en. Die Toten zu über­se­hen und zu ver­ges­sen, ist das Ende der Mensch­lich­keit, den Toten Denk­mä­ler zu bau­en, reicht aber auch nicht. Es gilt, die Zäu­ne wahr­zu­neh­men und die Men­schen hin­ter den Zäu­nen, Hän­de zu rei­chen über die Gren­zen hin­weg und die Gemein­sam­keit der Hoff­nung zu ent­decken.So geht es nicht dar­um, den Ver­ant­wor­tungs­trä­gern und Macht­aus­üben­den vor­zu­hal­ten, was sie falsch machen und was wir (selbst­ver­ständ­lich) bes­ser machen wür­den. Ver­än­dern kön­nen wir nur uns selbst, und im Blick auf unser eige­nes Emp­fin­den und Den­ken wer­den wir den Sta­chel­draht in uns ent­decken. Viel­leicht ent­decken wir auch das Erleb­nis einer eige­nen Grenz­über­win­dung, bei der wir nicht Scha­den genom­men, son­dern Befrei­ung erfah­ren haben, Kraft der Hoff­nung gegen die Angst, wie sie der Psalm 126 schil­dert.Vor­schlag: Sie besu­chen ein­mal die Künst­ler­instal­la­tio­nen in Boé­court, La Bala­de de Séprais, und ver­har­ren still vor «Fron­te­r­as» von José Luis Pascual. Dann lesen Sie den Psalm 126, den Sie mit­ge­nom­men haben.Wir wer­den viel­leicht den einen oder ande­ren Zaun in unse­ren Köp­fen besei­ti­gen, wenn wir unse­re eige­ne Begrenzt­heit wahr­neh­men und mer­ken, dass die ande­ren eben­so von Angst und Hoff­nung bewegt wer­den wie wir selbst. Wie ein Traum wird es uns vor­kom­men, wenn wir mer­ken: Statt Sta­chel­draht wächst unse­re Tole­ranz.Lud­wig Hes­se, war bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung Spi­tal­seel­sor­ger im Kan­ton Baselland    
Regula Vogt-Kohler
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