Grä­ben zwi­schen Kir­chen­hier­ar­chie und Basis

Vom Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil hat Pro­fes­sor Leo Kar­rer den Weg der katho­li­schen Kir­che beglei­tet. Trotz vie­ler­lei Ent­täu­schun­gen blieb er ein «unheil­bar katho­li­scher Theo­lo­ge», wie er von sich selbst sagt. Den­noch geht er hart mit dem System Kir­che ins Gericht, kri­ti­siert ihre Macht­struk­tur und for­dert, dass die Kir­chen vor Ort selb­stän­dig ihre loka­len Pro­ble­me klä­ren dürfen. 

Seit dem Zwei­ten Vati­ka­num sei­en die Visio­nen in der Kir­che gewach­sen, betont Leo Kar­rer. Auch das Selbst­be­wusst­sein der Lai­en habe sich ent­wickelt. Dazu kom­me an der Basis die Beto­nung der Soli­da­ri­tät. Der eme­ri­tier­te Pro­fes­sor für Pasto­ral­theo­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Fri­bourg erin­nert an Karl Rah­ner, der die Ein­heit von Men­schen- und Got­tes­lie­be betont: Es gehe dar­um, sich der Welt «im Namen und Auf­trag Got­tes» zuzu­wen­den. Leo Kar­rer erin­nert auch dar­an, dass der Begriff der Kir­che als «Volk Got­tes» im Kon­zil an Gewicht gewann.

System ver­än­dert sich nicht
Die wich­ti­ge Kon­sti­tu­ti­on über die Kir­che von heu­te sei der Text «Gau­di­um et Spes», meint der 76-Jäh­ri­ge. Die­ser beto­ne die Bedeu­tung der Rela­ti­on zur Welt, den Men­schen und ihren Nöten. «Gau­di­um et Spes» ent­wickel­te sich unvor­her­ge­se­hen aus­schliess­lich aus dem Kon­zils­pro­zess her­aus. «Die­ser Dyna­mik steht heu­te das System der Kir­che gegen­über, das sich nicht ver­än­dert. Die Hier­ar­chie ist der Rea­li­tät und dem Volk ent­frem­det. «Es fin­det eine Art Kul­tur­kampf gegen das inzwi­schen in der Kir­che Gewach­se­ne oder Gereif­te statt», fasst der gebür­ti­ge Basel­bie­ter zusam­men. Leo Kar­rer deu­tet daher die Kir­chen­kri­se in Euro­pa als «Akt der Päd­ago­gik Got­tes»: Die Amts­kir­che müs­se Gott ern­ster neh­men und nicht zu klein den­ken, sich selbst aber nicht zu gross. 

Par­ti­zi­pa­ti­on, nicht Abso­lu­tis­mus
Leo Kar­rer ver­weist dabei auf den Rück­tritt von Bene­dikt XVI. im März die­ses Jah­res. «In des­sen Umfeld war immer wie­der die Rede davon, dass der Papst die Anlie­gen der Basis auf­neh­men müs­se. Das System aber stand nicht zur Dis­po­si­ti­on. Dabei liegt hier das Pro­blem.» Der Pasto­ral­theo­lo­ge schlägt als Lösung mehr Par­ti­zi­pa­ti­on vor – «Rom soll­te los­las­sen»; die Kir­chen vor Ort soll­ten fünf bis sie­ben Jah­re in einem Pro­zess ihre eige­nen Anlie­gen klä­ren, neue spi­ri­tu­el­le Wege ent­wickeln dür­fen. Denk­ver­bo­te – und dazu noch mit Beru­fung auf die Ein­heit der Kir­che und Got­tes Wil­le — dür­fe es dabei kei­ne geben. Nur dies wür­de zu einer «Ent­gif­tung füh­ren» und die seit Jah­ren sicht­bar bestehen­de Hilf­lo­sig­keit und Sta­gna­ti­on der Kir­chen­lei­tung aufbrechen. 

Faschi­sto­ider Gehor­sam
Leo Kar­rer erläu­tert die star­re Funk­ti­ons­wei­se des kirch­li­chen Systems an einem Bei­spiel: «Ein Kol­le­ge sag­te, wenn er Papst wäre, wür­de er in ein paar Tagen die not­wen­di­gen Schrit­te zu einer Ver­än­de­rung ein­lei­ten. Aber auch die­ser fort­schritt­li­che Kol­le­ge hält am System fest, er will eine Ver­än­de­rung von oben nach unten, will die Macht nicht tei­len.» Wei­ter ver­weist der eme­ri­tier­te Pro­fes­sor auf das Bis­tum Chur, wo der Spre­cher des Bischofs beto­ne, man wer­de immer in «hun­dert­pro­zen­ti­ger Treue zu Rom» han­deln. Die­sen abso­lu­ten – er nennt ihn faschi­sto­iden — Gehor­sam lehnt Leo Kar­rer ab, denn es bedeu­te, dass «der Chef, unab­hän­gig von sei­nem Stand­punkt und den Inhal­ten in jedem Fall Recht hat». Leo Kar­rer kri­ti­siert an der Macht­struk­tur der Hier­ar­chie, dass in ihr nur «lini­en­treue zöli­ba­t­ä­re Män­ner» auf­stei­gen. Die­sen sind vie­le Lebens­be­rei­che ver­schlos­sen. Es fehlt an Erfah­rung, doch wür­den die rea­li­täts­fer­nen, kirch­li­chen Dok­tri­nen gna­den­los ver­tei­digt. «Wer die­sen nicht ent­spricht, etwa wie­der­ver­hei­ra­te­te Geschie­de­ne oder gleich­ge­schlecht­lich Lie­ben­de, bekommt die Här­te des Kir­chen­ge­set­zes zu spü­ren. Dies ist Mora­li­sie­ren und nicht die Lie­be, für die die Bot­schaft der Bibel von Got­tes Nähe und auch Jesus einstehen.» 

Grä­ben zwi­schen Kir­chen­lei­tung und Basis
Das System ver­har­re zudem in einer Gesell­schaft, die sich rasant ver­än­dert. Damit ver­grös­ser­ten sich die Grä­ben zwi­schen Kir­chen­lei­tung und der Basis. In sei­ner Jugend sei­en die Wer­te kol­lek­tiv fest­ge­legt gewe­sen, erin­nert sich Leo Kar­rer. «Man hat dazu gehört». Heu­te gebe es ver­schie­de­ne Optio­nen in einer mul­ti­me­dia­len Welt mit einem Über­mass an Infor­ma­ti­on. Dies sei oft eine Über­for­de­rung. Und eine Her­aus­for­de­rung: Zu mehr Gerech­tig­keit, Soli­da­ri­tät – Wer­te, die zur Kern­kom­pe­tenz der Kir­che gehör­ten. Die Gesell­schaft sei der Quar­tier­mei­ster der Kir­che, nicht ihre Gegen­spie­le­rin, wie das von Kir­chen­ka­dern oft behaup­tet werde. 

Demo­kra­tie in Gefahr
Ob die Demo­kra­tie in der wei­te­ren Zukunft bestehen kön­ne, sei frag­lich, so der Theo­lo­ge. Dies berei­te ihm Sor­gen. Vie­le Ent­schei­de sei­en für vie­le Men­schen nicht mehr nach­voll­zieh­bar. Finanz­strö­me könn­ten per Com­pu­ter innert Sekun­den in ande­re Län­der ver­scho­ben wer­den. Demo­kra­ti­sche Pro­zes­se brauch­ten aber Zeit. «Kein Wun­der, wächst die Sehn­sucht nach dem star­ken Mann, der star­ken Frau und einer Reli­gi­on oder Ideo­lo­gie, die weiss, was zu tun ist. Der Fun­da­men­ta­lis­mus nimmt teils auch als Reak­ti­on auf die Unsi­cher­heit zu, in den Reli­gio­nen wie in der Gesell­schaft.» Nichts desto trotz kön­ne Glau­be nach­weis­lich auch eine Res­sour­ce und Ermu­ti­gung sein, sich für den Schutz der Men­schen­rech­te und der Schöp­fung einzusetzen. 

Den Segen Got­tes wei­ter­ge­ben
Leo Kar­rer liebt in der Bibel beson­ders Petrus, «weil er immer wie­der wie ich selbst auch auf sich her­ein fällt». Aber auch Maria mit ihrem Magni­fi­kat, oder Abra­ham, der im Ver­trau­en auf Gott in ein unbe­kann­tes Land auszieht…eben Men­schen mit Ecken und Kan­ten, die ihre Hoff­nung auf Got­tes Zusa­ge set­zen. Der lang­jäh­ri­ge Dozent für Pasto­ral­theo­lo­gie betont, dass er in der Kir­che sehr vie­le Men­schen getrof­fen habe und trifft, die ihn berei­chert, ihm Mut gemacht hät­ten. Bei­spiels­wei­se die Ver­tre­te­rin­nen der Frau­en-Orden in den USA, die «ihre Kri­tik so deut­lich, kom­pe­tent und klar, aber nie ver­let­zend anbrin­gen». Dazu schät­ze er den gros­sen viel­fäl­ti­gen spi­ri­tu­el­len und kul­tu­rel­len Reich­tum der Kir­che; dass sie auf den Segen Got­tes hin­weist und ihn wei­ter­gibt.
Chri­stia­ne Faschon

Pro­fes­sor Leo Kar­rer Leo Kar­rer Leo Kar­rer, gebo­ren am 10. April 1937 in Rös­chenz BL, war von 1982 bis 2008 Pro­fes­sor für Pasto­ral­theo­lo­gie an der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Frei­burg (Schweiz). Von 1993 bis 2001 war er Vor­sit­zen­der der Kon­fe­renz der deutsch­spra­chi­gen Pasto­ral­theo­lo­gen und Pasto­ral­theo­lo­gin­nen. Von 2001 bis 2004 prä­si­dier­te er die Euro­päi­sche Gesell­schaft für Katho­li­sche Theologie.

 

 

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Redaktion Lichtblick
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