Glaube braucht auch praktische Erfahrung

Glaube braucht auch praktische Erfahrung

Buch der Weisheit 7,7.13–16Daher betete ich und es wurde mir Klugheit gegeben; ich fle­hte und der Geist der Weisheit kam zu mir. Uneigen­nützig lernte ich und nei­d­los gebe ich weit­er; ihren Reich­tum ver­berge ich nicht bei mir. Ein uner­schöpflich­er Schatz ist sie für die Men­schen; die ihn erwer­ben, erlan­gen die Fre­und­schaft Gottes. Sie sind emp­fohlen durch die Gaben der Bil­dung. Mir aber gewähre Gott, nach mein­er Ein­sicht zu sprechen und zu denken, wie die emp­fan­genen Gaben es wert sind; denn er ist der Führer der Weisheit und hält die Weisen auf dem recht­en Weg. Wir und unsere Worte sind in sein­er Hand, auch alle Klugheit und prak­tis­che Erfahrung.Ein­heit­süber­set­zung 2016 

Glaube braucht auch praktische Erfahrung

Als Kind war ich oft bei mein­er Grosstante, die mit uns im gle­ichen Haushalt lebte. Ein­mal ent­deck­te ich bei ihr ein Buch. Der schwarze und abge­grif­f­ene Led­ere­in­band, der rote Schnitt, das gold­ene Lese­bänd­chen und beson­ders die altertüm­liche Schrift, die ich nicht wirk­lich lesen kon­nte, zogen mich in Bann. Sie erk­lärte mir, dass dies der Kat­e­chis­mus der katholis­chen Kirche sei, und las mir ein paar Sätze daraus vor. Es waren stets Fra­gen mit den passenden Antworten, welche dieses Buch füll­ten. «Wozu sind wir auf Erden? – Wir sind auf Erden, damit wir Gott dienen und in den Him­mel kom­men!», lautete der erste Satz.Viele Jahre später, während meinem Stu­di­en­jahr in Rom an der Gre­go­ri­ana, feierte die Uni­ver­sität ihren Patron, den heili­gen Robert Bel­larmin. Er hat in der Zeit der Gegen­re­for­ma­tion den Kat­e­chis­mus geschrieben, um damit den katholis­chen Glauben in der Kirche zu fes­ti­gen. In der Zeit des Kon­fes­sion­al­is­mus und darüber hin­aus wur­den zahlre­iche Kat­e­chis­men geschrieben, prak­tisch von allen Kon­fes­sio­nen. Die Idee dahin­ter: Man wollte dem «ein­fachen Volk» etwas in die Hand geben. So erhoffte man sich, dass die eige­nen Kon­fes­sion­s­mit­glieder in ihrer Iden­tität gestärkt und für ihr alltäglich­es Leben mit seinen Her­aus­forderun­gen gerüstet seien. Doch gelingt das wirk­lich so ein­fach?Im Unter­richt an den Berufs­fach­schulen der Schweiz geht es darum, den Unter­richt kom­pe­ten­zori­en­tiert zu gestal­tet. Das bedeutet, dass Ler­nende befähigt wer­den, in entsprechen­den Sit­u­a­tio­nen kom­pe­tent und lösung­sori­en­tiert zu han­deln. Es geht also nicht bloss um reine Wis­sensver­mit­tlung, son­dern um die Aneig­nung von Fer­tigkeit­en, welche die Ler­nen­den befähi­gen, in ähn­lichen prak­tis­chen Sit­u­a­tio­nen prob­lem­lösend zu han­deln.Auch im Glauben kann es nicht darum gehen, mit rein­er Wis­sensver­mit­tlung zum kom­pe­tent mündi­gen Chris­ten, zur kom­pe­tent mündi­gen Christin her­anzuwach­sen. Im Glauben muss es darum gehen, sich im prak­tis­chen Leben und in konkreten Sit­u­a­tio­nen ein eigenes Urteil zu bilden und kom­pe­tent zu han­deln.Wenn man den Abschnitt aus dem Buch der Weisheit liest – mit dem «Ich» wird übri­gens auf König Salo­mo ange­spielt, aber let­ztlich ist eigentlich jed­er Men­sch gemeint –, dann kön­nte der Ein­druck entste­hen, dass hier ein Loblied auf eine rein intellek­tuelle Weisheit gesun­gen wird, bei der es über­wiegend um Wis­sen geht. Im let­zten Vers fol­gt dann aber der Hin­weis, dass die prak­tis­che Erfahrung der Weisheit gle­ichgestellt ist. Bei­des gehört also zusam­men, Wis­sen und prak­tisch kluges Han­deln.Der Kirche und jedem Einzel­nen muss es darum gehen, Orte zu find­en, an denen der Glaube erlebt wer­den kann. Es müssen Erfahrun­gen gemacht wer­den kön­nen, die es mir ermöglichen, Weisheit und prak­tis­ches Han­deln miteinan­der zu verbinden und in mein eigenes Leben zu über­tra­gen, um als Christ und Christin kom­pe­tent und überzeugt zu han­deln.Math­ias Jäg­gi, The­ologe und Sozialar­beit­er, arbeit­et als Beruf­ss­chullehrer
Regula Vogt-Kohler
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