«Genom­men, erdrückt und weggeworfen»

  • Der Doku­men­tar­film von Miklós Gimes zeigt die heim­li­che unheim­li­che Geschich­te von Anton Ebnöther.
  • Der Prie­ster zeug­te in den Fünf­zi­ger- und Sech­zi­ger­jah­ren mit vier Frau­en sechs Kin­der und die Amts­kir­che schau­te zu.
  • Bis heu­te lei­den die Betrof­fe­nen am Tabu, das Kind eines Prie­sters zu sein.

«War­um hat sie nie dar­über gere­det», fragt Lis­beth und weint. Die Sieb­zig­jäh­ri­ge sitzt mit ihrem Mann auf dem Sofa in ihrer Stu­be. Im Fern­se­her schau­en sie eine Sze­ne aus dem Doku­men­tar­film UNSER VATER von Miklós Gimes. Da ver­sucht Lis­beths hoch­be­tag­te Mut­ter zu erklä­ren, was ihr Anfang der Fünf­zi­ger­jah­re wider­fah­ren ist. Damals, als Anton Ebnö­ther die Pfarr­kö­chin «genom­men, erdrückt und weg­ge­wor­fen» hat­te. Beschämt beschreibt Lis­beths Mut­ter die Vergewaltigung.

Vater oder Erzeuger?

Anton Ebnö­ther war katho­li­scher Prie­ster und zeug­te mit vier Frau­en sechs Kin­der. Es gebe Hin­wei­se, dass es noch mehr sei­en, sagt der Fil­me­ma­cher Miklós Gimes. «Für die einen sei­ner Kin­der ist Anton Ebnö­ther eine Art Vater, für die ande­ren ledig­lich der Erzeu­ger. Sei­ne Ver­ant­wor­tung hat er bei allen Kin­dern nicht wahr­ge­nom­men. Und eini­ge lei­den heu­te noch am Tabu, das Kind eines katho­li­schen Prie­sters zu sein.»

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Vor sechs Jah­ren, als Lis­beth ihn für das Film­pro­jekt gewin­nen woll­te, war Miklós Gimes zunächst skep­tisch. Von der katho­li­schen Kir­che, von Reli­gi­on ver­ste­he er wenig, sag­te sich der Fil­me­ma­cher damals. Er selbst sei säku­lar, sei­ne Vor­fah­ren assi­mi­lier­te unga­ri­sche Jüdin­nen und Juden. Inzwi­schen habe er viel gelernt über die katho­li­sche Kir­che mit ihrer Sexu­al­mo­ral, dem Zöli­bat, den Geheim­nis­sen und dem Schwei­gen. Genau die­se Geschich­te woll­ten die Geschwi­ster erzäh­len, Miklós Gimes half ihnen dabei.

Kein Psy­cho­gramm, kei­ne Erklärungen

Wie eine Zeit­rei­se in die Fünf­zi­ger- und Sech­zi­ger­jah­re der Schweiz sei die Film­ar­beit gewe­sen. «Ich habe gese­hen, wie viel psy­chi­scher Druck die Kir­che damals auf ihre Mit­glie­der aus­üben konn­te. Statt sich zu weh­ren, haben sich die mei­sten Men­schen unter­wor­fen wohl aus Angst, aus­ge­schlos­sen zu wer­den oder in der Höl­le zu landen.»

Miklós Gimes kon­stru­iert das Bild des abwe­sen­den Vaters durch die Erzäh­lun­gen von Anton Ebnö­thers Kin­dern und ergänzt sie mit Audio­auf­nah­men und Foto­gra­fien. Über Anton Ebnö­thers Ver­gan­gen­heit erfah­ren wir nichts. Kein Psy­cho­gramm habe er erstel­len, kei­ne Erklä­run­gen abge­ben wol­len, sagt Miklós Gimes.

Kein Kauz, son­dern ein Vergewaltiger

Der Film beginnt mit den kro­sen­den Audio­auf­nah­men, die Anton Ebnö­ther mit sei­nem Kas­set­ten­ge­rät gemacht hat­te. Mit vibrie­ren­der Bass­stim­me besingt er sei­ne Hei­mat und Got­tes wun­der­ba­re Wege. Je mehr wir über den Prie­ster mit der unge­zü­gel­ten Libi­do erfah­ren, je skur­ri­ler und unheim­li­cher wer­den sei­ne Lie­der. Denn der Mann, der mit gezwir­bel­tem Schnauz keck von einem Foto lacht, ist nicht ein­fach ein komi­scher Kauz, son­dern ein Vergewaltiger.

Moni­ka ist die Dritt­jüng­ste unter den Geschwi­stern. Ihre Mut­ter kam damals als Blau­ring-Lei­te­rin ins Pfarr­haus zu Anton Ebnö­ther, wo der Vikar sie ver­ge­wal­tig­te. Als sie ihn schwan­ger um Hil­fe bat, spei­ste er die jun­ge Frau mit 200 Fran­ken in einem Cou­vert ab. Sie sol­le damit machen, was nötig sei. Der Prie­ster erhoff­te sich wohl, sie wür­de das Kind abtrei­ben. Moni­kas Mut­ter kauf­te sich vom Geld Wol­le und begann für ihr Unge­bo­re­nes zu stricken.

Aber nicht allen Frau­en hat Anton Ebnö­ther Gewalt ange­tan. Toni und Chri­sti­na waren Wunsch­kin­der ihrer Mut­ter. Weil sie von ihrem Mann nicht schwan­ger wur­de, half Vikar Ebnö­ther aus. Die Mut­ter von Danie­la und Adri­an hat­te Anton Ebnö­ther gern und ver­tei­dig­te den abwe­sen­den Vater vor ihren Kin­dern ein Leben lang. Heu­te sieht auch sie ihn mit kri­ti­schen Augen.

Wider­sprü­che einer Missbrauchsgeschichte

Es ist eine Qua­li­tät des Fil­mes, dass Miklós Gimes Anton Ebnö­ther nicht als Mon­ster zeich­net, son­dern die vie­len Wider­sprü­che die­ser Miss­brauchs­ge­schich­ten ste­hen lässt. Das ist bis­wei­len schwie­rig aus­zu­hal­ten. Gleich­zei­tig wird ver­ständ­lich, wie sol­che Gräu­el pas­sie­ren: wenn Men­schen in Got­tes Namen ihre Macht miss­brau­chen, die Abhän­gig­keit ande­rer Men­schen aus­nüt­zen und dar­auf ver­trau­en kön­nen, dass nicht gesagt wird, was nicht sein darf.

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Rah­men­ver­an­stal­tun­gen zum The­ma Miss­brauch in der katho­li­schen Kirche

Im Kan­ton Aar­gau läuft UNSER VATER im Kino Ode­on in Brugg. Im Zusam­men­hang mit der Film­vor­füh­rung fin­den an ver­schie­de­nen Orten Ver­an­stal­tun­gen mit Podi­en zum The­ma Miss­brauch in der katho­li­schen Kir­che statt. Wenn Sie selbst das Opfer eines Miss­brauchs sind, fin­den sie hier Anlaufstellen.



Etwas ver­un­si­chert lässt einen die Sze­nen auf dem bischöf­li­chen Schloss zurück. Dort emp­fängt Joseph Maria Bonn­emain, der Bischof von Chur, die Geschwi­ster zu einer erneu­ten Aus­spra­che. Sie gelang­ten schon vor den Dreh­ar­bei­ten an Bischof Bonn­emain, als die­ser noch Offi­zi­al des Bis­tums war, um Ein­sicht in die Akten ihres Vaters zu erhal­ten. Nun sit­zen die Geschwi­ster um eine gros­se Tafel, die Türe geht auf wie bei einem Schwank. Der Auf­tritt des Bischofs ent­behrt nicht einer gewis­sen Skur­ri­li­tät. Unver­ständ­lich bleibt, dass er als Mit­glied des bischöf­li­chen Fach­gre­mi­ums gegen sexu­el­le Über­grif­fe im kirch­li­chen Umfeld in die­ser Run­de den Pflicht­zö­li­bat ver­tei­digt. Ist das der Mann, der dem sexu­el­len Miss­brauch in der Kir­che den Kampf ange­sagt hat? Immer­hin redet Bischof Bonn­emain im Film über den sexu­el­len Miss­brauch und ent­schul­digt sich im Namen der Kirche.

Eva Meienberg
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