«Geld­gläu­big­keit ist gefähr­li­cher als Islamismus»

  • Am 4. April 2018 fin­det an der Neu­en Kan­tons­schu­le Aar­au zum ersten Mal ein Pro­jekt­halb­tag statt, zu dem die Schü­le­rin­nen und Schü­ler der Ergän­zungs- und Frei­fä­cher Reli­gi­on aller Aar­gau­er Kan­tons­schu­len zusam­men­kom­men. The­ma ist der Umgang mit Extre­mis­mus und Radikalismus.
  • Der Halb­tag in Aar­au wird gestal­tet von bekann­ten Schwei­zer Per­sön­lich­kei­ten wie bei­spiels­wei­se dem streit­ba­ren Bas­ler Sozio­lo­gen Ueli Mäder, dem Rap­per Tom­my Ver­cet­ti und Luc Hum­bel, Prä­si­dent der Römisch-Katho­li­schen Zen­tral­kon­fe­renz (RKZ).
  • Mit Blick auf die erwähn­te Ver­an­stal­tung sprach Hori­zon­te mit Simon Küf­fer ali­as Tom­my Vercetti.
 Herr Küf­fer, Sie besu­chen am 4. April in Baden einen Pro­jekt­halb­tag mit Jugend­li­chen, die sich mit Radi­ka­lis­mus aus­ein­an­der­set­zen. Hört man Ihre Rap-Tex­te als Tom­my Ver­cet­ti, fragt man sich schnell: Wie radi­kal sind Sie? Simon Küf­fer: Ich sehe Radi­ka­li­tät eher posi­tiv und ver­su­che das auch zu sein. Und radi­kal als Anspruch, zu den Wur­zeln vor­zu­drin­gen. So gese­hen bedeu­tet Radi­ka­li­tät auch eine Art von ewi­ger Suche.Eine Art kon­struk­ti­ver Radi­ka­lis­mus also. Kön­nen Sie das genau­er beschrei­ben? Ich möch­te in die­sem Zusam­men­hang Radi­ka­lis­mus und Extre­mis­mus unter­schei­den. Radi­kal ist für mich jemand, der den Din­gen auf den Grund gehen möch­te und sich nicht mit ober­fläch­li­chen Sicht­wei­sen zufrie­den gibt.Und Extre­mis­mus? Das ist für mich eher nega­tiv. Da, wo es in Irra­tio­na­li­tät kippt.Und wo pas­siert das? Wo ist die Gren­ze, ab wel­cher Radi­ka­lis­mus gefähr­lich wird? Gefähr­lich wird es, wenn sich auf­ge­stau­te Wut auf­grund von Ent­täu­schun­gen ihren Weg bahnt. Span­nend ist, dass heu­te viel­fach ver­sucht wird, gera­de reli­giö­sem Fun­da­men­ta­lis­mus einen mit­tel­al­ter­li­chen Anstrich zu geben. Dabei haben wir es mit einem hoch­mo­der­nen, zeit­ge­nös­si­schen Phä­no­men zu tun, das aus der Fru­stra­ti­on und dem Elend ent­stan­den ist, die der heu­ti­ge Kapi­ta­lis­mus pro­du­ziert.Das klingt jetzt sehr sozia­li­stisch. Sind sie Sozia­list? Ja, ich wür­de mich durch­aus als das bezeich­nen. Aber nicht in einem histo­ri­schen Sin­ne. Das ist viel­mehr ein Bekennt­nis zu bestimm­ten gesell­schaft­li­chen Grund­an­nah­men.Das deckt sich mit dem, was Tom­my Ver­cet­ti rappt. Hand­kehrum: Sie haben an einer Hoch­schu­le geforscht, schrei­ben jetzt eine Dis­ser­ta­ti­on. Das ver­mit­telt den Anschein von Ange­passt­heit. Ist das nicht ein Wider­spruch? Nicht unbe­dingt. Ich gehö­re zu einer poli­ti­schen Denk­schu­le, die akzep­tiert, dass man in einem bestimm­ten System lebt. Dem kann man sich nicht kom­plett ver­wei­gern.Wie sind sie Tom­my Ver­cet­ti gewor­den? Als sehr jun­ger Rap-Fan. Die Poli­ti­sie­rung ist dann erst spä­ter gekom­men. Im Alter von 12 Jah­ren habe ich begon­nen, Rap zu hören. Mit 18 Jah­ren kam ich dann auf die Idee, es selbst zu ver­su­chen – in einem Anflug von ado­les­zen­tem Über­mut. Oder man kann auch sagen: Ein Gemisch von Inter­es­se und der Absicht, Frau­en zu beein­drucken.Scheint funk­tio­niert zu haben. Sie sind als Rap­per bekannt gewor­den. Kön­nen Sie davon leben? Es bewegt sich auf einem Niveau, wo es stark von mei­ner Ent­schei­dung abhängt. Ich müss­te wie bei­spiels­wei­se Manil­lio, der sich vor etwa zwei Jah­ren ent­schei­den hat, ganz auf die Kar­te Musik zu set­zen, klar mehr tun. Bei mir deckt es aktu­ell einen Vier­tel bis einen Drit­tel mei­nes Ein­kom­mens.Im Song «La ga, la si» bezeich­nen sie Athe­isten als bes­se­re Chri­sten. Und im Intro kon­su­miert jemand Dro­gen, was an Marx’ Aus­sa­ge «Reli­gi­on ist Opi­um fürs Volk» erin­nert. Ist die­se Asso­zia­ti­on beab­sich­tigt? Abso­lut. Da geht es auch um eine gewis­se Pla­ka­ti­vi­tät, mit der Rap arbei­tet.Sie schei­nen aber eher nega­ti­ve Erfah­run­gen mit Reli­gi­on gemacht zu haben. Im Grund spie­gelt der Song eher den Punkt, an wel­chem ich mich ernst­haft mit Reli­gi­on aus­ein­an­der­ge­setzt habe. Ich bin auf dem Papier katho­lisch, habe als Kind und Jugend­li­cher den Reli­gi­ons­un­ter­richt besucht. Ich bezeich­ne mich zwar als Athe­ist, habe aber viel christ­li­che Ethik mit­be­kom­men.Gleich­wohl kommt Reli­gi­on nicht gut weg in dem Song. Bei Chri­sten und Mus­li­men bei­spiels­wei­se bil­det die Reli­gi­on auch ein Macht­sy­stem, sie wur­de Staats­re­li­gi­on. Das ist hoch­pro­ble­ma­tisch. Aber Reli­gi­on dreht sich nicht nur um das. Reli­gi­on hat Men­schen Ritua­le gege­ben, hat ihren All­tag struk­tu­riert.Im Zusam­men­hang mit Reli­gi­on wird ja sehr oft auch von Extre­mis­mus gespro­chen. Dabei besteht stark die Gefahr, dass Reli­gi­on zu einem Ersatz­schau­platz ver­kommt. Ich per­sön­lich sehe den gefähr­lich­sten Fana­tis­mus in der Geld­gläu­big­keit.In Ihrer Aus­ein­an­der­set­zung mit Reli­gi­on wer­den Sie in «La si, la ga» aber auch phi­lo­so­phisch:«Ei Rap­pe pro Gedan­ke draa, was aues ufm Spiiu steit». Was steht denn auf dem Spiel? Das ist die Sze­ne , wo ich mit Jesus rede, ihm Geld bie­te, dass er mir erklärt, was auf dem Spiel steht. Reli­gi­on soll ja die Welt erklä­ren. Auch wenn das viel­leicht kul­tur­pes­si­mi­stisch klingt: Es steht auf meh­re­ren Ebe­nen ganz viel auf dem Spiel.Wie sol­len denn Jugend­li­che mit Extre­mis­mus umge­hen? Mit dem eige­nen und dem ande­rer? Das ist eine gute Fra­ge. Die Jugend ist ein heik­les Alter, weil man viel Ener­gie und vie­le Emo­tio­nen hat. In die­ser Zeit macht man in der Regel erste wirk­li­che Fru­stra­ti­ons­er­fah­run­gen und stösst an Gren­zen. So wird man anfäl­lig für einen gewis­sen Extre­mis­mus.Das beant­wor­tet die Fra­ge noch nicht. Das stimmt. Wich­tig ist, dass Jugend­li­che sich mög­lichst kri­ti­sche Instru­men­te aneig­nen kön­nen – wie Kri­tik­fä­hig­keit zum Bei­spiel. Hand­kehrum müss­ten auch alle glei­che Chan­cen erhal­ten. Man kann nicht die Bil­dung abbau­en und Kin­dern von Aus­län­dern kei­ne Lehr­stel­len geben und sich dann wun­dern, wenn sich die Jugend radi­ka­li­siert.Und was haben uns Jugend­li­che vor­aus? Jugend­li­che sind in einem posi­ti­ven Sin­ne idea­li­stisch. Es gibt den Spruch: Wenn man mit Zwan­zig kein Sozia­list ist, hat man kei­ne Herz, wenn man mit Vier­zig noch Sozia­list ist, hat man kein Hirn. Dem wür­de ich nicht zustim­men. Vie­le sind nicht weni­ger idea­li­stisch, weil sie ver­nünf­ti­ger gewor­den sind, son­dern weil sie abge­stumpft sind.
Andreas C. Müller
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