Gegrüsset seist du Maria, voll der Gnade…
Jeden Dienstag treffen sich zwischen fünf und zehn junge Menschen zum gemeinsamen Rosenkranzgebet. Nicht zeitgemäss? Nein, es ist Zeichen tragfähiger Gemeinschaft, möglicherweise – das wird die Zukunft zeigen – gar generationenübergreifend.Viel könnten Heiligenfiguren an Kirchenwänden erzählen. Von Gottesdiensten, festlichen oder traurigen, von lebendigem Pfarrgemeindeleben. In St. Martin, Niederwil, können die weissgewandeten, vollbärtigen Barockfiguren hoch oben an den Wänden von einer besonderen Gebetsgruppe erzählen: Von Jugendlichen, die den Rosenkranz beten.
Gestartet aus Trauer…
An diesem Dienstag Ende November sind es neun junge Menschen im Alter von 17 bis Mitte 20, drei erwachsene Frauen bis Mitte 40 und die Katechetin Sandra Eisenring, die sich in der Kirche in den ersten Bänken versammelt haben. «Eigentlich war das Ziel, einen Monat den Rosenkranz zu beten», erklärt Sandra Eisenring, «doch dann entwickelte es eine Eigendynamik und wir haben weitergemacht». Die Frage nach dem Warum drängt sich auf. Die 20-jährige Luana antwortet: «Angefangen haben wir, weil meine Schwester an Krebs erkrankte und im Februar 2016 gestorben ist. Sie war 17. Wir waren sehr traurig und Sandra hat uns erklärt, dass wir den Rosenkranz als Begleitung für sie und als Halt für uns beten könnten.»
…im Glauben weitermachen
Teils skeptisch, teils neugierig waren die Reaktionen Gleichaltriger, doch das Gebet und die Haltung der Gruppe strahlen aus, der Kreis der Betenden wächst. «Ich kannte das verstorbene Mädchen gar nicht selber, bin über meinen Freund hier in die Gruppe gekommen», sagt Marina, 22 Jahre jung. Nach der Trauer bleibt die Überzeugung. Luana erklärt: «Wir haben im Gebet Halt gefunden. Und dann eine grössere Nähe zu Gott erlebt. Wer er ist und was der Glaube ist und für uns sein kann im Leben. Deshalb treffen wir uns weiter».«Was auch schön ist, im Anschluss gibt es den Höck, wo wir über alles reden können, was uns beschäftigt», ergänzt die 18-jährige Carina. Die Gebetsanliegen der Gruppe wechseln. «Manchmal gibt es ein bestimmtes Anliegen, manchmal nimmt jede und jeder sein persönliches Anliegen in das Gebet», erzählt Luana.«Es ist eine grosse Freiheit, zu kommen oder auch fernzubleiben. Das ist mir wichtig», sagt Naomi, 17 Jahre. Die Zusammensetzung wechselt, doch «weniger als vier waren es nie», bestätigt Sandra Eisenring. Mittlerweile nehmen auch Jugendliche aus Oberlunkhofen, Villmergen, Rüthihof und Fislisbach teil, sind ebenso willkommen.
Ein Gebet – mehrere Generationen
Nicht nur bei den Gleichaltrigen war die Skepsis gross. «Wir mussten auch der Pfarrgemeinde zeigen, dass wir den Rosenkranz wirklich richtig beten und nicht über Stühl‘ und Bänke hüpfen», erinnert sich Sandra Eisenring. Im Oktober 2016 machten Sandra Eisenring und die Jugendlichen an jedem Dienstag einen Impuls, auch in Zusammenarbeit mit der Kirchenpflege und dem Gemeindeleiter. «Seitdem ist es in Ordnung, dass wir dienstags hier sind», sagt Sandra Eisenring.Jugend und Alter, das verträgt sich trotz desselben Gebets nicht zwingend, das zeigte sich bei einem generationenübergreifenden Versuch in Fischbach-Göslikon. Die Gruppe wechselte den Gebetsort. In St. Martin Niederwil bekam sie Asyl. Und im Frühling startet ein neuer Versuch, generationenübergreifend zu beten. Die Rosenkranzgruppe der Frauen über 70, die am Mittwoch betet, will zu den jungen Frauen und Männern dazu stossen. Die Gruppe freut sich auf die neuen «Mitbeter».
Rosenkranz plus
Nach dem kurzen Gespräch geht es los mit dem Gebet. Und es zeigt sich, dass altbewährtes auch behutsame Neuerungen verträgt. Der Advent steht in Niederwil unter dem Motto «Wir packen es an». Fünf Impulsanlässe sind geplant. Sandra Eisenring nimmt das Motto ins Rosenkranzgebet auf. «Wir beten den Rosenkranz so wie immer. Nach der Eröffnung stelle ich eine Impulsfrage, die ihr kurz schriftlich beantwortet. Nach jedem «Gesätz», machen wir eine Minute Pause und die Impulsfrage wird um einen Gedanken erweitert, den ihr ebenfalls in einer Notiz beantwortet. Die Zettel begleiten euch später im Alltag», erklärt Sandra Eisenring und verteilt Klemmbretter.Es wird still in der Kirche und die Atmosphäre um die jungen Menschen verdichtet sich. «Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Ich glaube an Gott, den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde…». Credo, Doxologie, Vater unser, die Bitten um die drei göttlichen Tugenden – helle Stimmen unterlegt von einer jugendlichen Bassstimme, sprechen Gebete, die Menschen seit weit über tausend Jahren sprechen und wer glaubt, der Rosenkranz sei von gestern, irrt.