Frei­raum für Unerwartetes

Frei­raum für Unerwartetes

Lukas 10,4–5.7–9Nehmt kei­nen Geld­beu­tel mit, kei­ne Vor­rats­ta­sche und kei­ne Schu­he! Grüsst nie­man­den auf dem Weg! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Frie­de die­sem Haus! Bleibt in die­sem Haus, esst und trinkt, was man euch anbie­tet; denn wer arbei­tet, ist sei­nes Loh­nes wert. Zieht nicht von einem Haus in ein ande­res! Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch auf­nimmt, so esst, was man euch vor­setzt. Heilt die Kran­ken, die dort sind, und sagt ihnen: Das Reich Got­tes ist euch nahe! Ein­heits­über­set­zung 2016 

Frei­raum für Unerwartetes

Nass, dun­kel und kalt war es an die­sem 28. Dezem­ber. Das jun­ge Pär­chen im klei­nen roten Peu­geot war mit­ten im Süd­ti­rol auf der Suche nach einer gün­sti­gen Unter­kunft gestran­det. Die mei­sten Hotels hat­ten über die Fest­ta­ge geschlos­sen. Etwas rat­los und ver­zwei­felt hiel­ten die zwei am Stras­sen­rand in der Nähe einer Tank­stel­le, nach­dem sie eine alte Dame, auf einem alten Fahr­rad schlei­chend unter­wegs, über­holt hat­ten. Bald dar­auf hol­te die Dame das klei­ne Auto ein und der jun­ge Mann ergriff die Gele­gen­heit, nach einer Unter­kunft zu fra­gen. Etwas rat­los schau­te sich die Dame um und mein­te, dass im Ort eigent­lich kein Hotel geöff­net hät­te. Doch – das fiel ihr gera­de ein! – dort, aus­ser­halb der Sied­lung hät­te das Hotel «Le Tre Gra­zie» geöff­net. Aber es sei ein wenig teu­er dort, sag­te sie, nach­dem sie das Pär­chen genau­er gemu­stert hat­te. Mit­ten im Erzäh­len hielt sie inne und offe­rier­te den bei­den, dass sie bei ihr über­nach­ten könn­ten. Ihre Kin­der sei­en schon längst aus­ge­zo­gen, der Mann ver­stor­ben, die Woh­nung eh zu gross. Der jun­ge Mann zier­te sich ein wenig und auch sei­ne Part­ne­rin schien über­for­dert mit dem unver­hoff­ten Ange­bot. «Ach, wisst ihr, geht doch zum Hotel und schaut, ob es euch passt!», fuhr die Dame fort, «wenn es euch passt, dann ist es in Ord­nung und wenn nicht, dann …». Aus­führ­lich erklär­te sie, wo sie wohn­te.Wie die Geschich­te aus­ging? Tja, das Hotel war tat­säch­lich zu teu­er und das jun­ge Paar war froh, dass es sich für eine Nacht bei der Dame ein­quar­tie­ren konn­te. Als es auf­stand, duf­te­te es schon nach ita­lie­ni­schem Espres­so und neben dem Panet­to­ne stand in kra­ke­li­ger Schrift auf einem Zet­tel­chen: «Kom­me gleich wie­der zurück. Bin auf dem Grab mei­nes Man­nes. Bedient euch!»Abt Mar­tin Wer­len hat mir ein­mal fol­gen­de Weis­heit mit auf den Weg gege­ben: Wenn wir ver­hin­dern wol­len, dass in unse­rem Leben Uner­war­te­tes pas­siert, dann müs­sen wir dafür sor­gen, dass unser Ter­min­ka­len­der voll­kom­men durch­struk­tu­riert ist. Es ist aller­dings wich­tig, dass in unse­rem All­tag auch Platz für Uner­war­te­tes ist.Da ist weni­ger oft mehr. Denn so ver­ste­he ich die Mah­nung Jesu: «Nehmt kei­nen Geld­beu­tel mit, kei­ne Vor­rats­ta­sche und kei­ne Schu­he!» In die­ser Ange­wie­sen­heit und Offen­heit wirkt Gott. Dürf­te es die Ein­fach­heit gewe­sen sein, die Anto­ni­us von Padua dazu bewo­gen hat, vom bekömm­li­chen Leben der Augu­sti­ner­chor­her­ren zu den ärm­lich leben­den Fran­zis­ka­nern zu wech­seln? Hat er gemerkt, dass nicht in der Satt­heit, son­dern in der Reduk­ti­on auf das Wesent­li­che, Gott in unse­rem Leben wirkt? Oft sind wir so umtrie­big und mei­nen, dies oder das noch machen zu müs­sen und stop­fen unse­ren All­tag mit Ter­mi­nen voll! Hät­te das Pär­chen sei­ne Rei­se vom Rei­se­bü­ro orga­ni­sie­ren las­sen, dann wäre es wohl kaum nach Hau­se gekom­men und hät­te begei­stert von den gast­freund­li­chen Süd­ti­ro­lern erzählt. Las­sen wir in unse­rem Leben genü­gend Spiel­raum, für die klei­nen Lie­bes­be­wei­se Got­tes!Mathi­as Jäg­gi, Theo­lo­ge und Sozi­al­ar­bei­ter, arbei­tet als Berufs­schul­leh­rer und Fach­hoch­schul­do­zent
Redaktion Lichtblick
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