Im 80er-Jahre-Kult-Streifen «Footloose» kämpft ein Rockliebhaber in einer Kleinstadt gegen das von einem Reverend verhängte Tanzverbot. Gut 30 Jahre später kämpfen im Aargau die Piraten für eine Liberalisierung des Gastgewerbegesetzes. Unterstützt werden sie von mehreren politischen Parteien und Verbänden. Eine Erkundungstour in Baden zeigt: Es geht nicht nur um längere Öffnungszeiten, sondern auch darum, welchen Stellenwert kirchliche Feiertage heute noch haben.Das Restaurant «Isebähnli» liegt gut versteckt am Ende eines schmalen Durchgangs an der Badstrasse. Es gehört zu den In-Lokalen in Baden und ist praktisch immer voll. Die Gäste sitzen oft bis tief in die Nacht an ihren Bistrotischen im angeregten Gespräch. Mitten im Raum steht ein grosses Piano. Seit vielen Jahren wird in dem über 100-jährigen, hellrot getäfelten Lokal Jazz vom Feinsten gespielt. Pius Bieri ist stolz darauf und bedient die Gäste hier stets mit viel Freundlichkeit. Doch während andere Lokale an hohen Feiertagen wie Karfreitag und Ostern ihren Betrieb offen halten, schliesst er das «Isebähnli».
Erholungspolster für die Angestellten
Pius Bieri, weiss, dass die Tanzverbotsinitiative die Regelung abschaffen will, wonach Restaurants und Bars an kirchlichen Feiertagen sowie am Folgetag um 0.15 Uhr schliessen müssen. Wenn er sein «Isebähnli» schliesst, tut er dies nicht aus Rücksicht auf einen kirchlichen Feiertag. Der 48-Jährige sagt: «Ich will meinen Mitarbeitern und ihren Familien schlicht Zeit zum Zusammensein geben. Zudem sollen sie Energie tanken. Die Gäste können einen an manchen Tagen auffressen, selbst wenn man diese Arbeit liebt.» Ebenso sieht es Longinus Mutter, Betriebsleiter des Restaurants «Roter Turm». Er betont: «Mit religiösen Bedürfnissen hat mein Entscheid nichts zu tun. Meine Mitarbeiter sollen in diesen Tagen ausspannen können.»
365 Tage gegen die Abwanderung nach Zürich
Die Gespräche mit Bar‑, Restaurant- und Café-Betreibern in Baden zeigen: Für die meisten Wirte ist das «Tanzverbot» ein alter Zopf, der abgeschnitten gehört. Wobei: Ein eigentliches Tanzverbot an kirchlichen Feiertagen existiert im Kanton Aargau nicht. Die Initiative will lediglich die Öffnungszeiten in Restaurants und Bars lockern, damit die Leute länger feiern können. «Die Kirche sähe es aber nur allzu gern, wenn Lokale und Discos ihre Tore an hohen Feiertagen wie Karfreitag, Ostersonntag, Pfingstsonntag, Bettag und Weihnachtstag ganz schliessen würde», mutmasst Pius Bieri. In der quirligen Kulturstadt Baden käme dies aber kaum einem Lokal in den Sinn. «Gerade an den Feiertagen zieht es Familien in Restaurants. Das bringt viel Umsatz», sagt eine Mitarbeiterin des Restaurants «Piazza». Und im Gourmetlokal «Hirschli» wird betont: «Wir wollen nicht, dass noch mehr Gäste nach Zürich abwandern.» Im Café «Himmel» schliesslich ist der Chefkellner stolz, «dass wir an 365 Tagen geöffnet haben.» Stella Luna Palino, Transschauspielerin und Stadtoriginal, zieht an den kirchlichen Feiertagen in ihrem «Theatro Palino» jeweils ihr eigenes Programm durch. Besinnung? Fehlanzeige. Namentlich zitieren lässt sich überdies kaum ein Wirt. Einer betont: «Mit Religion begebe ich mich auf ein vermintes Terrain.»
«Verklemmt» und «intolerant»
Die Lokale in Baden halten sich an die vorgeschriebenen Öffnungszeiten bei Feiertagen und schliessen um 00.15 Uhr. Selbst das «Pickwick English Pub», das sich unweit der Stadtkirche befindet. Ein Kellner dort kennt jedoch eine Bar, die sich der Verordnung schon widersetzt hat und eine Geldbusse zahlen musste. Der Mittvierziger findet das Tanzverbot «wie aus Zeit gefallen». Auch ein Stammgast geht mit der Verordnung hart ins Gericht: «Sie ist verklemmt und hat in der heutigen Gesellschaft nichts mehr verloren. In Anbetracht der Tatsache, dass heute viele keiner Kirche mehr angehören oder nicht glauben, finde ich es zudem intolerant.» Jeder müsse das Recht haben, zu feiern wann und wie er wolle. Ihn erinnert die Debatte um das Tanzverbot an den 80er-Jahre-Kult-Streifen «Footloose», in dem der Schauspieler Kevin Bacon als Rockliebhaber in einer Kleinstadt gegen das von einem Reverend verhängte Tanzverbot ankämpft.
Kirchliche Empfehlungen werden weitgehend ignoriert
Die römisch-katholische, die reformierte und die christkatholische Landeskirche vertreten bezüglich der Tanzverbotsinitiative eine klare Position: Die Öffnungszeiten sollen unverändert blieben. Die hohen Feiertage hätten in der Bevölkerung «weiterhin einen bedeutenden Stellenwert», heisst es. Doch stimmt das eigentlich? Und: Lassen sich Jugendliche von der Kirche noch etwas vorschreiben? Willy Deck, Jugendarbeiter in der Pfarrei Windisch, beschäftigt die Tanzverbotsinitiative, weil es im tiefen Kern auch darum gehe, welche Werte jungen Menschen heute wichtig seien. Willy Deck sagt: «In meiner langjährigen Arbeit habe ich nur zwei Jugendliche kennengelernt, denen Weisungen der Kirche wichtig sind. Die Kirche kann ihnen, und auch Erwachsenen, nicht mehr diktieren, wie sie an hohen Feiertagen leben sollen. Abstimmungsempfehlungen der Kirchen werden deshalb weitgehend ignoriert.»
Selbst Jugendliche schätzen Entschleunigung
Wenn Jugendliche an hohen Feiertagen nicht zur Kirche gehen, sind sie für Willy Deck nicht per se weniger religiös, als früher. «Ihre religiösen Bedürfnisse leben sie heute vermehrt im privaten Raum aus. Der Austausch mit Freunden ist dabei zentral. Gleichzeitig sehe ich bei vielen eine grosse Neugier auf diese Welt. Hier ist ein Potenzial, das die Kirchen aufgreifen sollten.» Trotz Unverständnis für das Tanzverbot an hohen Feiertagen, so beobachtet Willy Deck, wissen selbst kirchenkritische Jugendliche die Bedeutung von Feiertagen wie Ostern, Pfingsten oder Weihnachten zu schätzen, weil sie die für viele so notwendige Entschleunigung im Alltag bieten. Willy Deck sagt: «Die kirchlichen Feiertage sind Inseln inmitten einer immer schneller werdenden Welt.»