Feu­er und Flam­me für die Glocke

Sie hän­gen hoch und klin­gen laut. Über Jahr­hun­dert hin­weg haben Glocken reli­giö­se Gemein­schaf­ten ver­bun­den und das welt­li­che Leben struk­tu­riert. Heu­te wird über ihren Sinn und Zweck gestrit­ten. Mit einer Wan­der­aus­stel­lung schal­tet sich das Aar­au­er Forum Schloss­platz in die Dis­kus­si­on ein. Hori­zon­te hat die Ver­nis­sa­ge am 30. Okto­ber 2015 besucht.Sie gehör­ten nicht nur zu den ersten gestimm­ten Musik­in­stru­men­ten . Glocken waren lan­ge bevor es Buch­druck und Inter­net gab, das Mas­sen­kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel schlecht­hin. Auch heu­te noch gibt es in der Schweiz kaum jeman­den, der nicht von irgend­ei­nem Erleb­nis mit Glocken­ge­läut zu berich­ten weiss. «Glocken sind mit Erin­ne­run­gen und Sym­bol­ge­halt ver­bun­den», mein­te denn auch Land­am­mann Urs Hoff­mann anläss­lich der Ver­nis­sa­ge zur Aus­stel­lung «Bim Bam Wumm – Glockengeschichte(n)», die in Aar­au in den Räum­lich­kei­ten von Forum Schloss­platz bis 24. Janu­ar 2016 gezeigt wird. Urs Hoff­mann selbst schil­der­te, dass er 1960 als vier­jäh­ri­ger Kna­be erleb­te, wie die Glocken für die Römisch-Katho­li­sche Kir­che Peter und Paul in Aar­au hoch­ge­zo­gen wur­den. «Dass ich mich dar­an noch erin­nern kann, zeugt von der gros­sen Fas­zi­na­ti­on, die von Glocken auf uns Men­schen aus­geht.»Aus­stel­lung als Kri­tik an geführ­ter Kon­tro­ver­se Die Zei­ten der Ver­klä­rung sind indes vor­bei. In jüng­ster Zeit geriet das Glocken­schla­gen von ver­schie­de­ner Sei­te in Bedräng­nis, es ent­brann­ten teils hef­ti­ge öffent­li­che Debat­ten. «Lei­der wer­den die­se Streit­ge­sprä­che in einer Art und Wei­se geführt, die dem Kos­mos der Glocke nicht gerecht wer­den», kri­ti­sier­te Nadi­ne Schnei­der als Lei­te­rin von Forum Schloss­platz und äus­ser­te den Wunsch, dass die Aus­stel­lung «zu fach­kun­di­gen und viel­far­bi­gen Dis­kus­sio­nen bei­tra­gen» möge.Letz­te Glocken­gies­se­rei der Schweiz steht in Aar­au Der von Nadi­ne Schnei­der erwähn­te «Kos­mos» der Glocke erschliesst sich den Besu­che­rin­nen und Besu­chern der Aus­stel­lung in fünf, nach The­men geord­ne­ten Räu­men anhand von medi­al geschickt auf­be­rei­te­ten Infor­ma­tio­nen zu Her­kunft, kul­tu­rel­ler Bedeu­tung und Funk­ti­ons­wei­se von Glocken. Anhand einer inter­ak­ti­ven Kar­te las­sen sich bei­spiels­wei­se ver­schie­de­ne, regio­nal typi­sche Geläu­te auf­ru­fen und abspie­len. Wir ler­nen, dass im Mit­tel­land pen­ta­to­ni­sche Ton­fol­gen gesetzt wur­den, in der Inner­schweiz gros­se Bass­glocken ein­ge­setzt, in den roma­ni­schen Sprach­ge­bie­ten hin­ge­gen Geläu­te mit Ton­lei­ter­struk­tur ver­brei­tet sind. Ein­drück­li­che Bil­der von Wer­ner Rol­li, der im Auf­trag der Neu­en­bur­ger Denk­mal­pfle­ge den Guss eines voll­stän­di­gen Geläuts für Saint-Aubin in Aar­au doku­men­tier­te, illu­strie­ren die Ver­bin­dung von ele­men­ta­rem Hand­werk mit fein­gei­sti­gem Kunst­schaf­fen. Die Glocken­gies­se­rei Rüet­schi ist die letz­te in der Schweiz und ver­mag mit ihrer tra­di­tio­nel­len Arbeit auch im Inter­net­zeit­al­ter noch immer Men­schen zu fas­zi­nie­ren. «Das ist Tech­nik, die man ver­steht», schwärmt Aus­stel­lungs­be­su­che­rin Anne-Marie Nyf­fe­l­er. Die vor Jah­ren aus der Regi­on Bern Zuge­zo­ge­ne hat­te schon ein paar Mal die Mög­lich­keit, bei einem Glocken­guss in Aar­au dabei zu sein. Sie ver­dan­ke dies ihrem ehe­ma­li­gen Mathe­ma­tik-Leh­rer, der spä­ter Direk­tor der Glocken­gies­se­rei Rüet­schi wur­de.Sogar Kühe für Argu­men­ta­ti­on in Gei­sel­haft Auch mit dem Sym­bol­ge­halt der Glocke setzt sich die Aus­stel­lung aus­ein­an­der. Land­am­mann Urs Hof­mann erin­ner­te in sei­nem vor­ge­tra­ge­nen Gruss­wort zur Eröff­nung der Aus­stel­lung an die «Liber­ty Bell», die in den USA beim Ver­le­sen der Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung im Jah­re 1776 ertön­te und seit­her Glocken­klang mit dem Begriff Frei­heit ver­knüpft. Co-Kura­to­rin Sibyl­le Ehris­mann ver­wies auf den Saal mit den ver­schie­de­nen Zita­ten aus Wer­ken von Fried­rich Schil­ler, Paul Celan, Edgar Allen Poe, Vic­tor Hugo und Erich Käst­ner bis hin zu Pink Floyd und AC DC. Gleich neben­an geht es um die Glocken­kon­tro­ver­se. Auf einer Art Pla­kat­säu­le fin­den sich ver­schie­de­ne Zeug­nis­se, wel­che unter­schied­li­che Posi­tio­nen doku­men­tie­ren. Dar­un­ter auch ein Arti­kel, der Bezug auf eine Stu­die nimmt, gemäss derer Kühe bes­se­re Milch geben, wenn ihnen Glocken­klang jeg­li­cher Art erspart wird. Die Ver­fech­ter der­ar­ti­ger Theo­rien sowie aus­ge­mach­te Glocken­geg­ner such­te man an der Ver­nis­sa­ge zur Aus­stel­lung ver­ge­bens. Im Gegen­teil: Die mei­sten Anwe­sen­den wuss­ten von posi­ti­ven Erleb­nis­sen zu berich­ten. Ste­fa­nie Col­let aus Aar­au erzählt, wie ihre Mut­ter mit einer Glocke zum Abend­essen rief. Für Moni­ka Zür­cher aus Solo­thurn blie­ben hin­ge­gen die gros­sen Glocken in Erin­ne­rung. Sei es, dass sie am Sams­tag­nach­mit­tag Hoch­zei­ten und damit die von Kin­dern heiss ersehn­ten Feu­er­stein-Bon­bons ankün­dig­ten oder in spä­te­ren Jah­ren zur Unter­wei­sung der Kon­fir­man­den mahn­ten.Finan­zi­el­ler Zustupf der Aar­gau­er Lan­des­kir­chen 130 000 Fran­ken haben die ver­schie­de­nen Instal­la­tio­nen und inter­ak­ti­ven Sta­tio­nen der Aus­stel­lung geko­stet. Der Kan­ton Aar­gau hat den Löwen­an­teil über­nom­men, die bei­den Aar­gau­er Lan­des­kir­chen konn­ten sich mit je 5 000 Fran­ken betei­ligt, dem «Maxi­mal­be­trag für der­ar­ti­ge Pro­jek­te», wie Co-Kura­to­rin Sibyl­le Ehris­mann ver­si­chert. Das Ergeb­nis stiess bei den Ver­nis­sa­ge-Gästen auf Inter­es­se und Anklang. Das Gast­spiel in Aar­au dau­ert knapp drei Mona­te, dann tou­ren die Glocken­ge­schich­ten für zwei Jah­re durch die Schweiz, machen Sta­ti­on in Basel, Bern, Zürich und Neu­en­burg. «Die Glocke ist ein unend­li­ches The­ma», ver­such­te Sibyl­le Ehris­mann das The­ma der Aus­stel­lung auf den Punkt zu brin­gen. Inso­fern war wohl bald ein­mal klar, dass die Aus­stel­lung über Aar­au hin­aus auf Inter­es­see stos­sen wür­de. Denn bis in die hin­ter­sten Dör­fer unse­res Lan­des hän­gen sie hoch und klin­gen laut: Die Glocken.Öff­nungs­zei­ten: Mo, Fr und Sa von 12 ‑17 Uhr, Do von 12 — 20 Uhr und So von 11 ‑17 Uhr 24. und 25. Dezem­ber sowie an Neu­jahr geschlos­sen­Re­gel­mäs­si­ges Begleit­pro­gramm zu ver­schie­de­nen Aspek­ten der Ausstellung 
Andreas C. Müller
mehr zum Autor
nach
soben