Gemein­sam zur Meisterschaft

Behin­der­ten­sport fri­stet ein Schat­ten­da­sein. Allen­falls mit einer Olym­pia-Teil­nah­me wer­den Sport­ler mit Han­di­cap von einer brei­ten Öffent­lich­keit wahr­ge­nom­men. Umso erfreu­li­cher daher die finan­zi­el­le Unter­stüt­zung von Sei­ten des Aar­gaui­schen Katho­li­schen Frau­en­bun­des AKF.Woh­len Junk­holz an einem Frei­tag­abend, es ist 18 Uhr. Bei som­mer­li­chen Tem­pe­ra­tu­ren trai­niert eine knapp zwan­zig­köp­fi­ge Grup­pe auf der Aus­sen­an­la­ge. Die Sport­be­gei­ster­ten sind zwi­schen 16 und über 60 Jah­re alt, wie Trai­ne­rin Mar­lis Mei­er erklärt. Erst den zwei­ten Blick fällt auf, dass die Anwe­sen­den ein Han­di­cap haben. «Es sind Men­schen mit psy­chi­schen Lei­den oder einer gei­sti­gen Behin­de­rung», so Mar­lis Mei­er.Ein­ma­li­ge Unter­stüt­zung Trai­niert wird an die­sem Abend für die Aar­gau­er Mei­ster­schaft im Behin­der­ten­sport, die am 6. Sep­tem­ber 2015 in Woh­len im Sport­zen­trum Nie­der­mat­ten aus­ge­tra­gen wird. 200 Teil­neh­men­de aus allen Regio­nen des Kan­tons Aar­gau wer­den sich in zwölf Dis­zi­pli­nen mes­sen. Alle Teil­neh­men­den wäh­len für sich vier aus. In die­sem Jahr unter­stützt für ein­mal der Aar­gaui­sche Katho­li­sche Frau­en­bund AKF den Aar­gau­er Behin­der­ten­sport. Es han­delt sich um einen ein­ma­li­gen, nam­haf­ten Betrag. Über das Jah­res­mot­to «AKF unter­wegs» sei man dar­auf gekom­men, etwas Akti­ves, bzw. Sport zu unter­stüt­zen, erklärt Geschäfts­stel­len­lei­te­rin Clau­dia Bur­kard. Jahr für Jahr unter­stützt der AKF aus einem spe­zi­el­len Fonds jeweils ein beson­de­res Pro­jekt. «In die­sem Jahr erhiel­ten die acht regio­na­len Behin­der­ten­sport­grup­pen sowie der kan­to­na­le Dach­ver­band je tau­send Fran­ken», prä­zi­siert Clau­dia Bur­kard.Kei­ne Berüh­rungs­äng­ste Im Lei­ter­team an die­sem Abend in Woh­len arbei­tet auch Fabi­en­ne Hein­rich mit den Sport­lern. Mit 17 Jah­ren ist die Kan­ti-Schü­le­rin die jüng­ste Lei­te­rin. Zum Abschluss Ihrer Bezirks­schul­zeit hat die sie eine Arbeit über Behin­der­ten­sport geschrie­ben. Über ihre Mut­ter, selbst Behin­der­ten­sport­lei­te­rin, kam sie auf die­ses The­ma und ist als Lei­te­rin dabei­ge­blie­ben. Ihre Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen stau­nen, wenn sie von Fabi­en­ne erfah­ren, dass sie in ihrer Frei­zeit Sport­trai­nings für Men­schen mit Han­di­cap lei­tet. In Reak­tio­nen erhält der Teen­ager Respekt und Aner­ken­nung. Vor allem, weil die mei­sten Gleich­alt­ri­gen der Auf­fas­sung sind, dass das selbst nicht wagen und wohl auch nicht schaf­fen könn­ten. Man müs­se die­se Men­schen ein­fach so behan­deln wie alle ande­ren und offen sein, erklärt Fabi­en­ne Hein­rich ihr Erfolgs­re­zept. Dann räumt sie ein, sie sei zu Beginn schon auch unsi­cher gewe­sen. «Bei mei­nem ersten Trai­ning war ich 15 Jah­re alt und wuss­te nicht recht, wie ich auf die­se Men­schen zuge­hen soll. Und ja, die erzäh­len einem sehr schnell, was sie den­ken», erin­nert sich die Kan­ti-Schü­le­rin und lächelt. «Aber man moch­te mich und ich wur­de gefragt, ob ich wei­ter Trai­nings lei­ten wol­le.»Anstecken­de Begei­ste­rung «Bist du ein neu­er Lei­ter?», will plötz­lich ein hoch­ge­wach­se­ner Mann in gel­bem Shirt wis­sen. Neu­gie­rig hat er mein Gespräch mit den Lei­te­rin­nen ver­folgt. Der Mann mit dem auf­ge­stell­ten Lachen heisst Chri­stoph und ist 34 Jah­re alt, wie ich erfah­re. Wei­te­re Sport­le­rin­nen und Sport­ler umrin­gen mich, stel­len sich vor, fra­gen dies und das. Esther, 42 Jah­re alt, erzählt, dass sie so gern ins Tur­nen geht. Auch, «damit sie unter Leu­te kommt», wie sie meint. Tur­nen, das habe sie schon immer gemacht, fährt sie fort. An ver­schie­de­nen Mei­ster­schaf­ten habe sie zudem auch schon eine Medail­le gewon­nen. «Die­se Freu­de, Offen­heit und Ehr­lich­keit» mache es aus, erklärt Mar­lis Mei­er, wes­halb sie Woche für Woche Trai­nings für Men­schen mit Han­di­cap lei­tet. Ins­ge­samt 23 Lei­ten­de enga­gie­ren sich im Behin­der­ten­sport­club Woh­len-Lenz­burg. Selbst über zehn Jah­re aktiv in einem Turn­ver­ein, wur­de sie um die Jahr­tau­send­wen­de von einer ehe­ma­li­gen Turn­kol­le­gin ange­fragt, ob sie sich nicht vor­stel­len kön­ne, als Lei­te­rin beim Behin­der­ten­sport ein­zu­stei­gen. Seit­dem ist Mar­lis Mei­er dabei.Pfar­rer brach­te Stein ins Rol­len Dass es über­haupt Sport­an­ge­bo­te für Men­schen mit Behin­de­run­gen gibt, geht auf die Initia­ti­ve des refor­mier­ten Pfar­rers Dani­el Gri­vel zurück. Die­ser erkrank­te 1956 an Polio und begrün­de­te eine Bewe­gung, die ab 1977 als Schwei­ze­ri­scher Ver­band für Behin­der­ten­sport SVBS auf­trat. Seit dem Jah­re 2000 heisst der Ver­band «PluSport Behin­der­ten­sport Schweiz» und umfasst rund 90 Sport­grup­pen mit unge­fähr 12 000 akti­ven Sport­le­rin­nen und Sport­lern, betreut von etwa 2 000 ehren­amt­lich enga­gier­ten Lei­tungs­per­so­nen. Für die­se gibt es mitt­ler­wei­le sogar extra die Aus­bil­dung Behin­der­ten­sport­lei­ter/-in.Trotz Erfolg nicht inte­griert Mitt­ler­wei­le sind die Schat­ten län­ger gewor­den auf dem Trai­nings­ge­län­ge in Woh­len, es geht gegen 19 Uhr. Am Ran­de der Anla­ge ver­sam­meln sich wei­te­re Han­di­cap-Sport­ler für die zwei­te Trai­nings­ein­heit. Unter ihnen auch Sascha und Ani­ta, 23 und 25 Jah­re alt – Teil­neh­me­rin­nen an den Spe­cial Olym­pics in Los Ange­les 2015 und Medail­len­ge­win­ner. Die bei­den strah­len, wenn sie von ihren Erleb­nis­sen an den Wett­kämp­fen erzäh­len. Neun Medail­len habe man geholt, und das mit sechs Ath­le­tin­nen und Ath­le­ten, ver­kün­det Sascha stolz. Ent­spre­chend sport­lich gestal­tet sich auch das Trai­ning in der zwei­ten Ein­heit: Ein­lau­fen, Stret­ching. Wer nicht genau hin­schaut, erkennt kaum einen Unter­schied zu «nor­ma­len» Sport­le­rin­nen und Sport­lern. «Von der Lei­stung her kön­nen die Leu­te aus die­ser Grup­pe locker in einem nor­ma­len Sport­ver­ein mit­hal­ten», erklärt Mar­lis Mei­er. «Zwei aus die­ser Grup­pe haben das auch schon ver­sucht. Das Pro­blem war das Sozia­le. Auf­grund ihrer Behin­de­rung wur­den sie nicht inte­griert», bedau­ert die Trai­ne­rin. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen:www.plusport-aargau.chwww.frauenbund-aargau.ch  
Andreas C. Müller
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