Faul dür­fen wir erst im Para­dies wie­der sein

Faul dür­fen wir erst im Para­dies wie­der sein

Gera­de mal ein paar Zei­len ist er lang, der Text der Eid­ge­nös­si­schen Initia­ti­ve für ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men. So glatt er sich liest, so sehr for­dert er zum Nach­den­ken her­aus. Denn was die Initi­an­ten vor­le­gen ist eine Uto­pie, die unser Ver­ständ­nis der Arbeits­welt verändert.Am Anfang war das Cha­os. Doch Gott sprach und ord­ne­te das Durch­ein­an­der; er erschuf den Men­schen und was ihm sonst in den Sinn kam. Alles hät­te para­die­sisch blei­ben kön­nen, wäre der Mensch weni­ger neu­gie­rig oder weni­ger wider­spen­stig gewe­sen. Die Stra­fe für das mensch­li­che Ver­ge­hen im Para­dies: Raus­wurf, Arbeit und Geburts­schmerz. Gegen den Geburts­schmerz gibt es immer bes­se­re Medi­ka­men­te, deren Ver­wen­dung jeder Frau je nach Wunsch frei­ge­stellt ist, ohne dass dar­über mora­lisch geur­teilt wür­de. Bei der Arbeit sieht es anders aus: Lei­stung ist gut und wird belohnt, Faul­heit ist schlecht und wird bestraft. Wer nicht wei­ter­kommt, hat sich nicht genü­gend ange­strengt. Das fängt in der Schu­le an und nimmt im Arbeits­le­ben sei­nen Fort­gang. Die «Initia­ti­ve für ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men» will das nun ändern und prä­sen­tiert ein mög­li­ches «Medi­ka­ment» gegen den öko­no­mi­schen Zwang zur Arbeit.

Die Absicht ist gut, die Details sind unklar

Die Vor­stel­lung «Lohn nur für Arbeit» ist der­art tief in unse­ren Köp­fen ver­an­kert, dass die Initia­ti­ve, über die die Schwei­zer Stimm­bür­ger am 5. Juni 2016 abstim­men wer­den, wie pure Spin­ne­rei anmu­tet. Jeder Ein­woh­ner der Schweiz soll – ohne irgend­wel­che Bedin­gun­gen zu erfül­len – eine finan­zi­el­le Grund­la­ge erhal­ten, die ihm und ihr ein Leben in Wür­de ermög­licht.So bestechend die Idee, so unklar ist alles wei­te­re. Denn die paar  Zei­len Initia­tiv­text defi­nie­ren ledig­lich einen Grund­satz, legen nichts fest: Kei­ne Höhe des Grund­ein­kom­mens, kei­nen Finan­zie­rungs­weg. Zwar wer­den 2 500 Fran­ken pro Erwach­se­nen und 625 Fran­ken pro Kind bis 18 Jah­re dis­ku­tiert, doch die Idee ist, dass die letzt­end­li­che Höhe in einem demo­kra­ti­schen Pro­zess fest­ge­legt wer­den soll. Im Buch «Die Befrei­ung der Schweiz. Über das bedin­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men» und auf ihrer Inter­net­sei­te www.bedingungslos.ch erläu­tern die Initi­an­ten, wie sie sich ihre Idee vor­stel­len.Klar ist vor allem eines: Jeder Mensch soll monat­lich ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men erhal­ten – egal ob arm oder reich, jung oder alt, krank oder gesund. Die bestehen­den Löh­ne wür­den ent­spre­chend tie­fer aus­ge­han­delt, jeder zusätz­lich ver­dien­te Fran­ken kann behal­ten wer­den. Auf den ersten Blick hat also nur ein klei­ner Teil der Ein­woh­ner der Schweiz einen direk­ten finan­zi­el­len Mehr­wert. Doch dar­um geht es den Initi­an­ten letzt­lich auch nicht. Wich­tig ist in ihrem Ansatz, dass es ein Grund­ein­kom­men gibt, dass jeder Mensch unge­schul­det erhält und unter das er nicht fällt. Auch nicht, wenn er sei­nen Job ver­liert.Weil die­ses Geld alle erhal­ten, gibt es kei­ne Stig­ma­ti­sie­rung von Per­so­nen­grup­pen mehr, die aus den ver­schie­den­sten Grün­den aus dem Arbeits­markt fal­len. Das gesam­te Sozi­al­hil­fe­sy­stem könn­te ver­ein­facht wer­den. Und: Men­schen, die wis­sen, dass ihre grund­sätz­li­che Exi­stenz garan­tiert gesi­chert ist, kön­nen frei­er in Ver­hand­lung mit ihren Arbeit­ge­bern tre­ten.«Wir wol­len kei­nen gänz­lich neu­en Markt. Es geht auch nicht dar­um, dass alle das­sel­be ver­die­nen. Doch wenn jemand ein Grund­ein­kom­men hat, ist er in einer ande­ren Ver­hand­lungs­po­si­ti­on, wenn er zusätz­li­che Arbeit sucht. Das hat zur Fol­ge, dass der Markt spie­len kann», sagt Chri­sti­an Mül­ler, einer der Mit­in­iti­an­ten. Arbeit­ge­ber müss­ten dann ihrer­seits ver­mehrt dar­über nach­den­ken, was sie bereit sind, für bestimm­te Arbei­ten zu zah­len.

«Kir­che und Uto­pien – das passt doch!»

Was auf­fällt, in ver­schie­de­nen Dis­kus­sio­nen zum The­ma mel­den sich immer wie­der Theo­lo­gin­nen und Theo­lo­gen zu Wort. Die refor­mier­te Theo­lo­gin Ina Prä­to­ri­us ist Mit­glied des Initia­tiv­ko­mi­tees und die Ordens­schwe­ster Ingrid Gra­ve fin­det sich im Unter­stüt­zer­kreis.Im Aar­gau bie­tet der refor­mier­te Pfar­rer Reto Stu­der in der Gemein­de Kel­ler­amt ins­ge­samt drei Anläs­se zum The­ma an: «Auch wenn die Initi­an­ten aus der Sicht einer gros­sen Mehr­heit nicht die rich­ti­ge Ant­wort geben mögen: Ich bin über­zeugt, dass sie die rich­ti­gen Fra­gen stel­len! Die Kir­che soll mei­ner Mei­nung nach ein Ort sein, wo sol­che grund­sätz­li­chen Fra­gen ver­han­delt wer­den, und das möch­te ich mit mei­nen Lek­tü­re­aben­den sowie einem öffent­li­chen Vor­trag des Sozi­al­ethi­kers Hans Ruh ermög­li­chen. Kir­che und Uto­pien… das passt doch!»Dass das bedin­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men kein All­heil­mit­tel ist, ist dabei allen klar. «Das bedin­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men löst nicht schlag­ar­tig alle Pro­ble­me, son­dern ist ein Bau­stein inner­halb des umfas­sen­den Pro­jekts «Sozia­le und öko­lo­gi­sche Gerech­tig­keit», das viel mehr umfasst: Infra­struk­tur, Bil­dung, Umwer­tung…», sagt Ina Prä­to­ri­us.Der Theo­lo­ge und Sozi­al­ethi­ker Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki, Lei­ter des Sozi­al­in­sti­tuts KAB Zürich, sagt: «Aus christ­li­cher Sicht bringt die For­de­rung nach einem Grund­ein­kom­men so ziem­lich alle wich­ti­gen Merk­ma­le für eine gerech­te Gesell­schafts­ord­nung zusam­men. Es misst dem Men­schen vor jeder Arbeit den glei­chen Wert zu; es ist ein Zei­chen der Soli­da­ri­tät und es betrifft das Gemein­wohl­ver­ständ­nis, indem es für alle gleich gute Aus­gangs­be­din­gun­gen schaf­fen will.»Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki benennt, was auf Sei­ten der Geg­ner für Über­zeu­gun­gen ste­hen: Zunächst ein Men­schen­bild, wel­ches davon aus­geht, dass der Mensch im Grun­de faul ist und nur durch Druck und Zwang Bereit­schaft zeigt, sich krea­tiv und lei­stungs­be­reit für die Gemein­schaft ein­zu­set­zen. Wei­ter kri­ti­sie­ren die Geg­ner, dass nicht klar wird, wie das Grund­ein­kom­men finan­ziert wer­den soll.

Prag­ma­ti­sche Poli­ti­ker gegen phi­lo­so­phi­sche Utopie

Eben die­se Posi­tio­nen fin­den sich auch bei den Par­tei­en im Aar­gau. Sie haben ihre Paro­len zwar noch nicht gefasst, sind aber der Ten­denz nach gegen die Initia­ti­ve. Die Reak­tio­nen auf eine klei­ne Umfra­ge zei­gen die Haupt­ar­gu­men­te: «Arbeit muss sich loh­nen (auch finan­zi­ell)»; «der Wert der Arbeit wird unter­gra­ben»; «es fehlt der Anreiz, zu arbei­ten», schluss­end­lich «wer­den die Fau­len belohnt und die Fleis­si­gen bestraft». Es wird die Über­zeu­gung deut­lich, dass etwas, das ohne Bedin­gung zur Ver­fü­gung gestellt wird, ver­mut­lich eher Schlech­tes als Gutes im Men­schen wecken wird.Zur Argu­men­ta­ti­on wird in eini­gen Fäl­len über­dies die Bibel bemüht: «Seit der Ver­trei­bung aus dem Para­dies müs­sen wir unser täg­li­ches Brot mit Lei­stung ver­die­nen. Wir haben kei­ne Anzei­chen, dass eine Rück­kehr ins Para­dies kurz bevor stün­de», sagt Pas­cal Furer, Par­tei­se­kre­tär der SVP Aar­gau auf die Fra­ge, war­um die SVP die Nein-Paro­le ergrei­fen wer­de. Mari­an­ne Bin­der, Prä­si­den­tin CVP Aar­gau, bemüht den Thes­sa­lo­ni­cher­brief (2 Thess 3, 10) in dem Pau­lus auf die Regel hin­weist, dass, wer nicht arbei­ten will auch nicht essen soll. Damit wird gemäss Mari­an­ne Bin­der die Eigen­ver­ant­wor­tung und die Frei­heit betont und dass man sich nicht von ande­ren abhän­gig machen sol­le. Im Dien­ste der Gemein­schaft, die ihre schwäch­sten Mit­glie­der dann aber tra­gen soll, wenn sie es nicht sel­ber für sich tun können. Allein aus den Rei­hen der Jun­gen Grü­nen Aar­gau heisst es, dass auf kan­to­na­ler und natio­na­ler Ebe­ne viel­leicht die Stimm­frei­ga­be beschlos­sen wer­de, da die Initia­ti­ve zum Bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men nicht rich­tig ein­ge­ord­net wer­den kön­ne.Die Initia­ti­ve wird – so pro­phe­zei­en es Demo­sko­pen – am 5. Juni 2016 ver­mut­lich mit gros­ser Mehr­heit abge­lehnt wer­den. Die Fra­gen, die die Initia­ti­ve stellt, wer­den dadurch nicht ver­schwin­den. Einen Bei­trag von Ina Prä­to­ri­us zum The­ma Bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men fin­den Sie hier.Es gab bereits «Feld­ver­su­che» mit dem Grund­ein­kom­men. Hier fin­den Sie Berich­te über Dau­phin (Kana­da, 1974), Oti­jivero (Nami­bia 2008) und Plä­ne in Finn­land (2015).
Anne Burgmer
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