Fasten: «Ein Neu-Anfang mit­ten im Jahr!»

  • Fasten­grup­pen haben Tra­di­ti­on im Aar­gau. Zur Fasten­zeit tref­fen sich man­che bereits seit Jahr­zehn­ten. Hori­zon­te sprach mit drei Lei­tungs­per­so­nen: Bern­hard Lind­ner (Frick­tal), Sil­via Gygli (Woh­len) und Gud­run Schrö­der (Erlins­bach)
  • Einig sind sich die Befrag­ten, dass Fasten eine sehr berei­chern­de Erfah­rung sein kann und sich auch posi­tiv auf die Gesund­heit aus­wirkt. Dar­über, wie lan­ge man fasten soll und ab wann es gefähr­lich wird, gehen die Mei­nun­gen aller­dings auseinander.
 Wie lan­ge lei­ten Sie schon Fasten­grup­pen? Bern­hard Lind­ner: Schon über 15 Jah­re. Sil­via Gygli: Sicher schon über 25 Jah­re, aber nie allei­ne. Mei­stens zu zweit. Gud­run Schrö­der: Erst seit 2015. Aber ich faste bereits seit mehr als 10 Jah­ren.War­um fasten Sie? Bern­hard Lind­ner: Ich fin­de das Fasten eine gute Form der Unter­bre­chung: Raus aus gewohn­tem Kon­sum­ge­wohn­hei­ten. Oft neh­men wir uns doch ein­fach ein Stück zu essen, wäh­rend wir mit etwas beschäf­tigt sind. Gud­run Schrö­der: Das emp­fin­de ich auch so – den Unter­bruch aus mei­nem All­tag. Ein Anhal­ten und Inne­hal­ten. Das beinhal­tet ganz viel Aspek­te, die mir gut tun. Wie so ein Neu-Anfang mit­ten im Jahr. Wir sind doch so über­sät­tigt von allem.Wie kann Nah­rungs­ver­zicht zu einer guten Erfah­rung wer­den? Hun­ger bedeu­tet ja oft auch Unbe­ha­gen, ein Schwä­che­ge­fühl. Vie­le Men­schen sind gereizt, wenn sie hung­rig sind. Bern­hard Lind­ner: Fasten hilft mir, bewuss­ter zu essen, das Essen zu schät­zen, lang­sa­mer und bedäch­ti­ger zu essen, bes­ser zu kau­en. Und es macht mir bewusst, dass vie­le Men­schen gar nicht so selbst­ver­ständ­lich zu essen haben. Oder auch der Geschmack von Essen. Wie sehr schät­ze ich das eigent­lich noch? Nach dem Fasten ist das beson­ders inten­siv. Sil­via Gygli: Mir tut Fasten sehr gut. Ich bekom­me viel Kraft, um in Früh­ling zu star­ten und kom­me auch gut zur Ruhe. Fasten ist ein inten­si­ver inne­rer Pro­zess. Zudem erle­be ich immer wie­der bei ver­schie­de­nen Per­so­nen in unse­rer Grup­pe, die aus gesund­heit­li­chen Grün­den fasten müs­sen, eine ent­schei­den­de Ver­bes­se­rung ihres Gesund­heits­zu­stan­des. Bei­spiels­wei­se bei Gelenk­pro­ble­men oder Migrä­ne.Sie mei­nen: Fasten macht gesund? Sil­via Gygli: Man hat neue­re For­schun­gen, die bele­gen, dass län­ge­res Fasten sich sehr posi­tiv auf die Gesund­heit aus­wirkt. Und jene Frau, die vor mir die Fasten­grup­pe gelei­tet hat: Sie hat mit Fasten begon­nen, als sie an Brust­krebs erkrank­te. Das hat ihr gehol­fen, die Krank­heit zu über­win­den. Besag­te Per­son fastet regel­mäs­sig und ist jetzt bald 80 Jah­re alt.Län­ge­res Fasten? Wie lan­ge fasten Sie denn? Bern­hard Lind­ner: Wir machen das sechs Tage lang. Sil­via Gygli: Zehn Tage. Gud­run Schrö­der: 7 Tage, aber ich könn­te auch län­ger.… Es gibt aber Men­schen, die bis zu 14 Tage lang fasten.Und wie radi­kal prak­ti­zie­ren Sie das Fasten? Bern­hard Lind­ner: Die Idee bei uns ist, dass wir auf Essen grund­sätz­lich ver­zich­ten. Flüs­si­ge Nah­rung geht – aber nicht in Form von pürier­ten Lebens­mit­teln. Du trinkst Was­ser, Tee, Frucht­saft und spe­zi­el­le Sup­pen. Das heisst: Das in der Sup­pe gekoch­te Gemü­se bleibt nicht drin. Sil­via Gygli: Ich trin­ke wäh­rend die­ser zehn Tage nur Tee und Was­ser. Bevor ich das aber mache, muss ich wäh­rend einer Woche lang­sam die Nah­rungs­zu­fuhr redu­zie­ren. Wei­ter neh­me ich in die­ser Zeit schon kein Eiweiss mehr zu mir, auch nichts Süs­ses. Und Alko­hol trin­ke ich dann auch kei­nen. Gud­run Schrö­der: Eine gute Vor­be­rei­tung fin­de ich auch sehr wich­tig – auch die Darm­rei­ni­gung. Das mache ich mit Magne­si­um­sul­fat. Ist das Hun­ger­ge­fühl mal rich­tig stark, dann kann man durch­aus auch einen Löf­fel Honig zu sich neh­men oder ein wenig Natur­jo­ghurt.Aber dann fastet man doch nicht. Gud­run Schrö­der: Man kann auf ver­schie­de­ne Art und Wei­se fasten. Das muss nicht zwin­gend gänz­li­cher Nah­rungs­ver­zicht bedeu­ten, son­dern kann ver­schie­de­ne For­men haben, bei­spiels­wei­se mit Teil- oder Basen­fa­sen, wo nur basi­sche Lebens­mit­tel geges­sen wer­den. Aus eige­ner Erfah­rung weiss ich aller­dings: Wenn man sich ent­schie­den hat, gar nichts zu essen, hält man auch durch, und dann kommt das Hun­ger­ge­fühl nicht so auf.Aber an zehn Tagen oder lan­ger gar nichts zu essen: Ist das nicht gefähr­lich? Sil­via Gygli: Soviel ich weiss, erst ab 40 Tagen… Bern­hard Lind­ner: Es geht einem ja auch nicht schlecht beim Fasten, denn der Kör­per schüt­tet Glücks­hor­mo­ne aus. Aber ich mei­ne, län­ger als 10 Tage soll­te man nicht fasten.Sicher auch, weil das nicht all­tags­taug­lich ist. Sil­via Gygli: Wir hat­ten bei uns in der Fasten­grup­pe immer wie­der berufs­tä­ti­ge Per­so­nen. Arbeit und Fasten, das schliesst sich nicht aus. Man kann, wenn man fastet, gut arbei­ten, ja auch Sport trei­ben. Bern­hard Lind­ner: Auch bei mir in der Grup­pe sind Leu­te, die arbei­ten: Als Buch­hal­ter, am Bahn­hofs­ki­osk. Man ist nicht so spit­zen­mäs­sig drauf, aber man kommt kräf­te­mäs­sig gut durch den Tag. Es stel­len sich eher sozia­le Her­aus­for­de­run­gen.Die da wären? Bern­hard Lind­ner: Wenn man mit den Kol­le­gen nicht mehr über den Mit­tag isst, kann das schon für Irri­ta­ti­on sor­gen.Und im Lau­fe einer Fasten­wo­che: Was ver­än­dert sich da? Bern­hard Lind­ner: Je län­ger man fastet, umso eher spürt man, dass man an Schwung ver­liert. Span­nend ist aber, dass die Sen­si­bi­li­tät zunimmt. Man riecht bes­ser, gera­de wenn es irgend­wo Essen hat. Man wird auch sen­si­bler. Aus die­sem Grund soll­te man viel­leicht nicht in einer Woche fasten, in der man Kon­flik­te klä­ren muss oder Stress hat. Gud­run Schrö­der: Das erle­be ich auch so. Ich wer­de deut­lich sen­si­bler. Und die Ach­tung vor dem Essen ver­än­dert sich. Ich erin­ne­re mich, wie es eine Kol­le­gin wäh­rend einer Fasten­wo­che beschäf­tigt hat, dass ein Kind einen nicht zu Ende geges­se­nen Apfel weg­ge­wor­fen hat.Aber wenn man über eine Woche nichts isst, hat man da eigent­lich noch Ver­dau­ung und geht auf die Toi­let­te? Bern­hard Lind­ner: Ja, doch. Man soll­te zudem alle zwei Tage auf die Toi­let­te. Mit Hil­fe von Ein­läu­fen und Sau­er­kraut­saft kann man die Ver­dau­ung anre­gen.Aber man ver­daut doch gar nichts. Bern­hard Lind­ner: Man schaut dann, dass man sich ent­leert. Der Kör­per lebt dann von den Reser­ven – Fett und ande­res wird dann ver­daut…Und bau­en sich nicht die Mus­keln ab? Sil­via Gygli: Für mich ist das die typi­sche Het­ze­rei gegen das Fasten. Gewiss kann es sein, dass man ein wenig ver­liert. Aber her­nach hat man das schnell wie­der.Wie sind Sie eigent­lich dazu gekom­men, eine Fasten­grup­pe zu lei­ten? Bern­hard Lind­ner: Das hat sich so erge­ben. Als ich im Frick­tal Erwach­se­nen­bild­ner war, gab es dort eine Fasten­grup­pe. Ich habe da mit­ge­macht und die Lei­tung über­nom­men. Sil­via Gygli: Bei mir war das auch so. Ich habe mit­ge­macht und dann im Team mit­ge­lei­tet und schritt­wei­se mehr Ver­ant­wor­tung über­nom­men. Gud­run Schrö­der: Das ent­stand aus einem Modul in der Erwach­se­nen­bil­dung. Das Fasten war mei­ne Pro­jekt­ar­beit. Und das habe ich dann in Erlins­bach initi­iert.Fasten Frau­en eher als Män­ner? Gud­run Schrö­der: Ja, doch. Män­ner machen das eher sel­te­ner.Und was ist mit dem spi­ri­tu­el­len Aspekt? Die Fasten­grup­pen fasten ja in der Fasten­zeit. Bern­hard Lind­ner: Eine Fasten­wo­che ist ein ganz­heit­li­cher spi­ri­tu­el­ler Pro­zess. Gud­run Schrö­der: Ich bin Kate­che­tin, dar­um ist mir das sehr wich­tig. Ich stel­le jede Fasten­wo­che unter ein Mot­to und ver­knüp­fe das auch mit der Fasten­kam­pa­gne. Die­ses Jahr fasten wir unter dem Mot­to «bewegt». Dazu habe ich auch eine bibli­sche Geschich­te aus­ge­sucht: Esther. Sie wird uns beglei­ten. Sil­via Gygli: Wir tref­fen uns ja jeden Abend in der Grup­pe, spre­chen über ein The­ma und machen eine Medi­ta­ti­on. Ich hal­te das aber sehr offen, denn wir haben sowohl Katho­li­ken, Refor­mier­te als auch Kir­chen­fer­ne in der Grup­pe.Darf eigent­lich jeder fasten? Sil­via Gygli: Nur Gesun­de. Wer krank ist, soll­te nur mit ärzt­li­cher Beglei­tung fasten.Täuscht es, oder ist das Fasten in der Zwi­schen­zeit wie­der belieb­ter gewor­den? Bern­hard Lind­ner: Ich neh­me kei­nen spe­zi­el­len «Run» wahr. Sil­via Gygli: Ich habe schon das Gefühl, dass es hier im Frei­amt wie­der im Kom­men ist. Zudem: Im Trend sind Fasten­wo­chen, wo man irgend­wo hin­fährt und sich dann für eine Woche aus­klinkt. Wir machen das ja hier sehr all­tags­nah. Gud­run Schrö­der: Ja, ich habe schon das Gefühl, dass es immer mehr Grup­pen gibt. Gera­de die Ver­lin­kung mit der Fasten­op­fer­sei­te «Sehen und Han­deln» brach­te mir eini­ge Neu-Anmel­dun­gen – auch aus der erwei­ter­ten Regi­on.Wie vie­le Leu­te haben Sie denn in Ihrer Grup­pe? Gud­run Schrö­der: Meist um die zehn Per­so­nen. Sil­via Gygli: Bei uns sind es regel­mäs­sig um die 20 Per­so­nenWas emp­feh­len Sie jeman­den, der zum ersten Mal fasten möch­te? Gud­run Schrö­der: Es ist wie beim Berg­stei­gen: Allein kann es gefähr­lich sein, in der Grup­pe ist es ein­fa­cher. Und man ist in der Grup­pe gut auf­ge­ho­ben und hat Ansprech­per­so­nen. Denn Fasten kann durch­aus anstren­gend sein.
Andreas C. Müller
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