Pfar­reiv­a­kan­zen: «Es ist fünf nach zwölf»

  • Ange­sichts des anhal­ten­den Man­gels an Seel­sor­ge­per­so­nal ist die Zeit der Not­lö­sun­gen vorbei.
  • Um dem Pro­blem zu begeg­nen, müs­sen Haupt­amt­li­che, Behör­den und Frei­wil­li­ge gemein­sam neue Wege gehen.
 Im ver­gan­ge­nen Herbst publi­zier­ten die Kir­chen­pfle­gen und Pfar­rei­rä­te von Wet­tin­gen und Würen­los im Pfar­rei­en­teil von Hori­zon­te eine Mit­tei­lung. Zwi­schen den Zei­len war eine Ver­zweif­lung her­aus­zu­le­sen, die hell­hö­rig mach­te: «In unse­rer Pasto­ral­raum­ein­heit sind im Moment 250 Stel­len­pro­zen­te nicht besetzt. Unser Seel­sor­ge­team ist bis über die Gren­ze des Zumut­ba­ren bela­stet. Die drei Lit­ur­gen kön­nen nicht all die Arbeit erle­di­gen, die vor den Som­mer­fe­ri­en sechs Lit­ur­gen gelei­stet haben.»

Die Situa­ti­on ver­schärft sich

Zwar ist in Wet­tin­gen die Situa­ti­on beson­ders pre­kär, jedoch steht die Kirch­ge­mein­de mit ihren Per­so­nal­pro­ble­men nicht allei­ne da. Clau­dia Men­nen von der Fach­stel­le Bil­dung und Prop­stei erwähn­te an der letz­ten Herbst­syn­ode in einem Refe­rat, dass sich meh­re­re Aar­gau­er Pfar­rei­en Sor­gen um den Wei­ter­be­stand der Seel­sor­ge machen. Mit gutem Grund, denn das Per­so­nal­amt des Bis­tums sprach von 140 Seel­sor­gen­den, die in den kom­men­den fünf Jah­ren in Pen­si­on gehen. Dem­ge­gen­über steht ledig­lich eine klei­ne Zahl von Berufs­ein­stei­gern.

Es geht um die Men­schen vor Ort

«Wer sich ange­sichts der Vakan­zen dar­um sorgt, wie es vor Ort in den Pfar­rei­en wei­ter­ge­hen soll, der sorgt sich nicht in erster Linie um den Fort­be­stand der Insti­tu­ti­on, son­dern dar­um, wie Men­schen in Kri­sen und Über­gangs­si­tua­tio­nen wie Geburt, Erwach­sen­wer­den, Hei­ra­ten, Krank­sein und Ster­ben ritu­ell und reli­gi­ös beglei­tet wer­den», beton­te Clau­dia Men­nen an der Herbst­syn­ode. Die Leben­dig­keit der Pfar­rei­en und die Wei­ter­ga­be des Evan­ge­li­ums ste­hen auf dem Spiel.

Das System ist gekippt

Ray­mond Alva­rez hat kei­nen leich­ten Job. Der Wet­tin­ger Kir­chen­pfle­ger ist ver­ant­wort­lich für das Res­sort Per­so­nal. Kaum ist ein Got­tes­dienst abge­deckt, fehlt an einem ande­ren Ort wie­der ein Prie­ster. Auf der Suche nach einer neu­en Gemein­de­lei­tung hat­te ein Bewer­ber den Satz gesagt, der Ray­mond Alva­rez geblie­ben ist: «Es ist nicht fünf vor zwölf, wie man zu sagen pflegt. Es ist fünf nach zwölf». Die Zeit hat sich gewen­det, das System ist gekippt. Ray­mond Alva­rez sagt: «Ich kom­me weg von Not­fall­lö­sun­gen und begin­ne stra­te­gisch zu über­le­gen. Auch das Bis­tum kann uns nicht hel­fen. Es liegt nun an uns sel­ber, unser Über­le­ben in die Hand zu neh­men.»

Lösungs­an­sät­ze

In der Dia­ko­nie und für kate­che­ti­sche Auf­ga­ben kön­ne man zum Bei­spiel Per­so­nen ohne Berufs­ein­füh­rung aber mit theo­lo­gi­schem Hin­ter­grund ein­set­zen. Gute Erfah­run­gen macht Wet­tin­gen aktu­ell mit einer Kate­che­tin in Aus­bil­dung, die im Sin­ne einer «Lei­tungs­as­si­stenz» admi­ni­stra­ti­ve und orga­ni­sa­to­ri­sche Auf­ga­ben über­nimmt und so die Pasto­ral­as­si­sten­ten ent­la­stet. «Wir kön­nen uns vor­stel­len, dass sich die­se Lösung bei uns eta­bliert», sagt Kir­chen­pfle­ger Ray­mond Alva­rez.

Bis­tum Basel: Pasto­ral­as­si­sten­tin­nen statt Priester

Wie die Erhe­bun­gen des Schwei­ze­ri­schen Pasto­ral­so­zio­lo­gi­schen Insti­tuts (SPI) zei­gen, sind die Schwei­zer Bis­tü­mer in den letz­ten 30 Jah­ren unter­schied­lich mit dem Rück­gang an Prie­stern umge­gan­gen. Die Bis­tü­mer Basel und St. Gal­len haben einen ver­gleich­ba­ren Weg ein­ge­schla­gen. Dort ist die Zahl der in den Pfar­rei­en täti­gen Diö­ze­san­prie­ster in den letz­ten dreis­sig Jah­ren um mehr als die Hälf­te bezie­hungs­wei­se um rund 60 Pro­zent zurück­ge­gan­gen. Bei­den Diö­ze­sen gelang es durch den ver­stärk­ten Ein­satz von Pasto­ral­as­si­sten­tin­nen und ‑assi­sten­ten und Dia­ko­nen in der Pfar­rei­seel­sor­ge den Prie­ster­rück­gang abzu­fe­dern.Im Bis­tum Basel stieg der Anteil der Pasto­ral­as­si­sten­ten am Seel­sor­ge­per­so­nal in den Pfar­rei­en seit 1983 von gut zehn Pro­zent auf 40 Pro­zent an, wäh­rend sich der Anteil der Diö­ze­san­prie­ster von 76 Pro­zent mehr als hal­bier­te. Das Bis­tum Basel weist zudem mit 14% den höch­sten Anteil an Dia­ko­nen auf. Die bei­den Bis­tü­mer Basel und St. Gal­len wei­sen mit je knapp einem Fünf­tel den höch­sten Frau­en­an­teil unter den Pfar­rei­seel­sor­gen­den auf.

Aus­bil­dungs­lei­ter: Eine drän­gen­de Frage

In der Berufs­ein­füh­rung der ange­hen­den Pasto­ral­as­si­sten­tin­nen und ‑assi­sten­ten muss  der Per­so­nal­man­gel in den Pfar­rei­en eben­falls The­ma sein. Die jun­gen Seel­sor­gen­den müs­sen auf die her­aus­for­dern­de Situa­ti­on im Span­nungs­feld zwi­schen Erwar­tun­gen und per­sön­li­chen Res­sour­cen vor­be­rei­tet sein. Dr. Agnell Ricken­mann, Regens und Lei­ter des Nach­di­plom­stu­di­ums Berufs­ein­füh­rung an der Uni­ver­si­tät Luzern, sagt auf Anfra­ge: «Wir sind uns im Aus­bil­dungs­team sehr bewusst, dass die per­so­nel­le Situa­ti­on, im Hin­blick auf die Unter­be­set­zung vie­ler­orts eine drän­gen­de Fra­ge ist. Ich den­ke, dass die Absol­ven­ten der Berufs­ein­füh­rung schon sel­ber mit dem Wis­sen um  die­se Per­so­nal­si­tua­ti­on ein­stei­gen. Daher ist es nicht erste Prio­ri­tät die Fra­ge exklu­siv  zu the­ma­ti­sie­ren. Den­noch  spre­chen wir dar­über und in ein­zel­nen Modu­len der Aus­bil­dung wird die Fra­ge the­ma­ti­siert und auch über­legt, wie hier­bei auch etwas ver­än­dert wer­den kann».Der Aus­bil­dungs­lei­ter betont auch: «Wenn wir weni­ge Leu­te haben, dann ist es beson­ders wich­tig, dass die­se Leu­te wirk­lich gut aus­ge­bil­det sind und nicht bei Qua­li­tät und Zeit der Aus­bil­dung gespart wird, weil sonst die Gefahr besteht, dass an sich gute Leu­te nach ein oder zwei Jah­ren wie­der aus­stei­gen, oder in einem Burn­out enden, weil ver­schie­de­ne Aspek­te — gera­de auch im Umgang mit  Druck­si­tua­tio­nen durch hohe Arbeits­be­la­stung — vor­her nicht geklärt wer­den konnten».
Marie-Christine Andres Schürch
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