Es geschieht beim Loslassen

Es geschieht beim Loslassen

Mar­kus 10,29–30

Jesus ant­wor­te­te: Amen, ich sage euch: Jeder, der um mei­net­wil­len und um des Evan­ge­li­ums wil­len Haus oder Brü­der, Schwe­stern, Mut­ter, Vater, Kin­der oder Äcker ver­las­sen hat, wird das Hun­dert­fa­che dafür emp­fan­gen. Jetzt in die­ser Zeit wird er Häu­ser und Brü­der, Schwe­stern und Müt­ter, Kin­der und Äcker erhal­ten, wenn auch unter Ver­fol­gun­gen, und in der kom­men­den Welt das ewi­ge Leben.

Ein­heits­über­set­zung 2016 

Es geschieht beim Loslassen

Im Mar­kus­evan­ge­li­um folgt die­se Ant­wort von Jesus an Petrus und die Jün­ger auf die Begeg­nung mit dem rei­chen Mann, der alle Gebo­te ein­hält und von Jesus auf­ge­for­dert wird, all sein Gut zu ver­kau­fen und den Armen zu geben. Die Ver­heis­sung des hun­dert­fa­chen Lohns wird ger­ne für Frau­en und Män­ner gebraucht, die sich ganz beson­ders in den Dienst von Gott und den Men­schen gestellt haben. Aber wie ist es für uns, wenn wir die­ses Jesus­wort hören?Viel­leicht kön­nen wir von uns nicht sagen, dass wir alles getan haben für die Gerech­tig­keit und für die lei­den­den Men­schen. Der rei­che Mann im Evan­ge­li­um hat wirk­lich sehr viel getan, und den­noch reicht auch das noch nicht? Da schleicht sich bei uns doch fast not­ge­drun­gen das Gefühl ein, dass wir nicht genü­gen. Und schon hören oder lesen wir über den Sinn von Jesu Ant­wort hin­weg.Im Rat­schlag an den geset­zes­treu­en, rei­chen Mann geht es um den Weg zum wah­ren Leben. Jesus trug ihm nicht auf, was er aus­ser sei­nen bis­he­ri­gen Bemü­hun­gen auch noch zu tun habe, son­dern was er auf­ge­ben und ver­las­sen müs­se. Es geht nicht um etwas Zusätz­li­ches, um ein «Noch mehr», son­dern um das Leer­wer­den, um das Wesent­li­che zu emp­fan­gen. Die Fül­le des Lebens lässt sich nicht erar­bei­ten. Sie erwar­tet uns, wenn wir los­las­sen, was uns gelun­gen und was uns wider­fah­ren ist. Wir ver­die­nen sie weder durch unser Enga­ge­ment, durch unse­re besten Sei­ten, noch durch das, was wir im Leben erfah­ren muss­ten, auch nicht durch see­li­sches und kör­per­li­ches Lei­den. «Jetzt, in die­ser Zeit», so das Jesus­wort, erhal­ten wir ein erfüll­tes Leben, wenn auch unter Schwie­rig­kei­ten, und wohl auch das ewi­ge Leben.Sze­nen­wech­sel. Kürz­lich, eine leuch­ten­de Schlag­zei­le am Haupt­bahn­hof Zürich: «Es ist bes­ser für Sie, freund­lich zu sein als reich.» Wow!, dach­te ich. Was ist damit gemeint? Der Gedan­ke stammt aus einem Inter­view mit einem Anthro­po­lo­gie­pro­fes­sor. Durch Koope­ra­ti­on und Freund­lich­keit, so meint er, errei­chen wir mehr. Es ist anstecken­der für das Mit­ein­an­der, wenn wir den Stil der Freund­lich­keit bei­be­hal­ten … Ich wür­de sogar sagen, es bringt uns wei­ter, uns selbst und unse­re Umge­bung.Zurück zum Evan­ge­li­um. Das Enga­ge­ment des rei­chen Man­nes, die Hin­ga­be der Hei­li­gen, sie führ­ten und füh­ren in die Tie­fe des Lebens. So wie beim hei­li­gen Hie­ro­ny­mus Ämi­lia­ni, der trotz des frü­hen Ver­lu­stes sei­nes Vaters und trotz spä­te­rer Kriegs­ge­fan­gen­schaft ein Bru­der und Freund der ver­las­se­nen Kin­der und Jugend­li­chen wur­de, gibt es im Leben ein «Dar­über hin­aus». Ein Mit­ein­an­der statt ein Gegen­ein­an­der. «Jetzt, in die­ser Zeit» (Mar­kus 10,30) kommt die Erfül­lung des Lebens uns ent­ge­gen. Unschein­bar sind die Momen­te der Freund­lich­keit und unschein­bar die Augen­blicke des Frie­dens. Es geschieht beim Los­las­sen.Beim Hören der Musik aus dem Radio glei­tet mein Blick durch das Fen­ster in den Him­mel, wo in die­sem Moment ein Vogel kreist. So ruhig wie die Musik, wie ein gemein­sa­mer Tanz.Anna-Marie Fürst, Theo­lo­gin, lang­jäh­ri­ge Gefäng­nis­seel­sor­ge­rin, frei­wil­li­ge Seel­sor­ge­rin in der Pre­di­ger­kir­che Zürich   
Christian von Arx
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