«Entzieht dem Präsidenten die Dossiers!»
- Gestern Dienstag, 17. Mai, fand die ausserordentliche Kirchgemeindeversammlung der Kirchgemeinde Gebenstorf-Turgi statt. Traktandiert waren die Rechnung 2020 und das Budget 2022, die im letzten November von den Stimmberechtigten abgelehnt worden waren.
- Die in der Rechnung 2020 präsentierten Zahlen warfen viele Fragen auf, die an diesem Abend unbeantwortet blieben, weil die Hauptverantwortlichen abwesend waren. Die Rechnung wurde erneut abgelehnt. Nun muss der Kirchenrat der katholischen Landeskirche darüber entscheiden.
- Das Budget 2022 wurde einstimmig angenommen. Damit wurde die neu zusammengesetzte Kirchenpflege darin bestärkt, die Versäumnisse der Vergangenheit aufzuarbeiten.
«Auf diese Frage können wir Ihnen zurzeit leider keine Antwort geben.» Diesen Satz wiederholte Andreas Zillig, seit einem Jahr Mitglied der Kirchenpflege in Gebenstorf-Turgi, öfter, als ihm lieb war. Nachdem an der letzten Kirchgemeindeversammlung im November drei neue Mitglieder in die Kirchenpflege Gebenstorf-Turgi gewählt worden waren, ist das Gremium nun mehrheitlich besetzt mit Leuten, die im Rechnungsjahr 2020 noch nicht im Amt waren. Die sich aber schon länger zu einer Initiativgruppe formiert hatten und den Kurs der damaligen Kirchenpflege kritisch hinterfragten.
Teilweise massiv überschrittene Konten
Die Hauptverantwortlichen für die zur Abstimmung vorliegende Rechnung, Kirchenpflegepräsident Daniel Ric und der Finanzverantwortliche Igor Kos, fehlten. Sie hatten sich von der Versammlung abgemeldet.
Die neu zusammengesetzte Kirchenpflege legte den Stimmberechtigten die Rechnung 2020 noch einmal vor. «Zwar in den Zahlen unverändert, aber mit vielen zusätzlichen Erläuterungen zu den teilweise massiv überschrittenen Konten», wie sie in der Einladung schrieb.
Mühsame Kleinarbeit
[esf_wordpressimage id=38076 width=half float=right][/esf_wordpressimage]Die Erläuterungen brachten teilweise Klärung, warfen aber gleichzeitig viele neue Fragen auf. So erklärt sich der um rund 33’000 Franken überschrittene Voranschlag beim Posten «Kompetenzgeld der Kirchenpflege» damit, dass der Betrag von der damals verantwortlichen Kirchenpflege für Anwaltskosten ausgegeben worden war: unter anderem für ein Rechtsgutachten zur Klärung des Anstellungsvertrags von Pater Adam Serafin. Die Rechtmässigkeit des Vertrags war von Kirchenpflegepräsident Daniel Ric angezweifelt worden.
Die detaillierte Durchleuchtung der einzelnen Rechnungsposten bescherte den neuen Kirchenpflegemitgliedern nach eigenen Aussagen mühsame Kleinarbeit: fehlende Protokolle oder Arbeitsverträge machen es schwierig, die damals gefällten Entscheide nachzuvollziehen. Dies zeigte sich exemplarisch am Posten «Besoldung Pfarreisekretariat». Weil die Pfarreisekretärin aufgrund längerer Krankschreibung ausfiel, gingen rund 33’000 Franken an einen Aushilfssekretär. Offen blieben aber die Fragen, wer ihn warum angestellt hat und was seine Aufgaben waren. «Auf diese Frage kann ich Ihnen zurzeit keine Antwort geben», war die so ehrliche wie ernüchternde Antwort auf die Fragen der Stimmberechtigten.
Kritik traf die Falschen
Diese Auskunft stellte die in der katholischen Kirche Gebenstorf Versammelten nicht zufrieden. Der einzige anwesende Kirchenpfleger, der im Rechnungsjahr 2020 bereits im Amt war gewesen war, wurde verbal schwer angegriffen, die Voten der Stimmberechtigten liessen keinen Zweifel offen, was sie von der Geschäftsbesorgung der verantwortlichen Kirchenpflege und insbesondere ihres Präsidenten hielten. Von Schlamperei war die Rede, vom Missbrauch der Steuergelder und massiven Kompetenzüberschreitungen. Die Zahlen legen nahe, dass grobe Verfehlungen passiert sein müssen und die Kontrollinstanzen wie die Finanzkommission nicht korrigierend eingriffen. Frustrierend für die versammelten Kirchgemeindemitglieder war, dass niemand die Verantwortung für die Kostenüberschreitungen übernahm und die Kritik mit der neu formierten Kirchenpflege die Falschen traf. «Entzieht dem Präsidenten die Dossiers!», schlug jemand vor und traf auf breite Zustimmung.
Die Wortmeldungen offenbarten auch, dass der jahrelange Konflikt um die Gestaltung der Gottesdienste und des Gemeindelebens zwischen Pater Adam Serafin und Daniel Ric einerseits und der Initiativgruppe andererseits tiefe Verletzungen hinterlassen hat. Langjährige Mitarbeiter verliessen die Kirchgemeinde, andere traten aus der Kirche aus. Nun fehlt Geld und die Beschimpfungen und Beleidigungen sind nicht vergessen.
Eucharistiefeiern und Wortgottesdienst nicht gegeneinander ausspielen
Das Kirchenverständnis des Salvatorianerpaters Adam Serafin wirkte sich nicht nur negativ auf die Stimmung in den Pfarreien aus, sondern riss auch ein Loch in die Kasse der Kirchgemeinde. Eine Recherche der neuen Kirchenpflegemitglieder zeigte, dass im Jahr 2020 die Ausgaben für Aushilfspriester 129’000 Franken betrugen, statt der budgetierten 20’000. Dies, weil Präsident Daniel Ric und Pater Adam Serafin den damaligen Diakon Peter Daniels keine Wortgottesdienste mehr halten liessen und stattdessen das Angebot an Eucharistiefeiern mit Hilfe externer Priester massiv ausbauten. So fanden im Januar 2020 sieben Eucharistiefeiern statt, im Dezember war deren Zahl auf 47 gestiegen.[esf_wordpressimage id=38082 width=half float=left][/esf_wordpressimage]
«Spielen wir Eucharistiefeiern und Wortgottesdienste nicht gegeneinander aus!», mahnte Hanspeter Schmidt. Kaplan Schmidt ist seit Anfang April als Pfarradministrator in Gebenstorf und Turgi eingesetzt. «Gott wägt nicht ab, ob wir Heilige Messe oder Wortgottesdienst feiern – ihm ist wichtig, dass Menschen zusammenkommen und feiern.» Auch Hilde Seibert, seit letztem November Mitglied der Kirchenpflege, betonte: «Wir sind keinesfalls gegen die Eucharistie. Sie hat einen Wert für uns. Einen Wert hat aber auch die Verantwortung gegenüber unseren Stimmbürgern. Und hinter den massiven Budgetüberschreitungen können wir neuen Kirchenpflegemitglieder nicht stehen.»
Jetzt entscheidet der Kirchenrat
Die Kirchenpflege beantragte Ablehnung der Rechnung und die rund 100 Stimmberechtigten folgten dem Antrag fast einstimmig. Die «Verordnung über den Finanzhaushalt der Römisch-Katholischen Kirchgemeinden» besagt, dass in diesem Fall die Rechnung an den Kirchenrat der Landeskirche weitergeleitet wird, der endgültig entscheidet.
Der Voranschlag für das Jahr 2022 wurde überarbeitet und an der Versammlung nochmals vorgelegt. Die vorgesehenen Ausgaben wurden jedoch nicht gekürzt, sondern mit zusätzlichen Ausgaben versehen, welche die Kirchenpflege ebenfalls genauer erklärte. Insbesondere betonte sie die Notwendigkeit eines neuen Schliesssystems, weil die Schlüssel zu den Pfarreigebäuden nicht systematisch erfasst sind und die Kontrolle darüber, wer Zugang zu den Räumlichkeiten hat, verloren gegangen ist. [esf_wordpressimage id=38079 width=half float=right][/esf_wordpressimage]
Versammlung vertraut auf neu formierte Kirchenpflege
Das Chaos mit den Schlüsseln steht stellvertretend für die vielen Versäumnisse der Kirchenpflege in den letzten Jahren. «Es ist zu befürchten, dass weitere blinde Flecken zum Vorschein kommen», schloss Andreas Zillig seine Ausführungen. Die Versammlung genehmigte das Budget 2022 ohne Gegenstimme und gab damit dem Vertrauen und der Hoffnung Ausdruck, dass die Kirchenpflege in neuer Zusammensetzung mit vereinten Kräften versuchen wird, Ordnung in die Geschäfte zu bringen.