«Elsy, schreib doch ein Buch!»

«Elsy, schreib doch ein Buch!»

  • Seit 27 Jah­ren setzt sich Elsy Ams­ler für die Men­schen in der Pro­vinz Homa Bay Coun­ty in Kenia ein.
  • Schwer­punk­te der Elsy Ams­ler-Stif­tung sind der Zugang zu Trink­was­ser, Schul­bil­dung und Gesundheitsversorgung
  • Für die­ses Lebens­werk erhielt die 79-Jäh­ri­ge aus Kai­sten ver­gan­ge­ne Woche den Frau­en­preis des Aar­gaui­schen Katho­li­schen Frau­en­bunds (AKF)
 Ver­gan­ge­nen Frei­tag erhielt Elsy Ams­ler den mit 20 000 Fran­ken dotier­ten AKF-Frau­en­preis. Beim Inter­view mit Hori­zon­te zückt sie ihr Smart­phone und zeigt ein soeben ein­ge­trof­fe­nes Foto aus der kenia­ni­schen Pro­vinz Homa Bay Coun­ty, wo ihre Stif­tung tätig ist. Dort wur­de gera­de der Grund­stein für eine neue Schu­le gelegt, in die das Preis­geld flies­sen wird. Im Inter­view erklärt sie, war­um Bil­dung für sie das A und O ist, und war­um sie nie ein Buch über ihre Erleb­nis­se schrei­ben wird.Elsy Ams­ler, Sie waren im Jahr 1990 zum ersten Mal in Kenia – in den Feri­en mit ihrem Mann. Wor­an erin­nern Sie sich? Elsy Ams­ler: Ich erin­ne­re mich an den Moment, als wir in Mom­ba­sa aus dem Flug­ha­fen tra­ten und den Abfall und Dreck in den Stras­sen sahen. Ich mein­te auf­mun­ternd zu mei­nem Mann, es sei­en ja schon vie­le ande­re Leu­te hier in den Feri­en gewe­sen, wir wür­den das sicher über­ste­hen. In den Städ­ten ging es den Leu­ten eigent­lich nicht schlecht, aber als wir hin­aus in die Dör­fer fuh­ren, sahen wir die bit­te­re Armut der Bevöl­ke­rung.Was gab den Aus­schlag für Ihr Enga­ge­ment in Kenia? In unse­rem Hotel kam ein Pastor mit einer Grup­pe Wai­sen­kin­dern vor­bei, um zu sin­gen und Geld zu sam­meln. Mein Mann spen­de­te etwas und wir kamen mit dem Pastor ins Gespräch. So sind wir rein­ge­rutscht. Als ich zurück in der Schweiz war, stell­te ich an mei­nem Geburts­tag ein Käs­se­li auf. Anstatt etwas zu schen­ken, konn­ten mei­ne Gäste Geld für Kenia spen­den. Nach einer Wei­le grün­de­te ich zusam­men mit Unter­stüt­zern die Elsy Ams­ler-Stif­tung, die mir ermög­licht, die Spen­den­gel­der steu­er­frei für unse­re Pro­jek­te zu nut­zen. In den ersten Jah­ren kom­mu­ni­zier­te ich per Brief­post mit unse­rem Ver­trau­ens­mann in Kenia, hin und her dau­er­te ein Brief­wech­sel sicher zwei Wochen. Heu­te kann man sich das fast nicht mehr vor­stel­len. Trans­por­te wur­den in Kenia damals noch mehr­heit­lich mit Kühen durch­ge­führt, manch­mal fuhr ich auf dem Gepäck­trä­ger eines Velos mit.Wor­aus schöp­fen Sie Ener­gie und Moti­va­ti­on, sich wäh­rend so lan­ger Zeit zu enga­gie­ren? Es ging mir von Anfang an vor allem um die Kin­der in den Dör­fern, die so arm waren, dass sie nicht zur Schu­le gehen konn­ten. Ohne Schul­bil­dung, ohne lesen und schrei­ben zu kön­nen, haben sie kei­ne gute Zukunft. Die Schu­le ist das A und O. Selbst wenn man nach­her kei­nen Job fin­det, kann einem nie­mand mehr neh­men, was man gelernt hat. Geld ist rasch weg, die Bil­dung bleibt. Heu­te gehen in der Gegend, wo mei­ne Stif­tung wirkt, alle Kin­der in die Schu­le.Was hat sich sonst noch ver­bes­sert? In den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren hat sich schon etwas getan. Ich habe den Ein­druck, die Leu­te begin­nen, sel­ber zu den­ken. Frü­her hat­te ich oft das Gefühl, sie glaub­ten alles, was man ihnen erzähl­te. Sie konn­ten ja nicht anders, ganz ohne Schul­bil­dung! Doch noch immer stel­le ich fest, dass die Kolo­ni­al­zeit in Kenia, wie in vie­len afri­ka­ni­schen Län­dern, tie­fe Spu­ren hin­ter­las­sen hat. Die schwar­ze Bevöl­ke­rung schaut zu den Weis­sen auf, über­lässt ihnen die Füh­rung und ist über­zeugt, jeder Weis­se sei Mil­lio­när. Zu Beginn glaub­ten alle, ich hät­te ein Dienst­mäd­chen und müs­se nicht arbei­ten. Stets erklär­te ich, dass das Geld nicht auf den Bäu­men wach­se, auch in der Schweiz nicht. Erst als die Leu­te sahen, wie ich beim Häu­ser­bau sel­ber mit anpack­te und pickel­te, schau­fel­te, pfla­ster­te und auch mit den ande­ren Frau­en putz­te, änder­ten sie ihre Mei­nung.In einem Land mit einer ganz ande­ren Men­ta­li­tät mit Behör­den zu ver­han­deln und mit den Men­schen zusam­men­zu­ar­bei­ten, ist sicher nicht immer leicht. Mit wel­chen Schwie­rig­kei­ten hat­ten oder haben Sie zu kämp­fen? Die Kor­rup­ti­on ist gross. Ich sel­ber konn­te aber immer auf die Unter­stüt­zung durch die dor­ti­ge Diö­ze­se zäh­len. Unser Ver­trau­ens­mann ist ein katho­li­scher Pfar­rer. Allei­ne wür­de ich das nicht schaf­fen. Auch die Gel­der der Stif­tung kom­men an den rich­ti­gen Ort. Das kann ich hun­dert­pro­zen­tig garan­tie­ren und sel­ber kon­trol­lie­ren. Zudem kon­trol­liert uns auch die Stif­tungs­rats­auf­sicht beim EDI in Bern. Sie hat­ten noch nie etwas zu rekla­mie­ren.In den Sta­tu­ten der Elsy Ams­ler-Stif­tung steht, dass ein Pro­jekt in die Hän­de der loka­len Bevöl­ke­rung über­ge­ben wird, sobald es auf eige­nen Bei­nen ste­hen kann. Das ist sehr wich­tig. Es bringt nichts, wenn wir alles machen. Die Leu­te müs­sen Ver­ant­wor­tung über­neh­men. Dazu wird ein Gre­mi­um geschaf­fen, in dem Ver­tre­ter der Gemein­de, der Kir­che und wei­te­re dabei sind. Die­ses ist ver­ant­wort­lich. Das machen wir immer so — mit Schu­len, Gesund­heits­zen­tren, Brun­nen. Geht ein Brun­nen kaputt, müs­sen ihn die Ver­ant­wort­li­chen sel­ber repa­rie­ren. Die Leu­te müs­sen sel­ber den­ken und han­deln ler­nen.Wie hat sich der Ein­satz in Afri­ka auf Ihr Leben in der Schweiz aus­ge­wirkt? Je län­ger, je weni­ger ertra­ge ich das Jam­mern hier­zu­lan­de. Wir haben es doch so gut hier. Ich sage immer: wür­de ich mich bekla­gen, wäre das ein Jam­mern auf sehr hohem Niveau. In Afri­ka haben die Men­schen so vie­le Pro­ble­me. Seit ich mei­ne Arbeit dort begon­nen habe, sind so vie­le mei­ner kenia­ni­schen Bekann­ten an Aids gestor­ben – es fehlt eine gan­ze Gene­ra­ti­on. Mehr als 30 Pro­zent der Men­schen in mei­ner Gegend sind mit HIV infi­ziert. Dazu kom­men ande­re Krank­hei­ten wie Mala­ria und Typhus. Ich sel­ber bin vor eini­ger Zeit eben­falls an Mala­ria erkrankt. Die Krank­heit brach aus, als ich in der Schweiz weil­te. Ich war lan­ge ohne Bewusst­sein und die Ärz­te sag­ten mei­ner Fami­lie, sie wüss­ten nicht, ob ich davon­kä­me. Im Nach­hin­ein den­ke ich, dass es so kom­men muss­te. Jetzt weiss ich, wie es ist, Mala­ria zu haben. Bei Kin­dern unter fünf Jah­ren ist Mala­ria die häu­fig­ste Todes­ur­sa­che. Es macht mir sehr zu schaf­fen, die Klei­nen so zu sehen.Bit­te­re Armut, kran­ke Men­schen, ster­ben­de Kin­der: Haben die Erleb­nis­se in Kenia Sie als Per­son ver­än­dert? Sie prä­gen mich sicher. Es gibt vie­le Erleb­nis­se und Bil­der, die ich nie mehr ver­ges­se. Father Tho­mas, der mit mir zusam­men­ar­bei­tet, sag­te zu mir: «Elsy, schreib doch ein Buch!» Mate­ri­al hät­te ich ja mehr als genug. Aber es wird kein Buch von mir geben. Die Leu­te wür­den mir ja all die ver­rück­ten Din­ge, die ich in Kenia erlebt habe, gar nicht glau­ben. Man­ches macht mich auch wütend: Wenn die Mit­tel im Land gerecht ver­teilt wür­den, könn­ten alle Kenia­ner davon leben. Doch es pro­fi­tiert eine klei­ne Ober­schicht. Dar­über könn­te man wirk­lich ver­zwei­feln.Was macht Ihnen trotz­dem Mut? Ich mache die Arbeit vor allem wegen der Kin­der. Aber auch der star­ke Fami­li­en­zu­sam­men­halt in Kenia beein­druckt mich. Auch bewun­de­re ich immer wie­der, wie zufrie­den und fröh­lich die Men­schen dort sind — trotz der Pro­ble­me und des Leids. Der Tod gehört dort viel selbst­ver­ständ­li­cher zum Leben als bei uns – weil er auch viel prä­sen­ter ist. Wenn ich jeman­den fra­ge, wie es geht, höre ich sel­ten ein Jam­mern. Mut macht mir auch, dass sich in den Jah­ren mei­ner Tätig­keit so man­ches zum Guten ent­wickelt hat. Ich bin sicher, dass die posi­ti­ve Ent­wick­lung – auf allen Ebe­nen – wei­ter­ge­hen wird.
Marie-Christine Andres Schürch
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