Eine Kraft, die den Horizont weitet

Eine Kraft, die den Horizont weitet

Philip­per­brief 4,7–9Und der Friede Gottes, der alles Ver­ste­hen über­steigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in Chris­tus Jesus bewahren. Im Übri­gen, Brüder und Schwest­ern: Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heisst und lobenswert ist, darauf seid bedacht! … Und der Gott des Friedens wird mit euch sein.Ein­heit­süber­set­zung 2016 

Eine Kraft, die den Horizont weitet

Nein, er war wed­er priv­i­legiert noch hoch gebildet, nicht Priester, denn dazu hat­te er null Chan­cen. Der heilige Mar­tin von Por­res stammte von ein­er schwarzen Frau, also ein­er Sklavin, und einem weis­sen Mann ab. In der sozialen Ran­gord­nung kam er erst nach den Weis­sen, den Indios und nach den Schwarzen. Also galt er noch weniger als ein afrikanis­ch­er Sklave. Dazu kam, dass seine Mut­ter eine Allein­erziehende war. Doch er absolvierte eine Aus­bil­dung in der Heilkunde, und dabei zeigte er eine liebenswürdi­ge und ein­fühlsame Art, mit Men­schen umzuge­hen. Bald wur­den ihm auch beson­dere Heilun­gen nachge­sagt. So bat er um die Auf­nahme als Laien­brud­er in den Dominikaneror­den. Neun Jahre lang musste er darauf warten, bis man ihn als Brud­er in den Orden auf­nahm. Dies hing damit zusam­men, dass er aus der unter­sten sozialen Schicht kam. Das Kloster wurde durch ihn in ein Kranken­haus umge­wan­delt, wo Men­schen unab­hängig von ihren Haut­far­ben behan­delt wur­den. Und das am Anfang des 17. Jahrhun­derts und nicht im Umfeld der Bürg­er­rechts­be­we­gung der Afroamerikan­er in der Zeit von Mar­tin Luther King.Nicht umson­st hat die Kirche den Auss­chnitt aus dem Philip­per­brief am Feiertag des heili­gen Mar­tin von Por­res aus­gewählt. Wie sehr muss er die beschriebene Hal­tung gelebt haben: uneigen­nützig, edel in der Hal­tung (und nicht der Geburt nach), klar, liebenswert, engagiert. «Und der Gott des Friedens» wurde seine Leben­squelle.Woher nahm er diese Kraft? Wie hat­te er, der Let­zte und Unter­ste im sozialen Gefüge sein­er Umge­bung, zu solch­er Stärke gefun­den?Ich begeg­ne vie­len Men­schen, die an ihrem Schick­sal zer­brochen sind. Sie sind nicht nur durch ihre famil­iäre Herkun­ft geschwächt. Viele sind trau­ma­tisiert durch Ereignisse in ihrem Leben. Sie waren Opfer und manch­mal wur­den sie sog­ar Täter.Aber auch unter denen, die uns stark und gesund erscheinen: Wie viele hat­ten und haben schwierige Startschwierigkeit­en in ihrem Leben und macht­en trotz­dem einen Weg? Sie reiften an ihren Krisen. Vielle­icht ent­deck­ten sie eines Tages eine seel­is­che Stärke in sich. Oder sie fan­den eine grosse Unter­stützung durch einen Mit­men­schen. Möglicher­weise haben sie auch zum Glauben gefun­den und schöpfen daraus Kraft.Kür­zlich begeg­nete mir in ein­er schwieri­gen Sit­u­a­tion ein Wort von Meis­ter Eck­hart (1260 bis 1328): «Es ist eine Kraft in der Seele, die reicht weit­er als der Him­mel.» Plöt­zlich tat sich in der Enge der Sorge ein riesiger Hor­i­zont auf. Was, soweit der Him­mel ist? Eine Kraft, so gross und weit? Und sie ist im Inner­sten des Men­schen?Vielle­icht kann dieses Wort des Mys­tik­ers Meis­ter Eck­hart, kön­nen der heilige Mar­tin von Bor­res und andere heilige Frauen und Män­ner ein Anstoss sein, trotz allem zu wach­sen und zu reifen, men­schen­fre­undlich­er und mit­men­schlich­er zu wer­den? Die Erniedri­gun­gen, Min­der­w­er­tigkeits­ge­füh­le und Schwierigkeit­en sind nicht das Let­zte. Nein, sog­ar Frieden wird in unser Herz einziehen, ist uns ver­heis­sen: «Und der Gott des Friedens wird mit euch sein.» (Philip­per 4,9)Anna-Marie Fürst, The­olo­gin, arbeit­et in der Gefäng­nis­seel­sorge und in der Seel­sorge für Men­schen mit Behin­derung in den Kan­to­nen Basel-Stadt und Zug
Redaktion Lichtblick
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