Eine ehrwürdige Geschichte, die uns angeht

Eine ehrwürdige Geschichte, die uns angeht

Jesus Sir­ach 44,1–15Die ehrwürdi­gen Män­ner will ich preisen, unsere Väter, wie sie aufeinan­der fol­gten … die Rat erteil­ten durch ihre Ein­sicht, die prophetisch alle Dinge erschaut­en; Fürsten des Volkes wegen ihrer Klugheit … Sie alle waren geehrt zu ihrer Zeit, und ihr Ruhm blühte in ihren Tagen … die ehrwürdi­gen Män­ner, deren Hoff­nung nicht verge­ht … ihr Name lebt fort von Geschlecht zu Geschlecht. Von ihrer Weisheit erzählt die Gemeinde, ihr Lob verkün­det das ver­sam­melte Volk.Ein­heit­süber­set­zung 1980 

Eine ehrwürdige Geschichte, die uns angeht

Wenn Sie von Kon­stanz reden hören, woran denken Sie? Eine Stadt am Bodensee, die merk­würdi­ger­weise nicht zur Schweiz gehört, obwohl sie doch auf der Schweiz­er Seite des Sees liegt. Für Deutsch­land eine Ran­der­schei­n­ung, für die Schweiz von geringem Inter­esse. Läge unmit­tel­bar daneben nicht das thur­gauis­che Kreu­zlin­gen, Kon­stanz wäre wohl ein weiss­er Fleck auf der Land­karte. Vielle­icht haben wir ein­mal von einem «Konzil von Kon­stanz» gehört. Doch das sind 600 Jahre her, wen soll das inter­essieren?Jet­zt noch das: Kon­rad und Geb­hard, zwei heilige Bis­chöfe von Kon­stanz! Ja, die gab es tat­säch­lich. Denn vor über tausend Jahren resi­dierten in Kon­stanz bedeu­tende Bis­chöfe und leit­eten selb­st­be­wusst und segen­sre­ich die im Mit­te­lal­ter aus­gedehn­teste Diözese der Chris­ten­heit. «Ihr Name lebt fort von Geschlecht zu Geschlecht, ihr Lob verkün­det das ver­sam­melte Volk.»Das Bis­tum Kon­stanz reichte vom Urn­er­land bis nach Stuttgart, von Kempten im Osten bis an die Aare im West­en. Die Bischof­sstadt Kon­stanz, im Herzen Europas gele­gen, war mit der Gegend rund um den Bodensee Mit­telpunkt ein­er blühen­den Kloster- und Kul­tur­land­schaft. Weite Teile der heuti­gen Deutschschweiz gehörten zu dem Kirchen­spren­gel. Während die Kirche Roms im 10. Jahrhun­dert wegen kor­rupter und skru­pel­los­er Päp­ste düster­ste Zeit­en durch­litt – das saecu­lum obscu­rum – erlebte die Kirche nördlich der Alpen und ander­norts, in erstaunlich­er Ungle­ichzeit­igkeit, eine beein­druck­ende Blüte, unter anderem dank der Förderung durch die Könige und Kaiser der Otto­nen. Kon­rad, ein Fre­und des Bischofs Ulrich von Augs­burg, wei­hte im Jahr 948 die erste Kirche des Klosters Ein­siedeln, ein mirakulös­es Ereig­nis, das bis heute weit­er­lebt in der «Engel­wei­he» am 14. Sep­tem­ber. Über 40 Jahre wirk­te Kon­rad als Bischof seines aus­gedehn­ten Bis­tums und wurde zu einem jen­er «ehrwürdi­gen Män­ner, deren Hoff­nung nicht verge­ht».Doch wie kläglich ende­ten diese Män­ner, diese Hoff­nung, dieses Bis­tum und seine ehrwürdi­ge Geschichte! Nach den rev­o­lu­tionären Wirren und napoleonis­chen Kriegen im Über­gang vom 18. zum 19. Jahrhun­dert mussten die kirch­lichen Struk­turen den neuen nation­al­staatlichen Gren­zen angepasst wer­den. Das «supra­na­tionale» Bis­tum Kon­stanz war wie aus der Zeit gefall­en und geri­et zwis­chen alle Fron­ten. Mit der Folge, dass im Som­mer 1821 Papst Pius VII. die Bis­tums­gren­zen kom­plett neu ord­nete, was zur Liq­ui­dierung des Bis­tums Kon­stanz führte; es ver­schwand von der kirch­lichen Land­karte. Der heilige Kon­rad wurde immer­hin Patron des Erzbis­tums Freiburg im Breis­gau, das aus den recht­srheinis­chen Ter­ri­to­rien des Kon­stanz­er Bis­tums­ge­bi­etes erstand, während die in der Schweiz gele­ge­nen Gebi­ete, teil­weise nur pro­vi­sorisch, den Bistümern Chur und Basel zugeschla­gen wur­den oder als Bis­tum St. Gallen zur Selb­st­ständigkeit gelangten.Die Aus­radierung des Bis­tums Kon­stanz vor 200 Jahren führte in unserm Land zu ein­er unglück­lichen Bis­tum­sein­teilung, die nach­wirkt wie eine schmerzende Wunde am Leibe Christi, in unser­er Kirche. Das lässt sich able­sen an den Stre­it­igkeit­en und Span­nun­gen im Bis­tum Chur oder an der bizarren Zusam­menset­zung des Bis­tums Basel. Wer getraut sich, darüber eine Diskus­sion anzustos­sen? Wer ver­mag sachte eine heilende Wen­dung einzufädeln? Wer erschaut prophetisch die Zeichen der Zeit? Vielle­icht kann die Erin­nerung an die ehrwürdi­gen Kon­stanz­er Bis­chöfe Kon­rad und Geb­hard das Herz öff­nen für ein tief­eres Ver­ständ­nis der Gegen­wart und den Blick weit­en für die Zukun­ft.Peter von Sury, Abt des Benedik­tin­erk­losters Mari­astein
Redaktion Lichtblick
mehr zum Autor
nach
soben