Ein­an­der zum Geschenk werden

Ein­an­der zum Geschenk werden

Lukas 24, 13–19aUnd sie­he, am glei­chen Tag waren zwei von den Jün­gern auf dem Weg in ein Dorf namens Emma­us […] Und es geschah, wäh­rend sie rede­ten und ihre Gedan­ken aus­tausch­ten, kam Jesus selbst hin­zu und ging mit ihnen. Doch ihre Augen waren gehal­ten, sodass sie ihn nicht erkann­ten. Er frag­te sie: Was sind das für Din­ge, über die ihr auf eurem Weg mit­ein­an­der redet? Da blie­ben sie trau­rig ste­hen und der eine von ihnen — er hiess Kleo­pas — ant­wor­te­te ihm: Bist du so fremd in Jeru­sa­lem, dass du als Ein­zi­ger nicht weisst, was in die­sen Tagen dort gesche­hen ist? Er frag­te sie: Was denn?Ein­heits­über­set­zung 2016 

Ein­an­der zum Geschenk werden

Vor einer Woche wäre sie 100 Jah­re alt gewor­den, vor 30 Jah­ren ist sie ver­stor­ben. In dem rei­chen Werk, das Edel­traud Abel hin­ter­las­sen hat, spricht sie ganz direkt mit uns, die wir ihre Bil­der betrach­ten. Ich durf­te sie beglei­ten, aus­ge­hend vom Tod ihres Man­nes 1981 bis zu ihrem Tod 1994. Und sie hat mich beglei­tet. Jede Begeg­nung mit ihr war «total gegen­sei­tig». Wir wur­den ein­an­der zum Geschenk.Ich den­ke oft an sie, wenn ich Begeg­nun­gen erle­be, die so gegen­sei­tig berei­chernd sind, jen­seits von Rol­len­ver­tei­lun­gen und Auf­ga­ben, Absich­ten und Zie­len. Dann wer­den Unter­schie­de unwich­tig, und es wird mög­lich, ein­an­der als Men­schen mit Hoff­nung und Lei­den, mit Angst und Freu­de zu erken­nen. Edel­traud Abel hat sol­che Grund­er­fah­run­gen reflek­tiert und in Bil­dern ver­steh­bar gemacht.Wenn ich die Zeich­nung zu die­sem Impuls betrach­te, dann berührt mich die Innig­keit, mit der sich ein alter und ein jun­ger Mensch ein­an­der zuwen­den. Ihre Begeg­nung ist so dicht, dass die Welt rings­her­um ver­schwin­det. «Gut, dass du da bist!», sagen sie ein­an­der. Natür­lich den­ke ich gleich an die Enkel­kin­der und die wun­der­ba­ren Momen­te, die sie mir schen­ken. Wer hütet da wen? Gemein­sam malen, eine Hüt­te im Wald bau­en, einen Kuchen backen oder ein­fach nur gemein­sam gehen. Das Erleb­nis ist nicht abhän­gig vom The­ma, es kommt aus der gemein­sa­men Hin­ga­be. Ein­an­der Erleb­nis­se erzäh­len führt zum Ver­ste­hen, ein­an­der ver­ste­hen führt zum Nahe­sein. Und plötz­lich ist jeder von uns ganz und gut. Das sind geschenk­te Momen­te, die man nicht machen, für die man nur offen sein kann.Sol­che Begeg­nung spielt auch in der Emma­us­ge­schich­te die zen­tra­le Rol­le. Der Frem­de geht nicht vor­bei, er inter­es­siert sich, öff­net sich und hört zu. Er hat kei­ne Angst vor der Fremd­heit der Wan­de­rer, kei­ne Angst vor ihrer Trau­er. Sei­ne Anteil­nah­me führt zum Ver­ständ­nis und zum Erken­nen. Hier ist aller­dings der Punkt, in dem Edel­traud Abel ande­re Akzen­te setzt als die Emma­us­ge­schich­te. Die bibli­sche Erzäh­lung ist ganz aus der Sicht der Jün­ger geschrie­ben. Was der Hin­zu­kom­men­de wahr­nimmt, bleibt im Dun­keln. Was er erlebt hat, wis­sen wir nicht.Das Abel­bild reflek­tiert unse­re Erfah­rung, dass jede Beglei­tung gegen­sei­tig ist. Wir sind stets Füh­rer und Geführ­te zugleich, wenn wir uns auf­ein­an­der ein­las­sen. Wer im Bild wen stützt und beschützt ist durch­aus und ganz bewusst unklar. Das wie­der­um lässt uns die Auf­er­ste­hung bes­ser ver­ste­hen.Der Auf­er­stan­de­ne wird erfahr­bar nicht in Gestalt und Per­son mei­nes Gegen­übers, son­dern «in bet­ween», im Zwi­schen­raum, im Bezie­hungs­ge­sche­hen. Dar­in gibt es die Momen­te des Ver­schmel­zens und Eins­wer­dens, das aber natür­lich nicht Dau­er hat und zum Zustand wird, son­dern uns stets wie­der in unse­re Eigen­welt zurück­schickt, in der wir wirk­sam wer­den kön­nen.In die­sem Sin­ne sind wir ein­ge­la­den, uns auf die Wege eines ande­ren ein­zu­las­sen, Ein­la­dun­gen anzu­neh­men und Rol­len für ein­mal bei­sei­te­zu­las­sen. Dann zäh­len nicht mehr Alt und Jung, Frau und Mann, Weiss und Schwarz, Arm und Reich. Es zählt allein das «Ich und Du» (Mar­tin Buber), in dem bei­de Schen­ken­de und Beschenk­te sind.Lud­wig Hes­se Theo­lo­ge und Autor, war bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung Spi­tal­seel­sor­ger im Kan­ton Baselland
Leonie Wollensack
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