Ein Strauss mit hei­len­der Kraft

Klo­ster und Kräu­ter: die­se bei­den Din­ge gehö­ren seit jeher zusam­men. Kein Klo­ster, das nicht einen reich bestück­ten Kräu­ter­gar­ten pfleg­te. Jahr­hun­der­te hin­durch expe­ri­men­tier­ten Mön­che und Non­nen mit Heil­kräu­tern und sam­mel­ten so Erfah­rungs­wis­sen über ihre Wirkung.Zwi­schen ver­schie­de­nen Klö­stern herrsch­te ein Aus­tausch an Büchern, Prä­pa­ra­ten und Samen. Bekann­tes Bei­spiel für den so erwor­be­nen Erfah­rungs­schatz ist das Werk der Bene­dik­ti­ne­rin Hil­de­gard von Bin­gen, die im 11. Jahr­hun­dert leb­te.Fast 900 Jah­re nach Hil­de­gards Tod erzählt eine ande­re Bene­dik­ti­ne­rin – quick­le­ben­dig – von den Kräu­tern und ihren Kräf­ten. An einem Som­mer­mor­gen im Klo­ster Fahr. Schwe­ster Bea­tri­ce balan­ciert auf dem Mäu­er­chen der gros­sen Kräu­ter­spi­ra­le, zeigt auf eine Blü­te, reibt an einem Blatt und atmet den Duft von Ore­ga­no und Eisen­kraut ein: «Das ist eine Fül­le und eine Pracht, ein­fach eine Freu­de.» Freu­de und Dank­bar­keit über die blü­hen­den Pflan­zen mit ihren viel­fäl­ti­gen Heil­wir­kun­gen kom­men an Mariä Him­mel­fahrt zum Aus­druck. Zum Hoch­fest am 15. August gehört seit Jahr­hun­der­ten der Brauch der Kräu­ter­wei­he, bei der im Got­tes­dienst Kräu­ter und Blu­men geseg­net wer­den. Mit den bun­ten, duf­ten­den Kräu­ter­sträus­sen ist Mariä Him­mel­fahrt ein Fest für alle Sin­ne.Zu jedem Kraut eine Geschichte Die Kräu­ter­spi­ra­le im Klo­ster Fahr ist mit Stei­nen aus der Regi­on auf­ge­schich­tet und hat sie­ben Meter Durch­mes­ser. Sie ist so aus­ge­rich­tet, dass es sowohl son­ni­ge als auch halb­schat­ti­ge Plät­ze für die ver­schie­de­nen Kräu­ter gibt. Im unte­ren Teil der Spi­ra­le ist der Boden sehr nähr­stoff­reich, je höher sie steigt, desto kar­ger wird die Erde. Zuoberst wach­sen Kräu­ter, die den gan­zen Som­mer über sehr viel Son­ne, aber wenig Nah­rung brau­chen. Seit nun 40 Jah­ren ist der Gar­ten im Klo­ster Fahr die Wir­kungs­stät­te von Schwe­ster Bea­tri­ce Beer­li. Beim Rund­gang um die Spi­ra­le weiss sie zu jedem Kraut eine Geschich­te zu erzäh­len. Aus den pink­far­be­nen Echinace­ab­lü­ten stellt sie eine Tink­tur her. Ein paar Trop­fen davon stär­ken die Abwehr­kräf­te und weh­ren Erkäl­tun­gen ab. Die Samen für die­se Heil­pflan­zen hat sie von Dok­tor Vogel per­sön­lich, des­sen Trop­fen mit der glei­chen Wir­kung wohl­be­kannt sind. Aus den Melis­sen wird Sirup, aus dem Eisen­kraut wird Tee. Beim Erklä­ren pflückt Schwe­ster Bea­tri­ce hier ein Kraut, da einen Sten­gel und es ent­steht, fast neben­bei, ein Kräuterstrauss. Duf­ten­der Leichnam Mari­as Leich­nam habe einen Wohl­ge­ruch nach Kräu­tern ver­strömt, so lau­tet eine der Legen­den, wel­che die Ver­bin­dung von Mariä Him­mel­fahrt und dem Kräu­ter­se­gen erklä­ren könn­ten. Eine ande­re besagt, dass die Jün­ger in Mari­as Grab anstel­le des Leich­nams Blu­men vor­ge­fun­den hät­ten. Neben die­sen Legen­den lies­se sich die Ent­ste­hung der Tra­di­tio­nen und Bräu­che zum Mari­en­fest auch auf das Hohe­lied im Alten Testa­ment zurück­füh­ren. Dar­in ist zu lesen, Maria sei als «Blu­me des Fel­des und Lilie der Täler» ver­ehrt wor­den. Dass das Fest Mariä Him­mel­fahrt seit Jahr­hun­der­ten mit der Seg­nung von Kräu­tern und Blu­men ver­bun­den ist, liegt für Schwe­ster Bea­tri­ce auf der Hand. Schlicht erklärt sie: «So wie die Kräu­ter Heil­kräf­te haben, ist Maria für uns Men­schen eine Hil­fe.» Die duf­ten­den Kräu­ter auf der Spi­ra­le haben für sie eine natür­li­che Ver­bin­dung zur Got­tes­mut­ter und ihrem Fest im Hoch­som­mer: «Jetzt, wäh­rend die­ser Jah­res­zeit, steht hier alles in vol­ler Blü­te. So erstaunt es nicht, dass an Mariä Him­mel­fahrt die Blu­men und Kräu­ter eine wich­ti­ge Rol­le spie­len.» Kräu­ter­seg­nun­gen gab es ursprüng­lich nicht nur an Mariä Him­mel­fahrt. Da aber vie­le Kräu­ter Mit­te August reif sind, blieb die Seg­nung am 15. August bis heu­te in vie­len Pfar­rei­en erhal­ten. Das Kräu­ter­sträuss­chen besteht je nach Regi­on aus ganz ver­schie­de­nen Pflan­zen, oft wer­den auch Blu­men eingebunden. Schutz vor dro­hen­den Unwettern Der Segen, der über die Sträus­se gespro­chen wird, ver­stärkt das Ver­trau­en in die hei­len­de Wir­kung der Kräu­ter. Noch vor hun­dert Jah­ren brauch­ten die Men­schen in man­chen Gegen­den die geseg­ne­ten Kräu­ter­sträus­se, um aller­lei Unheil abzu­weh­ren: Bei auf­zie­hen­den Gewit­tern ver­brann­te man eini­ge Zwei­ge im Ofen, um Haus und Hof vor Blitz­schlag zu schüt­zen. Schwe­ster Bea­tri­ce erin­nert sich, dass die Schwe­stern im Klo­ster Fahr bei dro­hen­dem Unwet­ter jeweils auf einem Blech im Gar­ten geweih­te Kräu­ter verbrannten. Kräu­ter­seg­nun­gen in Gottesdiensten Seit etwa 15 Jah­ren bin­den die Bene­dik­ti­ne­rin­nen im Klo­ster Fahr Kräu­ter­sträus­se, seg­nen sie im Got­tes­dienst und ver­schen­ken sie an die Mit­fei­ern­den. «Ich fin­de das schön und bin sicher, dass die Sträuss­chen den Men­schen etwas bedeu­ten.», sagt Schwe­ster Bea­tri­ce. Das Her­stel­len der Sträus­se gebe zwar ein wenig Arbeit, aber das gemein­sa­me Kräu­ter-Bin­den sei auch etwas Schö­nes und Besinn­li­ches. Ähn­lich wie das Klo­ster Fahr hal­ten es auch vie­le Pfar­rei­en im Aar­gau, wo die Tra­di­ti­on des Kräu­ter­se­gens in den letz­ten Jah­ren wie­der an Bedeu­tung gewon­nen hat. Gemein­de­mit­glie­der sam­meln gemein­sam Kräu­ter im Feld, Schü­ler stel­len im Got­tes­dienst ver­schie­de­ne Kräu­ter und ihre Heil­wir­kung vor, der Frau­en­ver­ein bin­det Sträus­se und Got­tes­dienst­be­su­cher tra­gen Kör­be mit Kräu­tern vor den Altar. Es gibt eine bun­te Palet­te an Mög­lich­kei­ten, wie das tra­di­tio­nel­le Brauch­tum der Kräu­ter­wei­he im Kan­ton gepflegt und gestal­tet wird.  
Redaktion Lichtblick
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