Ein klei­ner Cin­que­cen­to und die Zehn Gebote

Ein klei­ner Cin­que­cen­to und die Zehn Gebote

Exodus 20,1–17Ich bin Jah­we, dein Gott, der dich aus Ägyp­ten geführt hat, aus dem Skla­ven­haus. Du sollst neben mir kei­ne ande­ren Göt­ter haben. Du sollst dir kein Got­tes­bild machen und ­kei­ne Dar­stel­lung von irgend­et­was am Him­mel dro­ben, auf der Erde unten oder im Was­ser unter der Erde. Du sollst den Namen des Herrn, dei­nes Got­tes, nicht miss­brau­chen; denn der Herr lässt den nicht unge­straft, der sei­nen Namen miss­braucht. Geden­ke des Sab­bats: Hal­te ihn hei­lig! Denn in sechs Tagen hat der Herr Him­mel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazu­ge­hört; am sieb­ten Tag ruh­te er. Ehre dei­nen Vater und dei­ne Mut­ter, damit du lan­ge lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt. Du sollst nicht mor­den. Du sollst nicht die Ehe bre­chen. Du sollst nicht steh­len. Du sollst nicht falsch gegen dei­nen Näch­sten aus­sa­gen. Du sollst nicht nach dem Haus dei­nes Näch­sten ver­lan­gen. Du sollst nicht nach der Frau ­dei­nes Näch­sten ver­lan­gen, nach sei­nem Skla­ven oder sei­ner Skla­vin, sei­nem Rind oder sei­nem Esel oder nach irgend­et­was, das dei­nem Näch­sten gehört.Ein­heits­über­set­zung (gekürzt: Ex 20,1–4.7–8.11a.12–17)  

Ein klei­ner Cin­que­cen­to und die Zehn Gebote

Es war ein heis­ser Spät­som­mer­tag in Rom. Nach Dienst­schluss woll­ten wir Schwei­zer­gar­di­sten in unse­rer Vie­rer­cli­que noch kurz ans Meer fah­ren und etwas Fei­nes essen gehen. Trotz ein­set­zen­dem Fei­er­abend­ver­kehr hoff­ten wir, davor noch kurz im Meer zu baden. Inzwi­schen kann­ten wir einen klei­nen Schleich­weg, der uns schnell aus der Stadt brach­te, doch heu­te war es wie ver­hext. Kaum waren wir in die Ein­bahn­stras­se abge­bo­gen, stand nach knap­pen hun­dert Metern der Ver­kehr still. Es ging weder vor- noch rück­wärts.Nah­men wir es anfäng­lich noch gelas­sen, so wur­den wir mit der Zeit des War­tens müde. Um uns her­um hup­ten alle Autos, ein­zel­ne Fah­rer waren aus­ge­stie­gen, dis­ku­tier­ten und gesti­ku­lier­ten zusam­men auf der Stras­se, ande­re wie­der­um tele­fo­nier­ten auf­ge­regt und lie­fen neben ihrem Auto auf und ab. Ohne Kli­ma­an­la­ge wur­de es im Auto uner­träg­lich heiss und so stie­gen wir eben­falls aus. Dabei erfuh­ren wir, dass etwas wei­ter vor­ne ein klei­ner Cin­que­cen­to uner­laubt neben einer gros­sen Müll­ton­ne park­te, so dass der Auto­bus nicht an ihm vor­bei­kam. Ein­zel­ne Auto­fah­rer lie­fen in die umlie­gen­den, klei­nen Geschäf­te und such­ten nach dem Fah­rer.Letzt­end­lich stan­den gar der Metz­ger, der Bäcker und die Besit­ze­rin der Pastic­ce­ria rat­los dis­ku­tie­rend mit den ande­ren auf der Stras­se. Nein, sie wüss­ten auch nicht, wem das Auto gehö­re! Kei­ne Ahnung! Das sei kei­ner aus dem Quar­tier. So eine Frech­heit! Ein älte­rer Herr neben mir kom­men­tier­te das Gan­ze und mur­mel­te etwas von «Igno­ran­za» und «Ego­i­sta». Ein­zel­ne Gäste der Kaf­fee­bar stan­den mit der Tas­se in der Hand auf der Stras­se und schau­ten dem Cha­os belu­stigt zu.Es ver­gin­gen wei­te­re, gefühl­te zehn Minu­ten, da erschien ein geschnie­gel­ter und adrett beklei­de­ter jun­ger Mann, der am Arm eine eben­so hübsch geklei­de­te jun­ge Frau zum Auto führ­te. Die erbo­ste Men­ge fiel mit einem Wort­schwall über ihn her. Mei­ne Ita­lie­nisch­kennt­nis­se waren damals noch nicht so gut, aber ich ver­stand auch so, dass hier kei­ne Sym­pa­thien bekun­det wur­den.Über die Zehn Gebo­te ist schon viel geschrie­ben wor­den. Sie wer­den kon­tro­vers dis­ku­tiert. Vie­le stem­peln sie als anti­quiert ab! Bei genaue­rer Betrach­tung ent­neh­me ich ihnen so etwas wie eine Lebens­re­gel und eini­ge ihrer Inhal­te fin­den sich gar in unse­rem Straf- und Zivil­recht wie­der. In mei­nen Augen geht es jedoch weni­ger um das, was sie alles ver­bie­ten. In einer Zeit, die mir gele­gent­lich fast so chao­tisch wie der römi­sche Ver­kehr vor­kommt, kön­nen die Zehn Gebo­te eine Ori­en­tie­rung sein, wel­che Grund­la­gen zu einem gelin­gen­den Leben bei­tra­gen. Sie laden dazu ein, nicht in Igno­ranz und Ego­is­mus zu ver­har­ren, son­dern den per­sön­li­chen Rah­men in den Kon­text des part­ner­schaft­li­chen, fami­liä­ren, gesell­schaft­li­chen und reli­giö­sen Lebens zu stel­len.Zum Baden hat es uns dann zwar nicht mehr gereicht, weil der Ver­kehr auch anders­wo noch stock­te. Aber die Wir­tin in der «Oste­ria anti­ca» ser­vier­te uns einen aus­ser­or­dent­lich fei­nen Tel­ler Pasta, den wir dann mit Blick aufs Meer genos­sen. Die Welt war wie­der in Ord­nung!Mathi­as Jäg­gi, Theo­lo­ge und Sozi­al­ar­bei­ter in der Pfar­rei Hei­lig-Kreuz, Bin­nin­gen-Bot­t­min­gen, Berufs­schul­leh­rer und Fachhochschuldozent
Redaktion Lichtblick
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