Ein Eichen­wald macht Musik

Eine Pfei­fen­or­gel klingt durch das Zusam­men­spiel von Mensch, Wind, Mecha­nik und Phy­sik. Der Gesang der «Köni­gin der Instru­men­te» dient der Ehre Got­tes in der Lit­ur­gie. Doch eine neue Orgel ist kei­ne unhin­ter­frag­te Selbst­ver­ständ­lich­keit mehr, wie das Bei­spiel Schinz­nach-Dorf zeigt. Und auch der Orgel­bau ver­än­dert sich.Im ersten Moment kommt fast Ent­täu­schung auf. Die Kir­che riecht nach fri­schem Holz, die Erwar­tung ist gross, die Orgel­bau­er beim Auf­bau beob­ach­ten zu kön­nen. Dann der Blick auf die Empo­re: Die Orgel ist bereits fer­tig.

Erfolg für die Ver­fech­ter der Pfeifenorgel

«Da haben die Orgel­bau­er wohl eine Nacht­schicht ein­ge­legt», sagt Josef Buman, hohe Stirn, kur­zes, silb­rig-weis­ses Haar, schwar­ze Bril­le, Schnauz. Er prä­si­diert die fünf­köp­fi­ge Orgel­bau­kom­mis­si­on und ist sicht­lich stolz, dass eine lan­ge Geschich­te ein gutes Ende fin­det: «Es steckt Herz­blut in dem Pro­jekt. Ich beglei­te es seit 2011. Auch, weil mich als Elek­tro­in­ge­nieur die mecha­ni­sche Sei­te inter­es­siert». Lang ist die Geschich­te, weil inten­siv geprüft wur­de, was für ein Instru­ment ange­schafft wer­den soll­te. Weil Mecha­nik gegen Elek­tro­nik stand, weil die Finan­zie­rung ein heis­ses Eisen war und – so wird Seel­sor­ge­rin Bri­git­ta Minich spä­ter erzäh­len – weil die elek­tro­ni­sche Occa­si­ons­or­gel letzt­lich län­ger hielt als gedacht. «Jetzt ist alles fer­tig. Zeit‑, Pro­jekt- und Kosten­rah­men konn­ten ein­ge­hal­ten wer­den», bemerkt Josef Buman hoch­zu­frie­den.Josef Buman war und ist Ver­fech­ter der Pfei­fen­or­gel. «Die Kir­che wur­de 1994 von vorn­her­ein mit einer Pfei­fen­or­gel geplant. Nam­haf­te Spen­den erfolg­ten zweck­ge­bun­den für ein mecha­ni­sches Instru­ment. Viel­leicht ist es auch dem Druck, wohl aber auch dem Wunsch der Spen­der zu ver­dan­ken, dass das Pro­jekt 2007 noch­mals in Angriff genom­men wur­de. Die Kre­dit­be­wil­li­gung erfolg­te an der Kirch­ge­mein­de­ver­samm­lung 2015. An Pfing­sten 2016 gab die elek­tro­ni­sche Orgel dann voll­kom­men ihren Geist auf», erin­nert sich Josef Buman. Er lässt den Blick über «sein Baby» aus hel­lem Eichen­holz wan­dern. Fast zärt­lich streicht er über die 56 Tasten der unte­ren Kla­via­tur, belegt mit Eben­holz und Kno­chen. «Im Klang­ver­gleich zwi­schen einem mecha­ni­schen und einem elek­tro­ni­schen Instru­ment gewinnt für mich ganz klar die ech­te Pfei­fen­or­gel».Vor­füh­ren will Josef Buman den Klang, sucht «Zünd­schloss» und Schlüs­sel. Das Schloss ist gut ver­steckt, der Schlüs­sel nicht da. Josef Buman greift zum Tele­fon. Anruf bei der Orgel­bau­fir­ma Metz­ler im zür­che­ri­schen Die­ti­kon. Acht qua­li­fi­zier­te Ange­bo­te gab es auf die Pro­jekt-Aus­schrei­bung. Metz­ler bekam den Zuschlag. Gut gelaunt klingt die Stim­me von Mathi­as Metz­ler aus dem Mobil­te­le­fon: «Ja, die zustän­di­gen Orgel­bau­er haben den Schlüs­sel bei sich. Sie wur­den schnel­ler fer­tig, die Into­na­ti­on beginnt am 17. Okto­ber».

4 500 Arbeits­stun­den, meh­re­re Tau­send Elemente

Sze­nen­wech­sel ins Lim­mat­tal. Durch das Trep­pen­haus des weit­läu­fi­gen und ver­win­kel­ten Orgel­bau­be­trie­bes klin­gen wei­che Töne, Pfei­fen wer­den vor­in­to­niert. Eine Säge kreischt. Mathi­as Metz­ler arbei­tet an der näch­sten Orgel und erzählt.Einem Lai­en schwirrt nach kur­zer Zeit der Kopf. Rund 4 500 Arbeits­stun­den stecken in einer klei­ne­ren Orgel. Je nach­dem, was als Ein­zel­teil zählt, besteht eine Orgel aus meh­re­ren Tau­send Ele­men­ten. Alle im eige­nen Betrieb hand­ge­fer­tigt. «Wenn wir in der Kir­che aus­packen, fra­gen Leu­te oft, wie wir das jemals rich­tig zusam­men­set­zen wol­len», sagt der Orgel­bau­er. Die Lach­fal­ten um sei­ne Augen ver­tie­fen sich. «Für uns ist es ein­fach. Das liegt an guter Vor­ar­beit, noch bes­se­re Beschrif­tung und der gros­sen Erfah­rung unse­rer Leu­te», fügt er hin­zu.Was der Super­gau für einen Orgel­bau­er ist, will ich wis­sen. Mathi­as Metz­ler über­legt. «Der Trans­port der Pfei­fen ist immer hei­kel. Anson­sten pas­siert sel­ten etwas. In der Vor­gän­ger­ge­ne­ra­ti­on wur­de am Stand­ort einer Orgel mal eine bau­li­che Ver­än­de­rung gemacht ohne es wei­ter­zu­sa­gen. Da fehl­ten plötz­lich zehn Zen­ti­me­ter Höhe im Raum und Tei­le muss­ten ange­passt wer­den».

Die Ener­gie der Orgel im Kirchenraum

Kaum eine Hand­breit passt in der Kir­che St. Fran­zis­kus in Schinz­nach-Dorf zwi­schen Gehäu­se und Decke. Die Orgel steht nicht auf der Empo­re, sie schwebt unter dem Kir­chen­dach. Das schlich­te Gehäu­se und sein Innen­le­ben las­sen nicht ver­mu­ten, dass hier ein klei­ner Eichen­wald ver­ar­bei­tet ist. «Pfei­fen bit­te nicht berüh­ren!» – nur ein Zet­tel an der Wand zeugt noch von der Anwe­sen­heit der Orgel­bau­er.«Wäh­rend des Ein­baus bin ich mal in die Kir­che rein und habe gefragt, ob ich die Orgel hören darf», erzählt Bri­git­ta Minich. «Ich bin im Kir­chen­raum gestan­den, habe die Töne gehört und mir sind die Trä­nen gekom­men. Die Ener­gie der Orgel hat den gan­zen Raum zum Schwin­gen gebracht.» Die Seel­sor­ge­rin ist froh, dass eine 20 Jah­re dau­ern­de, beweg­te Dis­kus­si­on nun vom Tisch ist. Die Orgel­kom­mis­si­on habe es sich nicht leicht gemacht und von den Kosten bis zur Tech­nik alle Aspek­te ange­schaut. «Die Tech­nik­fans waren natür­lich begei­stert von den aktu­el­len Mög­lich­kei­ten. Man kann sich nahe­zu jede Orgel der Welt in die Dorf­kir­che holen oder per Knopf­druck vom Altar aus das gewünsch­te Kir­chen­lied star­ten», erklärt Bri­git­ta Minich. Stellt sich die Fra­ge, wozu man dann einen Orga­ni­sten braucht. Bri­git­ta Minich stimmt zu: «Ja, mit dem Argu­ment der tech­ni­schen Mach­bar­keit könn­te ich auch den Seel­sor­ger von woan­ders her auf eine Lein­wand pro­ji­zie­ren las­sen».

Nach dem Auf­bau folgt die Intonation

Der letz­te Akt vor der gros­sen Orgel­wei­he Anfang Novem­ber ist die Into­na­ti­on der Orgel. Das Metier von Andre­as Metz­ler. Kon­zen­triert hört er sich immer wie­der jeden ein­zel­nen Ton an. Passt, wo not­wen­dig, die Pfei­fen an, feilt, bohrt, pustet in die Pfei­fen, hört erneut — arbei­tet an der Per­sön­lich­keit der Orgel. Eine Woche ver­an­schlagt der erfah­re­ne Into­na­teur für die Orgel in Schinz­nach. 13 Regi­ster und etwas über 800 Pfei­fen – die Grös­se ist über­schau­bar. Je nach Instru­ment kön­ne die­se Pha­se bis zu fünf Wochen dau­ern.Beim Into­nie­ren denk man meist ans Stim­men eines Instru­ments. Andre­as Metz­ler lächelt: «Natür­lich müs­sen die Töne stim­men. Doch beim Into­nie­ren einer Orgel geht es um mehr. Wir stim­men die Laut­stär­ke der Orgel auf den Raum ab. Das ist eine Her­aus­for­de­rung, denn die Orgel soll ja nicht schrei­en, wenn sie vol­les Werk gespielt wird. In Schinz­nach kommt erschwe­rend hin­zu, dass die Wand­ver­klei­dung viel Klang schluckt. Zwei­tens wird die inne­re Klang­ar­chi­tek­tur voll­endet. Die ver­schie­de­nen Regi­ster sol­len mit­ein­an­der har­mo­nie­ren – das ist ver­gleich­bar mit den Instru­men­ten­grup­pen eines Orche­sters. Drit­tens darf es auch inner­halb eines Regi­sters kei­ne Wel­len in der Laut­stär­ke geben». Andre­as Metz­lers Defi­ni­ti­on von Super­gau ist «fal­scher» Wind in den gros­sen Pfei­fen. Auch das pas­siert sel­ten, ist aller­dings auf­wän­dig, da Tei­le aus der Orgel wie­der aus­ge­baut wer­den müs­sen.Die unter­schied­li­chen Klang­far­ben der ver­schie­de­nen Regi­ster erklärt Andre­as Metz­ler eben­falls mit dem Orche­ster: «Es liegt an der Bau­wei­se. Eine Oboe funk­tio­niert und klingt anders als eine Quer­flö­te. Eine Zun­gen­pfei­fe funk­tio­niert und klingt anders als eine Labi­al­pfei­fe». Was der rich­ti­ge Gesamt­klang der Orgel sein soll, ist im Vor­feld genau­so fester Bestand­teil der Gesprä­che zwi­schen Auf­trag­ge­ber und Orgel­bau­er wie die Gestal­tung des Gehäu­ses.

Wie­viel Neue­rung passt in die Tradition?

In Die­ti­kon sitzt Mathi­as Metz­ler der­weil vor einer Wand vol­ler Orgel-Fotos und steht direkt nach der ersten Fra­ge wie­der auf. Im Neben­zim­mer zeigt er auf ein wei­te­res Foto. Ein typi­scher, gold­ver­zier­ter, drei­tei­li­ger Orgel­pro­spekt. «Damit sind wir auf­ge­wach­sen», sagt er und meint damit sei­nen Bru­der Andre­as und sich. Dann weist Mat­thi­as Metz­ler auf ein ande­res Bild. Ein mini­ma­li­stisch schlich­tes Orgel­ge­häu­se, getra­gen von schlan­ken Beton­pfei­lern: «So bau­en wir mitt­ler­wei­le auch. Was mit kla­ren Lini­en in Ein­fa­mi­li­en­haus­kü­chen ange­fan­gen hat, erreicht auch den Orgel­bau».In der vier­ten Gene­ra­ti­on betrei­ben die Metz­ler-Brü­der den Betrieb und fra­gen sich auf allen Ebe­nen, wie­viel Neue­rung sie in die Tra­di­ti­on ein­brin­gen wol­len. «Es ist wun­der­bar, wenn eine Orgel in barockem oder fran­zö­si­schem Stil into­niert ist. Doch letzt­lich ist das eine Moment­auf­nah­me, die einen Zeit­raum von viel­leicht 100 Jah­ren zeigt. Die Orga­ni­sten wol­len heu­te auch moder­ne Lite­ra­tur spie­len. Mit einer Lebens­dau­er von bis zu 300 Jah­ren muss eine Orgel pra­xis­taug­lich sein und blei­ben». Auch die Fra­ge elek­tro­ni­scher Zusät­ze in einem mecha­ni­schen Instru­ment spricht Mathi­as Metz­ler an; nennt sie zwar «Tro­ja­ni­sche Pfer­de», aner­kennt gleich­zei­tig aber ihren prak­ti­schen Nut­zen.Nicht zuletzt geht es auch dar­um, wie sicht­bar an einer Orgel heut­zu­ta­ge der Bezug zu Gott und zum Glau­ben sein darf. Engel­chen, gol­di­ge Ver­zie­run­gen – sie schwin­den bei Orgel­neu­bau­ten. «Das ist oft der moder­nen Archi­tek­tur man­cher Kir­che geschul­det. Aber dahin­ter steht auch die Suche nach etwas Höhe­rem, auf das sich Men­schen, auch glau­bens­fer­ne,  heu­te ver­stän­di­gen kön­nen», erklärt Mathi­as Metz­ler. Eine Dis­kus­si­on, die in der Beleg­schaft enga­giert geführt wer­de, denn die Mit­ar­bei­ter ver­trä­ten das gesam­te Spek­trum von kon­ser­va­tiv bis säku­lar. «Müss­te man zwin­gend an Gott glau­ben, um Orgeln zu bau­en, wir wären längst arbeits­los», sagt Mathi­as Metz­ler, «den­noch braucht es bei die­sem Beruf das Gespür für das Grös­se­re.»

Ein­seg­nung mit Weih­was­ser und Weihrauch

In Schinz­nach ist die Ver­bin­dung von Orgel und Glau­ben klar: «Als die Occa­si­ons­or­gel an Pfing­sten end­gül­tig den Geist auf­ge­ge­ben hat, habe ich die Gele­gen­heit beim Schopf gepackt und mit der Gemein­de bewusst eine Zeit des Orgel­fa­stens begon­nen», erzählt Bri­git­ta Minich. «Wir haben in der christ­li­chen Tra­di­ti­on die Chan­ce des War­tens. Aus die­sem Grund wird die Orgel auch beim Fest­got­tes­dienst zur Orgel­wei­he zunächst schwei­gen. Erst nach der Pre­digt und erst, nach­dem das Instru­ment mit Weih­was­ser und Weih­rauch geseg­net wur­de, darf die Köni­gin der Instru­men­te in Schinz­nach ein erstes Mal zur Ehre Got­tes erklin­gen.Alle Inter­es­sier­ten sind am 6. Novem­ber 2016 ein­ge­la­den, die Orgel­wei­he in Schinz­nach-Dorf mit­zu­fei­ern. Mehr Infor­ma­tio­nen gibt es im Pfar­rei­en-Feed St. Fran­zis­kus, Schinz­nach-Dorf.
Anne Burgmer
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