Ein bes­se­res Leben für alle

Medi­en­wirk­sam hat am 4. Okto­ber 2013 ein par­tei-unab­hän­gi­ges Initia­tiv-Komi­tee dem Bun­des­rat 126 000 beglau­big­te Unter­schrif­ten ein­ge­reicht. Damit steht fest: Die Schwei­zer Bevöl­ke­rung wird als­bald über die Ein­füh­rung eines bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­mens abstim­men. Eine Visi­on für ein bes­se­res Leben für alle (sie­he unten), die jedoch in Bausch und Bogen an der Urne ver­wor­fen wer­den dürfte. 

2500 Fran­ken für jeden in der Schweiz wohn­haf­ten Men­schen über 18 Jah­re. Zudem pro Kind noch­mals 625 Fran­ken. Die Initi­an­ten ver­spre­chen sich eine Ent­schär­fung des öko­no­mi­schen Zwangs zur Arbeit sowie eine Hono­rie­rung all jener Lei­stun­gen, die unent­gelt­lich im Bereich «Care Arbeit» gelei­stet wird. Kosten soll die Visi­on nicht mehr als zwei Mil­li­ar­den Fran­ken, weil nur die­je­ni­gen, die heu­te von weni­ger als 2500 Fran­ken leben, rea­len Anspruch auf das Grund­ein­kom­men hät­ten. Ein mit 1000 Fran­ken zu Buche schla­gen­der Teil­zeit­lohn wür­de um 1500 Fran­ken aus dem Grund­ein­kom­mens­topf auf­ge­run­det. Für alle, die mehr als 2500 Fran­ken ver­die­nen, ändert sich nichts. Die Idee hat eine brei­te Dis­kus­si­on über gesell­schaft­li­che Wer­te in Gang gebracht. Die­ser haben sich die Kir­chen bis­lang ent­zo­gen. Vie­le dürf­ten sich hier­über ver­wun­dert die Augen rei­ben. So auch die streit­ba­re Theo­lo­gin Ina Prae­to­ri­us. Sie ver­ste­he nicht, wes­halb es zu die­ser Fra­ge kein Inter­es­se bei den Kir­chen gebe, denn theo­lo­gi­scher könn­ten Fra­gen eigent­lich gar nicht mehr sein», meint die bekann­te Autorin und Refe­ren­tin. «Sind die Kir­chen der­art mit sich selbst, beschäf­tigt?, fragt sich Ina Prae­to­ri­us. «Es geht doch um die Men­schen­wür­de. Dazu gehört, dass wir ein Anrecht auf alle lebens­not­wen­di­gen Güter haben, ohne dafür etwas lei­sten zu müs­sen. Der Gedan­ke der Bedin­gungs­lo­sig­keit ist in der Bibel bereits angelegt.»

Kir­chen­leu­ten fehlt das Sen­so­ri­um für die Men­schen an der Peri­phe­rie
Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki, Lei­ter des Sozi­al­in­sti­tuts der Katho­li­schen Arbeit­neh­mer­be­we­gung Schweiz, geht mit sei­ner refor­mier­ten Kol­le­gin einig. «Per­sön­li­che Betrof­fen­heit und ein damit ein­her­ge­hen­des Sen­so­ri­um für die Men­schen an der Peri­phe­rie, das ist vie­len Kir­chen­leu­ten abhan­den gekom­men. Wohl gera­de des­halb setzt der neue Papst dahin­ge­hend bewusst Akzen­te.» Bei poli­ti­schen The­men hät­ten Theo­lo­gin­nen und Theo­lo­gen viel­fach Äng­ste, sich zu expo­nie­ren, meint der Spe­zia­list für Christ­li­che Sozi­al­ethik. Nicht zuletzt auf­grund von Zwei­feln, in der Mate­rie nicht sat­tel­fest genug zu sein. «Obschon die mei­sten Men­schen die Kir­chen nach wie vor als sozia­les Gewis­sen wahr­neh­men und sich Per­sön­lich­kei­ten wie Abt Mar­tin Wer­len wün­schen, die klar Posi­ti­on bezie­hen, gibt es die­se viel zu sel­ten», resü­miert Tho­mas Wallimann-Sasaki.

Dop­pel­ter Gewinn für Fami­li­en
Miri­am Locher (Name von der Redak­ti­on geän­dert) aus Aar­au arbei­tet zu vier­zig Pro­zent in einem Restau­ra­ti­ons­be­trieb. Die Mit­dreis­si­ge­rin ist auf die­sen Ver­dienst ange­wie­sen. Sie hat eine drei­jäh­ri­ge Toch­ter, der Lohn des Part­ners reicht nicht aus. «Ein Grund­ein­kom­men von 2500 Fran­ken? Klar, wür­de ich daheim blei­ben. Mit mei­nem jet­zi­gen Ver­dienst bin ich einen guten Tau­sen­der drun­ter», meint die gelern­te Köchin. Der Gewinn wäre ein Dop­pel­ter: Nicht nur mehr Geld, auch die Kosten für die Krip­pe könn­ten ein­ge­spart wer­den. «Zudem müss­te mein Mann nicht mehr hun­dert Pro­zent arbei­ten und könn­te mehr Zeit mit der Fami­lie ver­brin­gen», stellt Miri­am Locher freu­dig fest.

Nicht alle pro­fi­tie­ren
Ein kri­ti­scher Blick auf das visio­nä­re Pro­jekt ist trotz­dem ange­bracht. Gera­de das ein­gangs erwähn­te Bei­spiel zeigt: Das bedin­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men könn­te Gefahr lau­fen, tra­di­tio­nel­le Rol­len­bil­der zu zemen­tie­ren. Die Frau daheim, der Mann arbei­tet. So avan­ciert das Grund­ein­kom­men zum «Haus­frau­en­lohn». Mit Kon­se­quen­zen für vie­le nicht son­der­lich gut bezahl­te Arbei­ten, die nach wie vor von Frau­en aus­ge­übt wer­den. und mit der Ein­füh­rung des bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­mens wohl zusätz­lich an Attrak­ti­vi­tät ver­lie­ren. Bei­spiels­wei­se Anstel­lun­gen als Kin­der­gar­ten­lehr­per­so­nen und Betreue­rin­nen in Kin­der­ta­ges­stät­ten. Dass gegen­wär­tig kaum Män­ner in die­sen Jobs anzu­tref­fen sind, liegt auf der Hand. Die Löh­ne bie­ten kei­ne exi­stenz­si­chern­de Grund­la­ge als Ein­zel­ein­kom­men für die gan­ze Fami­lie. Zudem dürf­ten vom bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men nicht alle glei­cher­mas­sen pro­fi­tie­ren. Berufs­tä­ti­ge, allein­er­zie­hen­de Müt­ter wie bei­spiels­wei­se Regi­na Mei­er hät­ten kaum mehr Hand­lungs­spiel­raum als jetzt. Die Teil­zeit arbei­ten­de Pfle­ge­fach­frau liegt mit ihrem Ver­dienst über dem als Grund­ein­kom­men ver­an­schlag­ten Betrag von 2500 Fran­ken, muss aber den­noch jeden Fran­ken umdre­hen, um sich und die bei­den Kin­der durch­zu­brin­gen. Ein­zig die im Grund­ein­kom­men vor­ge­se­he­nen Bei­trä­ge für Kin­der in Höhe von 625 Fran­ken anstel­le der der­zeit aus­be­zahl­ten Kin­der­zu­la­gen wür­den das Bud­get entlasten.

Ein Ansatz, der Ein­wän­de pro­vo­ziert
«Nur zu fra­gen, wer pro­fi­tiert, und wer nicht, greift zu kurz», meint Chri­sti­an Mül­ler aus dem Kreis der Initi­an­ten um Dani­el Häni und Enno Schmidt. «Es geht viel­mehr dar­um, wie unse­re Gesell­schaft künf­tig orga­ni­siert sein soll», so der Öko­nom. «Und dar­um, dass nicht mehr aus öko­no­mi­scher Not her­aus gear­bei­tet wer­den muss. Denn das Grund­ein­kom­men wür­de die Lebens­ko­sten auf beschei­de­ner, aber exi­stenz­si­chern­der Höhe gewähr­lei­sten». Ein Ansatz der pro­vo­ziert. «So geht doch nie­mand mehr arbei­ten», hiel­ten die einen den Unter­schrif­ten­samm­lern ent­ge­gen. «Da kom­men erst recht alle Aus­län­der in die Schweiz», monier­ten die ande­ren. «Und war­um soll jemand ein­fach so Geld bekom­men, wenn er nicht arbei­tet und sich noch nicht ein­mal um Arbeit bemü­hen muss», hiess es wei­ter. Das Dis­kus­si­ons­ni­veau habe sich jedoch in den letz­ten Mona­ten wei­ter­ent­wickelt, weiss Chri­sti­an Mül­ler. Ent­spre­chend kämen heu­te dif­fe­ren­zier­te­re Fra­gen. «Die Leu­te begrei­fen lang­sam, dass es eine gesell­schaft­li­che Ent­wick­lung braucht. Es geht um mehr als nur eine wei­te­re Sozi­al­ver­si­che­rungs­re­vi­si­on. Es muss ein Para­dig­men­wech­sel sein.»

Der Schweiz geht es (noch) zu gut für die­se Dis­kus­si­on
Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki vom Sozi­al­in­sti­tut der Katho­li­schen Arbeit­neh­mer­be­we­gung Schweiz glaubt, dass für das Niveau und die Skep­sis gegen­über der Idee des Grund­ein­kom­mens vor allem der gut funk­tio­nie­ren­de Sozi­al­staat ver­ant­wort­lich ist. «In Deutsch­land, wo sich das Min­dest­ein­kom­men bei 600 Euro monat­lich bewegt und die sozia­le Situa­ti­on deut­lich ange­spann­ter ist, wird die Dis­kus­si­on enga­gier­ter geführt als bei uns, wo sich noch nicht ein­mal die Gewerk­schaf­ten für das The­ma erwär­men konn­ten.» Nicht von der Hand zu wei­sen sei zudem die Befürch­tung, dass der Migra­ti­ons­druck zuneh­men wer­de. «Wenn die ohne­hin gut situ­ier­te Schweiz im von Kri­sen geschüt­tel­ten Euro­pa ein Grund­ein­kom­men von 2500 Fran­ken ein­führt, wer­den mehr Men­schen hier­her kom­men wol­len», ist der pro­mo­vier­te Theo­lo­ge über­zeugt. Nichts desto trotz begrüsst Tho­mas Wal­li­mann-Sasa­ki das Pro­jekt. «Über Jahr­zehn­te hin­weg wur­de uns ein­ge­impft, dass es der Gesell­schaft nur gut geht, wenn jeder für sich schaut. Nun ändert sich die Blick­rich­tung. Immer mehr Leu­te sind über­zeugt, dass ein bes­se­res Leben für alle nur auf gegen­sei­ti­ger Soli­da­ri­tät fus­sen kann.» Die in der Schweiz im Ver­gleich zum euro­päi­schen Umland nur mar­gi­nal spür­ba­re Kri­se der ver­gan­ge­nen Jah­re, ins­be­son­de­re aber der zuneh­men­de Effi­zi­enz­druck, hat die alt­her­ge­brach­te Über­zeu­gung, wonach wir uns über Erwerbs­ar­beit und mate­ri­el­len Wohl­stand defi­nie­ren, deut­li­che abge­nutzt. Zuneh­mend weni­ger Men­schen sehen einen Sinn dar­in, sich im Ham­ster­rad abmü­hen zu müs­sen und zu sehen, wie ein paar weni­ge mit der gros­sen Kel­le abschöpfen. 

Andre­as C. Müller

 

Ihre Mei­nung: Kann ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men die bestehen­den sozia­len Pro­ble­me bes­ser abfe­dern als die gegen­wär­tig vor­han­de­nen Instru­men­te unse­res Sozialstaats?

Redaktion Lichtblick
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