Ein besseres Leben für alle
2500 Franken für jeden in der Schweiz wohnhaften Menschen über 18 Jahre. Zudem pro Kind nochmals 625 Franken. Die Initianten versprechen sich eine Entschärfung des ökonomischen Zwangs zur Arbeit sowie eine Honorierung all jener Leistungen, die unentgeltlich im Bereich «Care Arbeit» geleistet wird. Kosten soll die Vision nicht mehr als zwei Milliarden Franken, weil nur diejenigen, die heute von weniger als 2500 Franken leben, realen Anspruch auf das Grundeinkommen hätten. Ein mit 1000 Franken zu Buche schlagender Teilzeitlohn würde um 1500 Franken aus dem Grundeinkommenstopf aufgerundet. Für alle, die mehr als 2500 Franken verdienen, ändert sich nichts. Die Idee hat eine breite Diskussion über gesellschaftliche Werte in Gang gebracht. Dieser haben sich die Kirchen bislang entzogen. Viele dürften sich hierüber verwundert die Augen reiben. So auch die streitbare Theologin Ina Praetorius. Sie verstehe nicht, weshalb es zu dieser Frage kein Interesse bei den Kirchen gebe, denn theologischer könnten Fragen eigentlich gar nicht mehr sein», meint die bekannte Autorin und Referentin. «Sind die Kirchen derart mit sich selbst, beschäftigt?, fragt sich Ina Praetorius. «Es geht doch um die Menschenwürde. Dazu gehört, dass wir ein Anrecht auf alle lebensnotwendigen Güter haben, ohne dafür etwas leisten zu müssen. Der Gedanke der Bedingungslosigkeit ist in der Bibel bereits angelegt.»
Kirchenleuten fehlt das Sensorium für die Menschen an der Peripherie
Thomas Wallimann-Sasaki, Leiter des Sozialinstituts der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Schweiz, geht mit seiner reformierten Kollegin einig. «Persönliche Betroffenheit und ein damit einhergehendes Sensorium für die Menschen an der Peripherie, das ist vielen Kirchenleuten abhanden gekommen. Wohl gerade deshalb setzt der neue Papst dahingehend bewusst Akzente.» Bei politischen Themen hätten Theologinnen und Theologen vielfach Ängste, sich zu exponieren, meint der Spezialist für Christliche Sozialethik. Nicht zuletzt aufgrund von Zweifeln, in der Materie nicht sattelfest genug zu sein. «Obschon die meisten Menschen die Kirchen nach wie vor als soziales Gewissen wahrnehmen und sich Persönlichkeiten wie Abt Martin Werlen wünschen, die klar Position beziehen, gibt es diese viel zu selten», resümiert Thomas Wallimann-Sasaki.
Doppelter Gewinn für Familien
Miriam Locher (Name von der Redaktion geändert) aus Aarau arbeitet zu vierzig Prozent in einem Restaurationsbetrieb. Die Mitdreissigerin ist auf diesen Verdienst angewiesen. Sie hat eine dreijährige Tochter, der Lohn des Partners reicht nicht aus. «Ein Grundeinkommen von 2500 Franken? Klar, würde ich daheim bleiben. Mit meinem jetzigen Verdienst bin ich einen guten Tausender drunter», meint die gelernte Köchin. Der Gewinn wäre ein Doppelter: Nicht nur mehr Geld, auch die Kosten für die Krippe könnten eingespart werden. «Zudem müsste mein Mann nicht mehr hundert Prozent arbeiten und könnte mehr Zeit mit der Familie verbringen», stellt Miriam Locher freudig fest.
Nicht alle profitieren
Ein kritischer Blick auf das visionäre Projekt ist trotzdem angebracht. Gerade das eingangs erwähnte Beispiel zeigt: Das bedingungslose Grundeinkommen könnte Gefahr laufen, traditionelle Rollenbilder zu zementieren. Die Frau daheim, der Mann arbeitet. So avanciert das Grundeinkommen zum «Hausfrauenlohn». Mit Konsequenzen für viele nicht sonderlich gut bezahlte Arbeiten, die nach wie vor von Frauen ausgeübt werden. und mit der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens wohl zusätzlich an Attraktivität verlieren. Beispielsweise Anstellungen als Kindergartenlehrpersonen und Betreuerinnen in Kindertagesstätten. Dass gegenwärtig kaum Männer in diesen Jobs anzutreffen sind, liegt auf der Hand. Die Löhne bieten keine existenzsichernde Grundlage als Einzeleinkommen für die ganze Familie. Zudem dürften vom bedingungslosen Grundeinkommen nicht alle gleichermassen profitieren. Berufstätige, alleinerziehende Mütter wie beispielsweise Regina Meier hätten kaum mehr Handlungsspielraum als jetzt. Die Teilzeit arbeitende Pflegefachfrau liegt mit ihrem Verdienst über dem als Grundeinkommen veranschlagten Betrag von 2500 Franken, muss aber dennoch jeden Franken umdrehen, um sich und die beiden Kinder durchzubringen. Einzig die im Grundeinkommen vorgesehenen Beiträge für Kinder in Höhe von 625 Franken anstelle der derzeit ausbezahlten Kinderzulagen würden das Budget entlasten.
Ein Ansatz, der Einwände provoziert
«Nur zu fragen, wer profitiert, und wer nicht, greift zu kurz», meint Christian Müller aus dem Kreis der Initianten um Daniel Häni und Enno Schmidt. «Es geht vielmehr darum, wie unsere Gesellschaft künftig organisiert sein soll», so der Ökonom. «Und darum, dass nicht mehr aus ökonomischer Not heraus gearbeitet werden muss. Denn das Grundeinkommen würde die Lebenskosten auf bescheidener, aber existenzsichernder Höhe gewährleisten». Ein Ansatz der provoziert. «So geht doch niemand mehr arbeiten», hielten die einen den Unterschriftensammlern entgegen. «Da kommen erst recht alle Ausländer in die Schweiz», monierten die anderen. «Und warum soll jemand einfach so Geld bekommen, wenn er nicht arbeitet und sich noch nicht einmal um Arbeit bemühen muss», hiess es weiter. Das Diskussionsniveau habe sich jedoch in den letzten Monaten weiterentwickelt, weiss Christian Müller. Entsprechend kämen heute differenziertere Fragen. «Die Leute begreifen langsam, dass es eine gesellschaftliche Entwicklung braucht. Es geht um mehr als nur eine weitere Sozialversicherungsrevision. Es muss ein Paradigmenwechsel sein.»
Der Schweiz geht es (noch) zu gut für diese Diskussion
Thomas Wallimann-Sasaki vom Sozialinstitut der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Schweiz glaubt, dass für das Niveau und die Skepsis gegenüber der Idee des Grundeinkommens vor allem der gut funktionierende Sozialstaat verantwortlich ist. «In Deutschland, wo sich das Mindesteinkommen bei 600 Euro monatlich bewegt und die soziale Situation deutlich angespannter ist, wird die Diskussion engagierter geführt als bei uns, wo sich noch nicht einmal die Gewerkschaften für das Thema erwärmen konnten.» Nicht von der Hand zu weisen sei zudem die Befürchtung, dass der Migrationsdruck zunehmen werde. «Wenn die ohnehin gut situierte Schweiz im von Krisen geschüttelten Europa ein Grundeinkommen von 2500 Franken einführt, werden mehr Menschen hierher kommen wollen», ist der promovierte Theologe überzeugt. Nichts desto trotz begrüsst Thomas Wallimann-Sasaki das Projekt. «Über Jahrzehnte hinweg wurde uns eingeimpft, dass es der Gesellschaft nur gut geht, wenn jeder für sich schaut. Nun ändert sich die Blickrichtung. Immer mehr Leute sind überzeugt, dass ein besseres Leben für alle nur auf gegenseitiger Solidarität fussen kann.» Die in der Schweiz im Vergleich zum europäischen Umland nur marginal spürbare Krise der vergangenen Jahre, insbesondere aber der zunehmende Effizienzdruck, hat die althergebrachte Überzeugung, wonach wir uns über Erwerbsarbeit und materiellen Wohlstand definieren, deutliche abgenutzt. Zunehmend weniger Menschen sehen einen Sinn darin, sich im Hamsterrad abmühen zu müssen und zu sehen, wie ein paar wenige mit der grossen Kelle abschöpfen.
Andreas C. Müller
Ihre Meinung: Kann ein bedingungsloses Grundeinkommen die bestehenden sozialen Probleme besser abfedern als die gegenwärtig vorhandenen Instrumente unseres Sozialstaats?