In Zukunft Chat­bot ​statt Gebet?
Bild: © Roger Wehrli

In Zukunft Chat­bot ​statt Gebet?

Künstliche Intelligenz (KI) begegnet uns im Alltag immer öfter. Die Prognosen zeigen, dass ihre Präsenz weiter zunehmen wird. Wie sollen die Gläubigen damit umgehen? Werden wir bald nur noch mit einem «KI-­Jesus» sprechen? Wo muss die Kirche Verantwortung übernehmen, wenn es um KI geht? Auf diese und weitere Fragen hat uns Theologe und Philosoph Prof. Dr. Peter G. Kirchschläger Antworten geliefert.

Künst­li­che Intel­li­genz durch­dringt unse­re Leben als Indi­vi­du­en und als Gesell­schaft. Ganz all­ge­mein: Wel­che Aus­wir­kun­gen hat sie auf Religion?

Prof. Peter G. Kirch­schlä­ger: Ich wür­de grund­sätz­lich dazu ein­la­den, im Umgang mit soge­nann­ter «KI» kri­tisch zu sein, auch im Bereich von Reli­gi­on. Daher wür­de ich auch vor­schla­gen, die­se Syste­me nicht als «KI», son­dern als daten­ba­sier­te Syste­me (DS) zu bezeich­nen, da sie uns Men­schen in gewis­sen Intel­li­genz­be­rei­chen wohl über­ra­gen, aber für sie als Maschi­nen ande­re Intel­li­genz­be­rei­che, wie zum Bei­spiel emo­tio­na­le und sozia­le Intel­li­genz, uner­reich­bar sind und blei­ben – auf­grund von feh­len­der ech­ter Emo­tio­na­li­tät oder auf­grund von feh­len­der Moral­fä­hig­keit man­gels Frei­heit. Im Kern geht es bei die­sen Maschi­nen um Daten, Daten, Daten. Daten­ge­ne­rie­rung und ‑samm­lung, Daten­ver­ar­bei­tung, daten­ba­sier­te Hand­lun­gen. Es wäre aus ethi­scher Sicht wün­schens­wert, wenn Reli­gio­nen Zeit, Orte und Gefäs­se anbö­ten zur kri­ti­schen Refle­xi­on über DS, zum gemein­sa­men Dia­log über die ethi­schen Chan­cen und Risi­ken von DS und über ethi­sche Lösungs­an­sät­ze. Aus­ser­dem wäre es gut, wenn sie ihre eige­ne ethi­sche Kern­kom­pe­tenz in den öffent­li­chen Dis­kurs über DS ein­brin­gen und Men­schen im Umgang mit der Unge­wiss­heit, die DS aus­lö­sen, beglei­ten würden.

Kön­nen daten­ba­sier­te Syste­me reli­giö­se Erfah­run­gen ermög­li­chen? Wenn ja, in wel­chem Rah­men? Wo lie­gen die Grenzen?

Kirch­schlä­ger: DS kön­nen aus ethi­scher Sicht in vie­len Berei­chen unse­res Lebens posi­tiv ein­ge­setzt wer­den und dazu bei­tra­gen, dass allen Men­schen ein men­schen­wür­di­ges Leben und dem Pla­ne­ten eine nach­hal­ti­ge Zukunft ermög­licht wird. Reli­gi­on zählt nicht zu die­sen Berei­chen, weil zum Bei­spiel Pasto­ral und Seel­sor­ge von zwi­schen­mensch­li­cher Inter­ak­ti­on und von Bezie­hun­gen leben. Da kön­nen die DS nichts bie­ten. Es mag ja sein, dass wir mit sol­chen DS gewis­se Men­schen errei­chen. Wir soll­ten aber aus ethi­scher Per­spek­ti­ve kri­tisch hin­ter­fra­gen, wie, womit und wofür wir sie mit DS errei­chen. Wir Men­schen soll­ten viel kri­ti­scher und ethisch infor­miert ent­schei­den, ob und wie wir eine Tech­no­lo­gie schaf­fen, nut­zen oder aus ethi­schen Grün­den nicht nut­zen bezie­hungs­wei­se sie sogar zerstören.

Daten­ba­sier­te Syste­me beru­hen auf Algo­rith­men. Sie ver­fü­gen nicht über mora­li­sche Fähig­kei­ten. Neh­men wir an, ich unter­hal­te mich mit einem «KI-Jesus». Je nach­dem, mit wel­chen Daten er gefüt­tert wur­de, fal­len sei­ne Ant­wor­ten auf bestimm­te ethi­sche und mora­li­sche Fra­gen unter­schied­lich aus. Wie anfäl­lig sind «KI-Jesus­se/­Göt­ter» für die mora­li­sche Mani­pu­la­ti­on der Nut­zen­den? Wie kön­nen die Men­schen davor geschützt werden?

Kirch­schlä­ger: Eine der gröss­ten Her­aus­for­de­run­gen und Risi­ken stellt bereits in der Gegen­wart die poli­ti­sche und öko­no­mi­sche Mani­pu­la­ti­on dar. Auf­grund der gros­sen Daten­sät­ze, die DS sam­meln und gene­rie­ren, «ken­nen» uns DS bes­ser als wir uns selbst. Sie wis­sen genau, wel­che Punk­te wie ange­spro­chen wer­den müs­sen, um bei uns die durch die DS ange­streb­te poli­ti­sche Wahl-/Ab­stim­mungs­stim­me oder Kauf­ent­schei­dung zu bekom­men. Eine Aus­wei­tung der Mani­pu­la­ti­on auf das Reli­giö­se wäre fatal. Gleich­zei­tig steh­len DS im reli­giö­sen Bereich nicht nur Daten über das, wer und wie wir sind (Ver­hal­tens­mu­ster) sowie was wir wol­len (Inter­es­sen, Prä­fe­ren­zen), son­dern auch noch dar­über, wor­an wir glau­ben und wor­auf wir hof­fen, was uns schliess­lich noch weit ver­letz­ba­rer macht.

Kann es auch eine Chan­ce sein, sich mit einem KI-Jesus zu unterhalten?

Kirch­schlä­ger: Aus ethi­scher Per­spek­ti­ve bestehen hier nur Risi­ken, kei­ne Chan­cen. Denn ein sol­ches DS – ein gene­ra­ti­ves DS – ist bild­lich gespro­chen nichts ande­res als eine wie­der­käu­en­de Kuh, weil sie nur das wie­der­käu­en und dann aus­spucken kann, was ihr als Daten bereits ein­ge­speist wor­den ist. Erschwe­rend kommt noch hin­zu, dass das Kri­te­ri­um der Wahr­haf­tig­keit kei­ne Rol­le spielt. Ein DS lie­fert etwas, das syn­tak­tisch kor­rekt ist und seman­tisch eini­ger­mas­sen passt; ob die Inhal­te stim­men oder nicht, erweist sich als neben­säch­lich. Wir Men­schen hin­ge­gen stre­ben zumin­dest danach, die­ses Kri­te­ri­um zu erfül­len.
Ein dies­be­züg­li­cher kon­kre­ter Hand­lungs­vor­schlag aus mei­ner For­schung umfasst, men­schen­rechts­ba­sier­te DS zu schaf­fen. Men­schen­rechts­ba­sier­te DS bedeu­tet, dass im gesam­ten Lebens­zy­klus von DS die Men­schen­rech­te respek­tiert wer­den, d.h. beim Design, bei der Schür­fung der für DS not­wen­di­gen Roh­stof­fe, bei der Pro­duk­ti­on, bei der Nut­zung und auch bei der Nicht­nut­zung von DS auf­grund von Men­schen­rechts­be­den­ken. Gleich­zei­tig soll­te für die Durch­set­zung men­schen­rechts­ba­sier­ter «KI» eine Inter­na­tio­na­le Agen­tur für daten­ba­sier­te Syste­me (IDA) bei der UNO geschaf­fen wer­den – nach dem Modell der Inter­na­tio­na­len Atom­ener­gie­be­hör­de (IAEA), d.h. «mit Zäh­nen». Das meint, dass sie neben einer Platt­form für tech­ni­sche Zusam­men­ar­beit auch die Funk­ti­on einer Markt­zu­las­sungs- und Moni­to­ring­be­hör­de erfül­len soll, um men­schen­rechts­ver­let­zen­de und kli­ma- und umwelt­zer­stö­ren­de DS zu verhindern.

KI ist gedul­dig. Ist es wich­ti­ger, dass ein Gegen­über sich Zeit für einen nimmt, zuhört und auf einen ein­geht, als dass es ein rich­ti­ger Mensch ist?

Kirch­schlä­ger: Nein, es ist ein­deu­tig wich­ti­ger, dass das Gegen­über ein rich­ti­ger Mensch ist und dass wir uns als Men­schen gegen­sei­tig für­ein­an­der Zeit neh­men, denn DS sind nicht echt und haben weder Gefüh­le noch Empa­thie, son­dern simu­lie­ren Letz­te­re nur und täu­schen uns etwas vor. DS kön­nen nur das aus­füh­ren, was wir ihnen antrai­niert haben. Dies bedeu­tet, dass DS die Inter­ak­ti­on mit uns nicht ein­mal egal ist. DS haben über­haupt kei­nen Bezug dazu. DS erwei­sen sich auch nicht als fair, neu­tral und objek­tiv, denn sowohl die Daten als auch die Algo­rith­men, die DS aus­ma­chen, ken­nen Ver­zer­run­gen, soge­nann­te «bia­ses». Natür­lich haben wir Men­schen auch Vor­ur­tei­le, aber wir kön­nen uns selbst­kri­tisch damit aus­ein­an­der­set­zen und dazu verhalten.

Es gibt Schät­zun­gen, dass ein Auf­trag an einen Chat­bot drei­mal mehr Treib­haus­ga­se zur Fol­ge hat als eine Goog­le-Anfra­ge. Im Wis­sen dar­um und in der Sor­ge um die Mit­welt, dür­fen wir uns die­ser Tech­no­lo­gie bedienen?

Kirch­schlä­ger: Mei­nes Erach­tens erhal­ten die nega­ti­ven öko­lo­gi­schen Aus­wir­kun­gen von DS viel zu wenig Auf­merk­sam­keit. Natür­lich ist zu hof­fen, dass DS uns Men­schen dabei unter­stüt­zen, Wege zu fin­den, wie wir Kli­ma- und Mit­welt­zer­stö­rung ein Ende set­zen kön­nen. Aber das ist noch Zukunfts­mu­sik, bei der eine Unsi­cher­heit mit­klingt, ob das über­haupt der Fall sein wird. Frap­pan­te Gegen­wart ist aber bereits das ethi­sche Pro­blem, dass DS die Mit­welt mas­siv bela­sten und zur Kli­ma­zer­stö­rung bei­tra­gen, was wir als poten­zi­el­le Nut­zen­de von DS berück­sich­ti­gen soll­ten. Daher wäre es auch eine zen­tra­le Auf­ga­be von IDA bei der UNO, sich kon­se­quent für nach­hal­ti­ge DS ein­zu­set­zen – «mit Zähnen».

Prie­ster­man­gel hier, nicht genug Per­so­nal da. Wenn Sie eine Pro­gno­se abge­ben müss­ten: Wie könn­te eine KI-inte­grie­ren­de Kir­che in 10/20 Jah­ren aussehen?

Kirch­schlä­ger: Es man­gelt defi­ni­tiv nicht an Men­schen, die sich in der Kir­che beruf­lich enga­gie­ren wol­len, son­dern es gibt dies­be­züg­lich eine drin­gen­den Reform­be­darf in der Kir­che selbst im Sin­ne einer Men­schen­rechts­her­me­neu­tik, um dies­be­züg­li­che Dis­kri­mi­nie­run­gen von Men­schen zu been­den. Ich wür­de basie­rend auf mei­ner For­schung dazu ein­la­den, dass sich die Kir­che in ihrem Wir­ken hin­sicht­lich DS auf die Allein­stel­lungs­merk­ma­le der Men­schen im Ver­gleich zu Maschi­nen fokus­siert und die­se för­dert sowie zur Gel­tung kom­men lässt, näm­lich u. a. Zwi­schen­mensch­lich­keit, Moral­fä­hig­keit, Empa­thie, kri­ti­sches Den­ken, Krea­ti­vi­tät, Sinn­stif­tung. Dar­über hin­aus soll­te sich die Kir­che mit ihrer eige­nen ethi­schen Kern­kom­pe­tenz viel stär­ker in den demo­kra­ti­schen Mei­nungs­bil­dungs- und Ent­schei­dungs­fin­dungs­pro­zess zur Nut­zung und auch ethisch basier­ten Nicht­nut­zung von DS ein­brin­gen. Schliess­lich wäre es von einem ethi­schen Stand­punkt aus hilf­reich, wenn die Kir­che auch ein Ort wäre, wo Men­schen gemein­sam nach Ant­wor­ten suchen kön­nen und Beglei­tung erfah­ren für den Umgang mit all den Unge­wiss­hei­ten, die der so rasant vor­an­schrei­ten­de tech­no­lo­gi­sche Fort­schritt aus­löst, z. B. was die mas­si­ve Reduk­ti­on von bezahl­ten beruf­li­chen Auf­ga­ben für Men­schen bedeu­tet, wofür wir Zeit sinn­voll ein­set­zen, wenn wir kei­nem bezahl­ten Beruf mehr nach­ge­hen müssen/können, wo alter­na­ti­ve Quel­len von Sinn­stif­tung und Iden­ti­tät lie­gen könnten, …

Inter­na­tio­na­le Agen­tur für daten­ba­sier­te Systeme

Wer die Schaf­fung von IDA bei der UNO ideell unter­stüt­zen möch­te, kann auf www.idaonline.ch einem glo­ba­len, inter­na­tio­na­len und inter­dis­zi­pli­nä­ren Netz­werk von Unterstützern/innen bei­tre­ten. Ihre Stim­men wer­den den UNO-Mit­­glie­d­­staa­ten und der UNO kom­mu­ni­ziert. Unter ande­rem Papst Fran­zis­kus, UNO-Gene­ral­­se­­k­re­tär ­Antó­nio Guter­res und Sam Alt­man (Grün­der von Ope­nAI, das ChatGPT anbie­tet) unter­stüt­zen IDA.

Leonie Wollensack
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