Die Zukunft gehört dem interreligiösem Angebot
Gemäss Einschätzung von Hans Niggeli, Leiter der Heim- und Spitalseelsorge der Römisch-Katholischen Landeskirche, werden künftig die Andachtsräume an Spitälern vermehrt offen sein für die grossen Weltreligionen. In Baden hat man dahingehend bereits Erfahrungen gesammelt, das Kantonsspital Aarau und die Klinik Barmelweid folgen nach.«Bitte lieber Gott, nimm meinem Mann die Krankheit, die vielen Tumore. Wir haben noch viele Wünsche und Träume.» Solche und andere Bitten, teils auch Dank für Genesung finden sich in einem Buch, das im «Raum der Stille» am Kantonsspital Aarau aufliegt – in der linken Ecke auf einem kleinen Altar mit schlichtem Blumenschmuck und aufgeschlagener Bibel. An der Wand hängen ein dezent gehaltenes Kruzifix sowie eine Marien-Ikone. «Ein Raum als Rückzugsmöglichkeit an einem Spital ist von grossser Bedeutung für verschiedene Leute» weiss Hans Niggeli, Leiter der Spital- und Heimseelsorge der Römisch-Katholischen Landeskirche im Aargau. Wo Patienten, Angehörige, aber auch Spitalmitarbeitende mit schwierigen Situationen konfrontiert sind, werden die in den Andachtsräumen aufliegenden Bücher rege benutzt. Ängste, Wünsche und Gebete finden sich dort, teils auch Dank. Oft verweilen die Menschen in den Andachtsräumen auch einfach, um kurz in sich zu gehen und eine Kerze anzuzünden.
Kantonsspitäler mit dem besten Angebot
In der Aargauer Spitallandschaft sind Andachtsräume weit verbreitet. Je nach Grösse des Spitals und entsprechender Sensibilisierung der Spitalleitungen variiert das Angebot. An den Kantonsspitälern in Aarau und Baden gestaltet sich die Situation am Komfortabelsten. In Aarau gibt es nebst dem Raum für ökumenische Gottesdienstfeiern sogar einen separaten kleinen Andachtsraum. Und das Kantonsspital Baden bietet in seinem multifunktionalen Raum seit gut zwei Jahren gar Muslimen die Möglichkeit, ihre Gebetsrituale zu verrichten. Der mittlerweile pensionierte reformierte Spitalseelsorger Jürg Blösch erinnert sich noch genau, wie er seinerzeit einen Muslim antraf, der mit Kompass und einem Papierpfeil die Ausrichtung nach Mekka definierte. «Im Seelsorge-Team haben wir das aufgenommen und eine Gebetsecke mit Teppichen für Muslime eingerichtet», erinnert sich Jürg Blösch. «Wir wollten zeigen, dass auch Muslime hier willkommen sind».
Christen und Muslime beten im selben Raum
Das Kantonsspital Aarau KSA vollzieht nun nach, was in Baden seit Jahren funktioniert: Das Nebeneinander von christlicher und muslimischer Gebetskultur. Aktuell wird der Raum der Stille am KSA umgestaltet, so dass er künftig auch Muslimen die Möglichkeit bietet, gemäss ihrem Ritus zu beten. «Das macht durchaus Sinn», erklärt Hans Niggeli. Denn es gibt am Kantonsspital Aarau einige Muslime, die im Bereich Pflege oder anderen Berufen arbeiten und auch zu den ökumenischen Gottesdiensten kommen.» Gemäss Recherchen von Horizonte ist im «Raum der Stille», dem kleinen quadratischen Andachtsraum, der unmittelbar an den grösseren Saal für Gottesdienste angrenzt, ein erhöhter Bereich geplant ist, der nicht mit Schuhen betreten werden soll. Dort können dann die Gebetsteppiche in Richtung Mekka ausgerichtet werden. Die christlichen Elemente wie Tabernakel und Gebetsbuch, aber auch die Auslage fürs Anzünden von Kerzen verbleiben ebenfalls im Raum.
Ängste im Umgang mit dem Islam
«Die Eröffnung des umgestalteten Raumes ist auf Ende Oktober geplant» erklärt Andrea Hopmann, Kommunikationsverantwortliche am Kantonsspital Aarau. Doch weiter wollen sowohl sie als auch die für die Umgestaltung unmittelbar zuständige interkulturelle Vermittlerin, Rita Bossart-Kouegbe, keine Auskunft geben. «Wir möchten zuerst die Mitarbeitenden am Spital informieren und dann Erfahrungswerte sammeln», heisst es auf Anfrage. Die erwähnte Zurückhaltung, ja gar Nervosität im Umgang mit dem Thema lässt aufhorchen. Auch am Kantonsspital Baden hätte man es eigentlich am liebsten, wenn aktuell noch nichts zum Thema geschrieben würde. Am KSB werde das Miteinander verschiedener Kulturen und Religionen diskutiert. «Was und dass darüber diskutiert wird, ist noch nicht zu veröffentlichen», heisst es in einem Mail, dessen Absender Horizonte mit Rücksicht auf die Person nicht namentlich nennt. Es sei sicher so, dass beim Thema Islam Ängste bestünden, meint Hans Niggeli. Dabei zeige doch das Beispiel Baden, dass es kaum Probleme gebe. Das Angebot werde ja auch eher nur marginal genutzt. «Gewiss, von den orthodoxen Gläubigen auf beiden Seiten wird es sicher Reaktionen geben, doch interreligiöse Räume für Andacht und Gebete, welche ein Angebot für verschiedene Religionsgemeinschaften vereinen, das wird die Zukunft an Spitälern sein», ist Hans Niggeli überzeugt. In Leuggern wurde der Andachtsraum zwar nicht entsprechend umgestaltet, doch beten dort bereits Christen wie auch Muslime. «Unser Raum ist ökumenisch und interreligiös», erklärt die zuständige Seelsorgerin Monika Persello.
Auch Barmelweid plant mit anderen Religionen
2019 – mit Fertigstellung des dort geplanten Klinik-Neubaus – ist auch auf der Barmelweid ein Andachtsraum mit interreligiösem Angebot angedacht. «Auf die – ich nenne es mal „kleine Ökumene“ folgt nun die grosse», beschreibt es der an der Klinik und am gleichen Ort situierten Pflegezentrum tätige Seelsorger Daniel Muoth. Bereits im bestehenden Raum mit Orgel und Altar, der für Gottesdienste bestuhlt ist, habe man die christlichen Zeichen sehr diskret platziert, erklärt Daniel Muoth. «Damit sich auch Konfessionslose wohl fühlen». Neu werden die christlichen Konfessionen «die Gastgeber für die anderen Religionen sein: Islam, Judentum, Buddhismus und Hinduismus.» Zusammen mit dem Kirchenhistoriker Johannes Stückelberger, Dozent für Religions- und Kirchenästhetik, soll der neue Raum so gestaltet werden, «dass jede Weltreligion mit entsprechenden Symbolen vertreten ist. Beispielsweise mit den ihr eigenen Büchern, einem Gebetsteppich oder auch Statuen und Kerzenleuchtern.» Wie das genau aussehen soll, ist noch unklar, doch der involvierte Kirchenhistoriker habe bereits Erfahrung in der Umsetzung solcher Projekte, meint Daniel Muoth zuversichtlich.
Zugang zu jeder Tages- und Nachtzeit als Idealfall
Sowohl Daniel Muoth als auch Hans Niggeli sind erleichtert, dass im Neubau auf der Barmelweid der Seelsorge wieder ein «explizit religiöser Raum» zugestanden wird. Seitens der Klinikleitung erfolgte der Entscheid entgegen dem landläufigen Trend, die Religionen in sogenannt multifunktionalen Räumen unterzubringen. «Ich bin sehr froh, dass man auf der Barmelweid verstanden hat, worauf es bei solchen Räumen ankommt», erklärt Daniel Muoth. «Ziel sollte sein, dass Patienten zu jeder Tages- und Nachtzeit in den Andachtsraum gehen können. Das wäre bei einer multifunktionellen Nutzung nicht mehr gegeben.» Möglich, dass die steigende Nachfrage nach einem zumindest wöchentlichen Gottesdienst und anderen Ritualen auf der Barmelweid den Entscheid der Klinikleitung beeinflusst hat, mutmasst Daniel Muoth. «Weiter hat auch die Verlegung des Pflegezentrums Laurenzenbad auf die Barmelweid zu einer vermehrten Nachfrage geführt.»
Keine Kerzen in multifunktionalen Räumen
Die fortlaufende Abdrängung der Spital- und Heimseelsorge in sogenannt multifunktionale Räume – wo einerseits Andachten, andererseits aber auch Informationsveranstaltungen sowie Therapie-Angebote stattfinden – ortet der Leiter der Römisch-Katholischen Spital- und Heimseelsorge, Hans Niggeli als zunehmendes Problem. «Eine solche Platzierung ist klar mit Einschränkungen verbunden. Einerseits über den Zugang, andererseits dürfen die Leute keine Kerzen mehr anzünden. Das vermissen die meisten – auch nicht kirchlich Gebundene», weiss Hans Niggeli. Konkret betrifft es zum jetzigen Zeitpunkt das Angebot in Windisch an der Psychiatrischen Klinik, die Hirslanden Klinik in Aarau sowie das Regionalspital in Menziken. Entsprechend unzufrieden mit der Situation ist Andreas Wieland, der in Menziken tätige Seelsorger. «Wir haben in Menziken keinen offiziellen Andachtsraum. Unsere Gottesdienste halten wir im Aktivierungsraum ab», erklärt Andreas Wieland. Der Mangel fällt umso mehr ins Gewicht, als dass das Spital Menziken eine Alters- und Geriatrie-Abteilung besitzt, also Menschen, für die Religion noch eine wichtige Rolle spielt. Hinzu kommt: «Kerzen dürfen nur im Abdankungsraum angezündet werden, nicht unbedingt der für jede Situation geeignete Ort.» Entsprechend improvisiert Andreas Wieland, hat stets elektrische Kerzen dabei, die er den Menschen in den Zimmern zurücklassen kann.
Bitte an den lieben Gott
Im «Raum der Stille» am Kantonsspital Aarau brennen zwei Kerzen. Ihr Licht flackert in der Dämmerung bis über die Zeilen des Buches, in welchem sich tagtäglich Menschen von der Seele schreiben, was sie beschäftigt oder bedrückt. «Lieber Gott, bitte mach, dass Oma bald wieder nach Hause kann», heisst es da in krakelig-kindlicher Schrift. Der Text wurde umrahmt, eine herzförmige Linie.
Übersicht Angebot Spitalseelsorge im Kanton Aargau:- Kantonsspital Aarau: Gottesdienste und «Raum der Stille» zur Einkehr, Kerzen anzünden möglich
- Aarau Hirslanden: Nur Seelsorge-Besuche auf Anfrage
- Klinik Barmelweid: Gottesdienste und Einkehr, Kerzen anzünden möglich
- Kantonsspital Baden: Gottesdienste und Einkehr. Interreligiöse Ausrichtung. Kerzen anzünden möglich
- Klinik Königsfelden: Gottesdienste, Einkehr
- Regionalspital Muri: Gottesdienste, Einkehr, Kerzen anzünden möglich
- Regionalspital Leuggern: Gottesdienste, Einkehr, Kerzen anzünden möglich
- Regionalspital Laufenburg: Gottesdienste, Einkehr, Kerzen anzünden möglich
- Regionalspital Zofingen: Gottesdienste, Einkehr