«Die Seel­sor­ge steht im Dienst der Menschen»

«Die Seel­sor­ge steht im Dienst der Menschen»

  • Wenn die pasto­ra­le und die staats­kir­chen­recht­li­che Sei­te der Kir­che in Streit gera­ten, wie jüngst wie­der in Gebens­torf-Tur­gi oder in Bad Zurz­ach, dann taucht schnell ein­mal die Fra­ge auf, ob sol­che Pro­ble­me nicht system­im­ma­nent sind.
  • Hori­zon­te hat aus die­sem Grund bei Ver­tre­tern bei­der Sei­ten des soge­nann­ten dua­len Systems nach­ge­fragt, wie sie das Kon­flikt­po­ten­zi­al die­ser welt­weit ein­zig­ar­ti­gen Schwei­zer Kir­chen­struk­tur einschätzen.
  • Im fünf­ten und letz­ten Teil die­ser Rei­he erklärt der lang­jäh­ri­ge Gene­ral­se­kre­tär der Römisch-Katho­li­schen Zen­tral­kon­fe­renz der Schweiz, Dani­el Kosch, was für das dua­le System spricht.

Auf­grund der Vor­komm­nis­se in Gebens­torf-Tur­gi und in Bad Zurz­ach, nicht zuletzt wegen der vie­len Stim­men, die den Grund für die teil­wei­se unchrist­lich geführ­ten Gra­ben­kämp­fe der jewei­li­gen Par­tei­en im dua­len System ver­or­ten, hat Hori­zon­te auch bei Dani­el Kosch, dem Gene­ral­se­kre­tär der Römisch-Katho­li­schen Zen­tral­kon­fe­renz der Schweiz (RKZ), nach­ge­fragt, wor­in denn nun die Chan­cen und Risi­ken eben die­ses Systems beständen. 

Wenig ver­wun­der­lich, dass der pro­mo­vier­te Theo­lo­ge, der seit 21 Jah­ren im Zusam­men­schluss der kan­to­nal­kirch­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen eine zen­tra­le Rol­le ein­nimmt, zuerst die Vor­tei­le des dua­len Systems wür­digt: «Ein gros­ser Vor­teil sind sicher die Par­ti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­kei­ten, die Mög­lich­kei­ten der Lai­en, Mit­ver­ant­wor­tung zu über­neh­men und dadurch die Seel­sor­ger von Auf­ga­ben zu ent­la­sten, die nicht zum inner­sten Kern ihres Auf­ga­ben­be­reichs gehö­ren, etwa wenn es um Geld geht, um Admi­ni­stra­ti­on, um Anstel­lungs­ver­hält­nis­se und so wei­ter. Ein zwei­ter Vor­teil des dua­len Systems, so wie wir es in der Schweiz ken­nen, ist der Föde­ra­lis­mus. Das heisst, was sich ganz unten an der Basis, vor Ort ereig­net, das wird auch vor Ort ent­schie­den. Die Betei­lig­ten ent­schei­den sel­ber. Es gibt kei­ne zen­tra­li­sti­schen Ent­schei­dungs­struk­tu­ren. Kirch­lich gespro­chen nennt sich das Subsidiarität.»

Macht­spie­le und ‑strei­tig­kei­ten

Aller­dings, räumt Kosch ein, kann die Tren­nung der Zustän­dig­kei­ten, die das dua­le System kenn­zeich­nen, auch zu Rei­bun­gen füh­ren: «Die Auf­ga­ben wer­den ja nicht ein­fach geteilt, wie man einen Kuchen teilt, so dass jeder exakt sei­ne Hälf­te hat.» Durch die Über­lap­pung der Auf­ga­ben kön­ne es dazu kom­men, dass jemand die­se Situa­ti­on als Macht­spiel auf­fas­se und ver­su­che, aus sei­ner Macht her­aus Ein­fluss zu neh­men. «Wenn dann die einen sagen: ‹Wir haben die pasto­ra­le Macht› und die ande­ren: ‹Wir haben die Finanz­macht›, dann wird das sehr schwierig.»

Zu den ein­gangs erwähn­ten Que­re­len in Bad Zurz­ach und Gebens­torf-Tur­gi nimmt der RKZ-Gene­ral­se­kre­tär nicht Stel­lung, aber er erklärt, dass es bei Kon­flik­ten im dua­len System neben Macht­strei­tig­kei­ten auch noch eine tie­fe­re Ebe­ne gebe: «Dabei geht es um unter­schied­li­che Vor­stel­lun­gen dar­über, wohin sich die Kir­che bewe­gen soll. Wenn man sich nicht ver­stän­di­gen kann, dann ver­sucht jeder mit sei­nen Mit­teln, sei­ne Zie­le durch­zu­set­zen.» Und hier kämen dann die zwei unter­schied­li­chen Rechts­sy­ste­me ins Spiel, die in der Schwei­zer Kir­chen­struk­tur gel­ten: das Kir­chen­recht und das Staats­kir­chen­recht. «Die­se bei­den Syste­me koexi­stie­ren. Sie sind zwar in der Pra­xis auf­ein­an­der bezo­gen, aber sie bil­den nicht ein Recht, son­dern es sind zwei ver­schie­de­ne, die auch einer unter­schied­li­chen Logik folgen.»

Bei man­chen Prie­stern und Seel­sor­gen­den, die aus ande­ren Kul­tur­krei­sen stam­men, mer­ke man, dass ihnen das Grund­ver­ständ­nis für das schwei­ze­ri­sche System mit sei­nem Staats­kir­chen­recht feh­le und sie Schwie­rig­kei­ten hät­ten, sich dar­in zurecht­zu­fin­den, sagt Kosch. «Es gibt aber auch staats­kir­chen­recht­li­che Behör­den, denen die­ser Hin­ter­grund fehlt, die nicht wis­sen, woher die­ses Recht stammt. Die bekun­den dann auch Mühe damit, es rich­tig zu interpretieren.» 

Auch mit weni­gen funktioniert’s

Wegen des Prie­ster- und Seel­sor­ger­man­gels ist die Schweiz aber zuneh­mend auf pasto­ra­les Per­so­nal aus dem Aus­land ange­wie­sen. Der Schwei­zer Kir­che lau­fen gleich­zei­tig immer mehr Schäf­chen davon und ent­zie­hen sich durch den Kir­chen­aus­tritt ihrer steu­er­li­chen Ver­pflich­tun­gen gegen­über der Kir­che. Lässt sich ange­sichts die­ser Umstän­de der kir­chen­struk­tu­rel­le Son­der­fall Schweiz über­haupt noch guten Gewis­sens auf­recht­erhal­ten? «Ja», sagt Dani­el Kosch, «denn der gros­se Vor­teil die­ses Systems ist es ja, dass die Mit­glie­der der Glau­bens­ge­mein­schaf­ten die­se Kör­per­schaf­ten bil­den und nicht etwa der Staat oder die gan­ze Bevöl­ke­rung. Das bedeu­tet, dass auch rela­tiv klei­ne Grup­pie­run­gen von die­sen Struk­tu­ren pro­fi­tie­ren kön­nen. Ein schö­nes Bei­spiel dafür sind, gera­de im Kan­ton Aar­gau oder in Solo­thurn, die Christ­ka­tho­li­ken. Sie waren schon immer eine klei­ne Min­der­heit, aber dank des Schwei­zer Systems funk­tio­niert das trotz­dem sehr gut.»

Also ent­ste­hen Pro­ble­me mit dem dua­len System nicht pri­mär, weil die Mit­glie­der­zah­len schwin­den, son­dern, so Kosch, weil durch die stei­gen­de Zahl von kir­chen­di­stan­zier­ten oder nicht reli­gi­ös sozia­li­sier­ten Men­schen, die sich an die­sem System betei­li­gen, das Ver­ständ­nis dafür, wor­um es eigent­lich geht, nicht mehr gross genug sei. «Ich habe es schon oft erlebt, dass Leu­te, etwa aus der Wirt­schaft, kamen und sag­ten: ‹Also in der Wirt­schaft läuft das so und so…› Aber die Wirt­schaft hat ande­re Zie­le und folgt ande­ren Geset­zen. Wirt­schaft­li­che Betrie­be sind nicht syn­odal auf­ge­baut. Allen­falls hat da die Mit­ar­bei­ter­mit­wir­kung zum Ziel, das Unter­neh­men zu ver­bes­sern, aber nicht im Sin­ne unse­res Volk-Got­tes-Ver­ständ­nis­ses, bei dem es heisst: Wir alle tra­gen das mit.»

Betei­li­ge man sich mit die­sem unter­neh­me­ri­schen Ansatz zum Bei­spiel in einer Kir­chen­be­hör­de, dann sei man leicht ver­sucht zu den­ken, die Seel­sor­gen­den – ins­be­son­de­re, wenn es sich um Lai­en han­delt – sei­en ein­fach unter­stell­te Mit­ar­bei­ten­de, die Wei­sun­gen zu befol­gen hät­ten. Die Kir­chen­be­hör­de wäre dann so etwas wie der Ver­wal­tungs­rat. Die­ses Ver­ständ­nis ent­spre­che aber nicht dem Kon­zept des dua­len Systems, das auf dem Zusam­men­spiel von pasto­ral und staats­kir­chen­recht­lich Ver­ant­wort­li­chen beruhe.

Zusam­men­rau­fen und Lösun­gen finden

Dem gegen­über ste­he aber auch das, was Papst Fran­zis­kus als «Kle­ri­ka­lis­mus» kri­ti­sie­re: Ein Selbst­ver­ständ­nis von Amts­trä­gern, die mein­ten, qua Amt hät­ten sie grund­sätz­lich eine Über­le­gen­heit bezüg­lich der Fra­ge wie es wei­ter gehen soll in der Kir­che und wie zu ent­schei­den sei. «Dabei über­se­hen sie, schon rein sozio­lo­gisch, dass die­se Gemein­den und Pfar­rei­en seit Jahr­hun­der­ten bestehen, und alle paar Jah­re oder Jahr­zehn­te kom­men neue Seel­sor­ger. Wenn man die Erwar­tung hat, eine Gemein­de müs­se ein­fach das tun, was sich die Seel­sor­ger unter Kir­che vor­stel­len, dann ver­kehrt man eigent­lich das Ver­ständ­nis, denn die Seel­sor­ge steht im Dienst der Menschen.»

Trotz die­ser Kon­flik­te, betont Kosch zum Schluss, dür­fe man die Pro­por­tio­nen nicht ver­lie­ren: «Wenn man sich vor­stellt, dass es in der Schweiz etwa 1500 Kirch­ge­mein­den gibt und X Pasto­ral­räu­me und so wei­ter, dann darf man schon sagen, dass die­ses Zusam­men­spiel im Gros­sen und Gan­zen gelingt. Es ist mit den Pro­ble­men behaf­tet, die jedes Zusam­men­spiel hat. In jeder Orga­ni­sa­ti­ons­form gibt es Span­nun­gen. Aber das dua­le System ist nicht so ange­legt, dass es nicht funk­tio­nie­ren kann. Es ist aller­dings dann, wenn sich eine Situa­ti­on schon stark zuge­spitzt hat, rela­tiv schwie­rig, zur Dees­ka­la­ti­on zu kom­men, ohne Per­so­nen aus­wech­seln zu müs­sen. Aber das ist in einem Wirt­schafts­be­trieb auch so. Wenn der Ver­wal­tungs­rat und der Direk­tor zusam­men nicht funk­tio­nie­ren, dann heisst es ja auch: ‹Wegen unter­schied­li­cher Vor­stel­lung die Stra­te­gie betref­fend, haben wir uns im gegen­sei­ti­gen Ein­ver­neh­men getrennt.› Die­se Not­wen­dig­keit, zu ein­ver­nehm­li­chen Lösun­gen zu kom­men, ist auch eine Stär­ke unse­res Systems. Es geht davon aus, dass sich die Leu­te zusam­men­rau­fen und mit­ein­an­der Lösun­gen fin­den – und dass sie auch irgend­wie zusammenpassen.»

Das Zusam­men­spiel für alle

«Das dua­le System in der katho­li­schen Kir­che der Schweiz ist ein­zig­ar­tig und vol­ler Chan­cen», schreibt die RKZ auf ihrer Web­sei­te unter dem Titel «Auf das Zusam­men­spiel kommt es an». Sie hat unter die­sem Titel auch ein eige­nes Kar­ten­spiel ent­wickelt und pro­du­ziert, das dazu ein­lädt, sich die­sem Zusam­men­spiel für ein­mal mit ande­rem Blick zu nähern. Ein Seel­sor­ger, der in sei­ner Pre­digt poli­ti­siert? Neue Möbel statt einer neu­en Stel­le für die Senio­ren­pa­sto­ral? Medi­tie­ren statt beten im Reli­gi­ons­un­ter­richt? – In den Pfar­rei­en und Kirch­ge­mein­den stel­len sich immer wie­der Fra­gen, die zu Span­nun­gen füh­ren kön­nen. Weil, ver­ein­facht aus­ge­drückt, Pfar­rer und Gemein­de­lei­tung für die Seel­sor­ge ver­ant­wort­lich sind, Kir­chen­rat und Kirch­ge­mein­de aber das Geld dafür spre­chen müs­sen. «Da gilt es, abzu­wä­gen und einen klu­gen Aus­gleich zu fin­den», emp­fiehlt die RKZ. Mit Hil­fe die­ses Spiels kann man den respekt­vol­len Umgang im und mit dem dua­len System unter­halt­sam ein­üben. Bestel­len kann man es direkt über die Web­sei­te der RKZ.


Wei­te­re Arti­kel zum Thema

https://www.horizonte-aargau.ch/das-duale-system-frisst-seine-kinder-auf-beiden-seiten/
https://www.horizonte-aargau.ch/konsens-ist-ein-wichtiges-wort/
https://www.horizonte-aargau.ch/es-funktioniert-solange-keiner-unter-dem-hag-durch-frisst/
https://www.horizonte-aargau.ch/nur-machtmissbrauch-ist-boese/
Christian Breitschmid
mehr zum Autor
nach
soben