Die Schwä­che als Stär­ke im Dialog

Die Schwä­che als Stär­ke im Dialog

Jan-Hei­ner Tück zum Wahr­heits­an­spruch des Christentums

Wie soll man mit den Wahr­heits­an­sprü­chen der Reli­gio­nen umge­hen? «Dif­fe­ren­zen sol­len nicht zuge­klei­stert, son­dern im Gespräch aus­ge­tra­gen wer­den», sag­te der Theo­lo­ge Jan-Hei­ner Tück an der Aene­as-Sil­vi­us-Vor­le­sung an der Uni­ver­si­tät Basel. Tück plä­dier­te dafür, aus der Wahr­heit der christ­li­chen Offen­ba­rung Kraft für den Dia­log mit ande­ren Reli­gio­nen zu schöpfen.Wie lässt sich das Kon­flikt­po­ten­ti­al, das im Auf­ein­an­der­tref­fen unter­schied­li­cher reli­giö­ser Über­zeu­gun­gen liegt, ent­schär­fen? Jan Ass­mann hat vor einem Jahr zum Auf­takt des neu­en Vor­le­sungs­zy­klus der Aene­as-Sil­vi­us-Stif­tung die­se Fra­ge mit dem Modell einer dop­pel­ten Reli­gi­on beant­wor­tet. Sei­ne «Reli­gio Duplex» stellt eine uni­ver­sa­le natür­li­che Reli­gi­on über die unter­schied­li­chen reli­giö­sen Wahr­heits­an­sprü­che. Für den Wie­ner Theo­lo­gie­pro­fes­sor Jan-Hei­ner Tück hin­ge­gen liegt die Ant­wort im Kern der christ­li­chen Reli­gi­on, dem Lei­den Jesu.Die «Ein­klam­me­rung» der Wahr­heits­an­sprü­che hält er für den fal­schen Weg. «Die­se Emp­feh­lung hat den Nach­teil, dass sie das Selbst­ver­ständ­nis der Reli­gio­nen über­geht, die sich aus­drück­lich auf Offen­ba­rungs­wahr­hei­ten stüt­zen», hält er in der Ein­la­dung zur 55. Aene­as-Sil­vi­us-Vor­le­sung fest. «Im Zen­trum der christ­li­chen Reli­gi­on steht ein Opfer, nicht ein Täter», beton­te Tück. Das Kreuz lege die Wahr­heit über den Men­schen frei, indem es Leid und Ver­wund­bar­keit, Schuld­an­fäl­lig­keit und Ver­söh­nungs­be­dürf­tig­keit zei­ge. Das Kreuz zei­ge aber auch die Wahr­heit über Gott. «Gott woll­te sich begreif­lich machen.» Die Lei­dens­ge­schich­te Jesu, die Pas­si­on, ver­stö­re bis heu­te, nicht zuletzt weil sie im Gegen­satz zu gött­li­chen Attri­bu­ten wie «strah­lend», «mäch­tig», «unbe­sieg­bar» ste­he. Gera­de in der Schwä­che kön­ne die eigent­li­che Stär­ke der christ­li­chen Reli­gi­on gese­hen wer­den, for­mu­lier­te Tück als The­se. «Die Wahr­heit erscheint nicht in Form des Tri­umphs, sie wählt den Weg der Pas­si­on.»Wie aber soll die Bezie­hung zu ande­ren Reli­gio­nen aus­se­hen? Dafür hat das Chri­sten­tum im Ver­lauf sei­ner Geschich­te unter­schied­li­che Wege gewählt. Seit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil gilt in der römisch-katho­li­schen Kir­che der sich auf Chri­stus zen­trie­ren­de Inklu­si­vis­mus, der bei einer Höchst­ge­l­tung der christ­li­chen Reli­gi­on die Aner­ken­nung des Wah­ren und Guten ande­rer Reli­gio­nen ein­schliesst. Die Ernied­ri­gung Jesu müs­se sich auch in der Hal­tung im Dia­log mit ande­ren Reli­gio­nen nie­der­schla­gen.Tück ver­tritt die The­se eines kenoti­schen Inklu­si­vis­mus, der sich auf die Selbst­en­t­äus­se­rung, die soge­nann­te Kenosis, von Jesus und die Über­zeu­gung, dass Gott das Heil aller Men­schen will, bezieht. Die­se Hal­tung geht von einer Got­tes­eben­bild­lich­keit des Men­schen aus, die als Prin­zip der Men­schen­wür­de in staat­li­chem Recht Ein­gang gefun­den hat. Im Bezug dar­auf, dass die Mit­glied­staa­ten der Orga­ni­sa­ti­on der Isla­mi­schen Kon­fe­renz die All­ge­mei­ne Erklä­rung der Men­schen­rech­te der UNO von 1948 in der Kai­ro­er Erklä­rung von 1990 nur unter dem Vor­be­halt der Scha­ria ange­nom­men haben, spricht Tück von einer «zen­tra­len Bau­stel­le» im isla­misch-christ­li­chen Dia­log.Aus dem kenoti­schen Inklu­si­vis­mus ergibt sich gemäss Tück, dass die Wei­ter­ga­be der Offen­ba­rung in Kom­mu­ni­ka­ti­on und nicht als Zwang erfol­gen soll. Lei­der sei in der katho­li­schen Kir­che Glau­bens- und Gewis­sens­frei­heit lan­ge nicht respek­tiert wor­den. Erst das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil hat die Wen­de gebracht.Der kenoti­sche Inklu­si­vis­mus beinhal­tet auch, die Per­spek­ti­ve des ande­ren ein­zu­neh­men, sich in den Augen der ande­ren zu sehen. Bereit­schaft zu Selbst­kri­tik sei eine der Vor­aus­set­zun­gen für das Gelin­gen von inter­re­li­giö­sem Dia­log, sag­te Tück. Und last but not least: Die Wahr­heit gel­te es nicht nur mit den Lip­pen wei­ter­zu­ge­ben, son­dern auch durch Taten.Regu­la Vogt-Kohler
Redaktion Lichtblick
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