Die schma­le Brücke zur Einheit

 «In jener Zeit erhob Jesus sei­ne Augen zum Him­mel und bete­te: Vater, ich habe dei­nen Namen den Men­schen offen­bart, die du mir aus der Welt gege­ben hast. Hei­li­ger Vater, bewah­re sie in dei­nem Namen, den du mir gege­ben hast, damit sie eins sind wie wir.» 

Johan­nes 17,6a.11b (Aus­zug aus der Lesung zum Mediensonntag)

  Lie­be Schwe­stern, lie­be Brü­der,In einem Schul­haus stiess ich ein­mal auf Arbeits­blät­ter von Pri­mar­schü­lern. Sie hat­ten dar­auf die Auf­ga­be, das Vater Unser aus­wen­dig auf­schrei­ben. Bei­läu­fig schau­te ich ein Blatt an – und muss­te unver­mit­telt los­la­chen. Dann war ich erstaunt. Schliess­lich fas­zi­niert. Eine Schü­le­rin hat­te dar­auf notiert: «… denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Ehr­lich­keit… Amen.» Ehr­lich­keit als Got­tes­ga­be? Welch kind­li­che Weis­heit!Was aber hat Ehr­lich­keit mit obi­gem Gebet aus dem Johan­nes-Evan­ge­li­um zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Jesus betet dar­in nicht für Ehr­lich­keit, son­dern für die Ein­heit der ent­ste­hen­den Chri­sten­ge­mein­de. Die ersten Chri­sten, so Jesu sehn­li­cher, qua­si letz­ter Wunsch, sol­len «eins sein wie wir», so intim nahe wie Jesus und sein Vater.Die Sehn­sucht nach Ein­heit treibt die Katho­li­sche Kir­che und vie­le Gläu­bi­ge bis heu­te um. Bis­wei­len bleibt es jedoch nicht bei der Sehn­sucht: Der Ruf nach Ein­heit kann jäh in einen Appell, ja in einen Befehl umschla­gen. Er dient dann auch dazu, Stö­ren­frie­de und Aus­sen­sei­ter zu mass­re­geln, die unbe­que­me, aber auch ehr­li­che Fra­gen stel­len. Zu die­sen Stö­ren­frie­den zäh­len auch Jour­na­li­sten.Jour­na­li­sten sind kei­ne Hei­li­gen: Manch­mal ver­mengt sich ihre Kri­tik mit Über­heb­lich­keit. Manch­mal sind sie geblen­det von der Macht ihres Wis­sens und ihrer Wor­te. Die mei­sten Medi­en­schaf­fen­den aber wis­sen, dass sie nicht der Mit­tel­punkt der Welt, son­dern Mitt­ler zwi­schen Wel­ten sind. Gewis­sen­haft ver­su­chen sie, Brücken zu bau­en. Zum Bei­spiel zwi­schen der Kir­che und ihrer Bot­schaft und einer immer glau­bens­fer­ne­ren Leser­schaft.Die Balan­ce auf die­ser Brücke zu hal­ten ist gar nicht so ein­fach. Zumal dann, wenn Jour­na­li­sten im Sold der Kir­che ste­hen, wie bei den Pfar­rei­blät­tern. Die Ver­su­chung und der Druck sind dann gross, die Brücke über einen Brücken­kopf zu ver­las­sen, in Rich­tung der Inter­es­sen der kirch­li­chen Arbeit­ge­ber. Die­se ver­ste­hen Kom­mu­ni­ka­ti­on meist eher als geziel­te Kun­den­wer­bung und nicht als eigen­stän­di­ge Ver­mitt­lung. Jour­na­lis­mus aber muss sich immer eine gewis­se Unab­hän­gig­keit und Kri­tik­fä­hig­keit wah­ren, auch gegen­über den eige­nen Vor­ge­setz­ten. So trans­por­tie­ren kir­chen­na­he Medi­en manch­mal ein har­mo­nisch-hei­te­res Kir­chen­bild. Die Medi­en­schaf­fen­den, die poten­ti­el­len Stö­ren­frie­de, sind dar­in gezähmt.Doch beim ande­ren Brücken­kopf, auf Sei­te der Lesen­den, nimmt uns die­ses Kir­chen­bild heu­te kaum noch jemand ab. Eine dau­er­po­si­ti­ve kirch­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on ist nicht glaub­wür­dig. Sie zieht ihren Schat­ten, die vie­len «bad news» über die Kir­che in den säku­la­ren Zei­tun­gen, nach­ge­ra­de an. Selbst­re­dend sol­len Medi­en über das vie­le Gute, das sich in der Kir­che abspielt, berich­ten. Doch durch die Eng­füh­rung dar­auf geht wert­vol­les Poten­ti­al unab­hän­gi­ger Publi­zi­stik ver­lo­ren: Kri­ti­sche Rück­fra­gen, krea­ti­ve Recher­che, das Lan­cie­ren über­ra­schen­der Debat­ten. Wo Medi­en dies beher­zi­gen, wird das Bild von Kir­che viel­fäl­ti­ger und glaub­wür­di­ger.Es wäre schön, wenn sich die katho­li­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­ant­wort­li­chen und Medi­en­schaf­fen­den zu mehr Selbst­kri­tik und Krea­ti­vi­tät beken­nen wür­den. Wenn sie dar­auf ver­zich­te­ten, Selbst­er­hal­tungs­kom­mu­ni­ka­ti­on zu betrei­ben, die aus Angst um den eige­nen Bestand nur «good news» ver­brei­tet. Wenn sie ihren Redak­to­ren freie Hand böten, die gan­ze Band­brei­te der Kir­che zu zei­gen: Die gut besuch­te Roll­stuhl­wall­fahrt nach Bad Zurz­ach eben­so wie den Streit im Pfar­rei­rat von Gebens­torf, den bewe­gen­den Got­tes­dienst mit Flücht­lin­gen nicht min­der wie das geschei­ter­te kirch­li­che Hilfs­pro­jekt. Eine Kir­che, die zu all dem steht, wür­de nicht mehr ver­su­chen, mög­lichst gut dazu­ste­hen. Son­dern mög­lichst ehr­lich. Die grösst­mög­li­che Ehr­lich­keit wäre der neue Kern kirch­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on.Der Evan­ge­list Johan­nes ermun­tert die Chri­sten immer wie­der, nicht nur nach den Geset­zen der Welt zu funk­tio­nie­ren, son­dern mit einen Bein bereits bei Jesu Vater im Him­mel zu sein. Gott hat vie­le Namen, einer davon ist, wie uns die Pri­mar­schü­le­rin lehrt, Ehr­lich­keit. Ehr­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on för­dert das Ver­ständ­nis für­ein­an­der, sie bewahrt die Glaub­wür­dig­keit der Kir­che und führt letzt­lich zu einer Ein­heit, die wir nicht selbst her­stel­len kön­nen. Wenn Medi­en die­ser Ehr­lich­keit die­nen, för­dern sie im Umgang mit der Kir­che deren Herr­lich­keit am mei­sten. In Ehr­lich­keit.Amen. Remo Wie­gand 38-jäh­rig, ist Theo­lo­ge und frei­er Jour­na­list, ehe­mals Redak­ti­ons­lei­ter des «auf­trag» — der Zeit­schrift für kirch­lich Enga­gier­te und reli­gi­ös Interessierte.
Andreas C. Müller
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