Die «professionellen Nachbarn»

Die «professionellen Nachbarn»

Immer mehr ältere Men­schen sind zuhause auf Unter­stützung angewiesen. In Ergänzung zur Care-Arbeit von Spi­tex & Co. will die Car­i­tas im Quarti­er schauen, wer Hil­fe braucht.Den Begriff «pro­fes­sionelle Nach­barn» nutzt Pro­jek­tleit­er Andy Huwyler gern, um auf den Punkt zu brin­gen, was der «Car­i­tas-Pilot» im Suhrer Quarti­er «Feld» leis­ten will. Dort ste­ht ein umge­bauter, rot­er Bauwa­gen als Anlauf­stelle. Immer wieder ist Andy Huwyler auch im Quarti­er unter­wegs – wie an jen­em kalten Don­ner­stag­mor­gen Mitte Jan­u­ar. Wo er Men­schen trifft, sucht er das Gespräch, stellt sich vor. Nahe bei den Leuten wolle man sein, damit Hil­fs­bedürftige Ihre Anliegen rasch deponieren, aber auch Nach­barn vor­beikom­men kön­nen, wenn sie das Gefühl haben, dass jemand im Quarti­er Hil­fe braucht.

Fürsorgliche Kontrollgänge im Quartier

Konkret geht es um Betreu­ung und Unter­stützung im All­t­ag als Ergänzung zu den pflegerischen Auf­gaben ein­er Spi­tex und ander­er Care-Organ­i­sa­tio­nen. «Wir wollen Gesellschaft leis­ten, Zeit für die Leute haben, sie mobil­isieren und motivieren. Etwas, für das Ange­hörige und Nach­barn häu­fig zu wenig Zeit haben», erk­lärt Andy Huwyler. «Ger­ade jet­zt im Win­ter», so der Pro­jek­tleit­er, «isolieren sich viele ältere Men­schen, trauen sich nicht aus dem Haus». Andy Huwyler nen­nt als Beispiel eine Kundin aus dem Quarti­er, die unlängst ihren Mann ver­loren hat. Auch kurzfristige Anfra­gen gebe es. Zum Beispiel für die Betreu­ung eines älteren Mannes an einem Nach­mit­tag.Auf seinen Spaziergän­gen im Quarti­er beobachtet Andy Huwyler genau, zeigt auf Woh­nun­gen, wo die Rol­l­lä­den geschlossen sind. «Wo wir das fortwährend beobacht­en, suchen wir den Kon­takt zu Nach­barn und Hauswarten. Eventuell ist denen aufge­fall­en, dass jemand sich zurückzieht und vielle­icht Unter­stützung benötigt.» Für diese Quartier­ar­beit hät­ten die Mitar­bei­t­en­den von Spi­tex und anderen Organ­i­sa­tio­nen oft­mals zu wenig Zeit.

«Begrüsse jedes Angebot, das den Heimeintritt hinauszögert»

Am Infor­ma­tion­stag am 14. Jan­u­ar 2017 stat­ten Gemein­deräte, Mitar­bei­t­ende aus der Pfar­rei sowie Anwohner­in­nen und Anwohn­er, ja sog­ar Arbeitssuchende dem roten Car­i­tas-Wagen einen Besuch ab. Dieser hebt sich mit seinem auf­fäl­li­gen Rot im Win­ter­weiss an jen­em Tag beson­ders deut­lich ab. Wenn man bedenke, dass der Anteil der Kosten an Heimpflege für die Krankenkassen gedeck­elt sei und die Gemein­den Jahr für Jahr mehr an Pflegekosten bezahlen müssten, sei jedes Ange­bot zu begrüssen, dass den Heimein­tritt bei älteren Men­schen hin­auszögert, erk­lärt Daniel Rüetschi. Der Suhrer Gemein­der­at hat das Ressort Soziales, Gesellschaft und Gesund­heit unter sich und hofft auf einen engeren Aus­tausch mit allen im Bere­ich Alter und Pflege täti­gen Part­nern. Mit der Car­i­tas funk­tion­iere die Zusam­me­nar­beit bere­its sehr gut, erk­lärt er.Vier Beschäftigte im Stun­den­lohn und ein Prak­tikant teilen sich ein Vollpen­sum, inner­halb dessen die anfal­l­en­den Aufträge ange­gan­gen wer­den. «Bewusst Men­schen aus Suhr und Umge­bung im Alter von 40 und darüber», erk­lärt Andy Huwyler. Er wolle Leute mit Lebenser­fahrung. Chef gebe es keinen. Er ver­ste­he sich als Coach, so der Pro­jek­tleit­er. Auch den admin­is­tra­tiv­en Aufwand wolle man gezielt ger­ing hal­ten.

Zeitdruck bei der Spitex

Andy Huwyler hofft, dass sein Team bald auch am Woch­enende Ein­sätze anbi­eten kann. Dies sei ein nachge­fragtes Bedürf­nis. Bis dahin kön­nten alle Wochen­t­age abgedeckt wer­den. Und zusät­zlich zu den Ein­sätzen sei jew­eils am Mor­gen und am Nach­mit­tag jemand im roten Wagen, dem «Car­i­tas Care Mobil».Zum Infor­ma­tion­stag gekom­men ist auch Claire Villinger, 62 (Name von der Redak­tion geän­dert). Die ehe­ma­lige Spi­tex-Mitar­bei­t­erin will für das Car­i­tas-Pro­jekt arbeit­en. «Bei der Spi­tex stand ich immer unter Zeit­druck», begrün­det sie ihre Moti­va­tion, nun bei der Car­i­tas anzuheuern.Dass die Spi­tex im Bere­ich ihrer Möglichkeit­en an Gren­zen komme, lässt Han­srue­di Häny von der Spi­tex Suhr teil­weise gel­ten und erk­lärt: «Wir haben einen Leis­tungsauf­trag. Dieser bein­hal­tet medi­zinis­che Grund­ver­sorgung, Mobil­i­sa­tion und Unter­stützung im Haushalt. Vieles, was auch noch nötig wäre, gehört da nicht dazu. Zum Beispiel Men­schen, die nicht ohne fremde Hil­fe die Woh­nung ver­lassen kön­nen, nach draussen an die frische Luft zu begleit­en.» Dafür seien die Leis­tun­gen der Spi­tex finanziell garantiert, so Han­srue­di Häny. «Bei finanziellen Eng­pässen sprin­gen die Sozialen Dien­ste der Gemein­den ein, weil Spi­tex-Ein­sätze zuhause deut­lich bil­liger kom­men als die Unter­bringung in einem Alters- und Pflege­heim». Alles in allem begrüsse er aber das Ange­bote der Car­i­tas sehr, betont Han­srue­di Häny.

Den Eindruck, es gebe Probleme, will man vermeiden

Bei Men­schen mit finanziellen Eng­pässen will auch die Car­i­tas mit ihrem neuen Pro­jekt anset­zen: «Wir kön­nen zwar nicht über die Krankenkassen abrech­nen, aber für alle mit Kul­tur-Legi gilt der halbe Tarif. Bei Not­la­gen kön­nen wir zudem bis auf den sym­bol­is­chen Betrag von fünf Franken pro Stunde runter», erk­lärt Andy Huwyler. Das biete son­st keine Care-Organ­i­sa­tion. Komme hinzu, dass die Krankenkassen Haushalt­shil­fe und Betreu­ung nicht oder nur zum Teil übernehmen. Den Aus­gle­ich auf der finanziellen Ebene geben gut situ­ierte Kun­den. «Diese zahlen den Nor­mal­tarif von 55 Franken.» Dass der Car­i­tas-Wagen im Suhrer Quarti­er «Feld« ste­ht, sei nicht zufäl­lig, so Andy Huwyler. «Dieses Quarti­er ist gut durch­mis­cht, damit das mit der Quer­sub­ven­tion­ierung auch funk­tion­iere.Auf Nach­frage bei anderen Care-Organ­i­sa­tio­nen, was diese denn von dem neuen Ange­bot der Car­i­tas hal­ten und zu welchen Kon­di­tio­nen sie denn ihre Leis­tun­gen für Men­schen in engen finanziellen Ver­hält­nis­sen anbi­eten, zeigt sich, dass andere dur­chaus für sich in Anspruch nehmen, mit Car­i­tas konkur­ri­eren zu kön­nen, bzw. gün­stiger zu sein. Seit­ens ein­er bekan­nten im Aar­gau täti­gen Care-Organ­i­sa­tion erk­lärt der Vor­sitzende der Geschäft­sleitung, dass er seinen Namen sowie den sein­er Organ­i­sa­tion in diesem Zusam­men­hang aber nicht in den Medi­en haben möchte. «Der Leser kön­nte das Gefühl bekom­men, dass es Prob­leme zwis­chen Car­i­tas und uns gäbe.» Man stünde im Kon­takt mit Car­i­tas und sei sich einig, so einen Ein­druck nicht aufkom­men lassen zu wollen.

Projekt ist auf zwei Jahre begrenzt

Der «Car­i­tas-Pilot» in Suhr ist vor­erst auf zwei Jahre begren­zt. Dann werde Bilanz gezo­gen. «Es braucht halt ein­fach Zeit, bis die Men­schen uns ken­nen und Ver­trauen gefasst haben», erk­lärt Andy Huwyler Dass man in Suhr bere­its Man­date von der Spi­tex erhalte, Teil des gemeinde-amtlichen Ange­bots sei und sog­ar schon Anfra­gen aus den Aarauer Quartieren Gön­hard und Zel­gli sowie aus Buchs erhal­ten habe, sei ein guter Ein­stand, freut sich Andy Huwyler. Auch die Medi­en hät­ten pos­i­tiv auf das Pro­jekt reagiert und mit Berichter­stat­tun­gen begonnen, noch bevor man die Öffentlichkeit gesucht habe. Auch das helfe, das Pro­jekt bekan­nt zu machen und Ver­trauen zu schaf­fen. 
Andreas C. Müller
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