Die nie­mals ver­sickern­de Quelle

Die nie­mals ver­sickern­de Quelle

Psalm 36,8–10Wie köst­lich ist dei­ne Lie­be, Gott! Men­schen ber­gen sich im Schat­ten dei­ner Flügel.  Sie laben sich am Reich­tum dei­nes Hau­ses; du tränkst sie mit dem Strom dei­ner Won­nen. Denn bei dir ist die Quel­le des Lebens, in dei­nem Licht schau­en wir das Licht.Ein­heits­über­set­zung 2016 

Die nie­mals ver­sickern­de Quelle

Quel­len wur­den immer schon als Kraft­or­te wahr­ge­nom­men – Orte, an denen Men­schen Stär­kung und Hei­lung fin­den. Orte, wo sie auf­tan­ken kön­nen. Orte, die Leben bedeu­ten. So wur­de in der Bibel die Quel­le auch zu einem Bild für Gott selbst.Wie unser Kör­per Was­ser zum Leben braucht, so brau­chen wir auch Quel­len, aus denen unse­re See­le und unser Geist schöp­fen kön­nen. Trink­was­ser haben wir in unse­rem Land genug. Aber nicht sel­ten feh­len uns sol­che Quel­len für die See­le. Vie­le Men­schen spü­ren: Mit einem Leben, in dem der mate­ri­el­le und der beruf­li­che Erfolg an erster Stel­le ste­hen, ver­pas­sen wir das Eigent­li­che. Der Theo­lo­ge Eugen Dre­wer­mann hat das so aus­ge­drückt: «Wie viel Schön­heit wird über­la­gert durch all das, was wir glau­ben erle­di­gen zu müs­sen! Wie viel von der Zau­ber­kraft unse­res Her­zens geht zugrun­de an all dem Gestamp­fe, Geren­ne, Getre­te und Gelau­fe in unse­rem Leben, am Platz­be­haup­ten, Hin­ter­her­lau­fen, Sich-sel­ber-vor­weg-Sein! Wär‘ es nicht mög­lich, es reif­te das, was wir sind, in unse­rer Tie­fe, und wir könnten’s gar nicht erklü­geln, nicht beschlies­sen, es wäre nur ein­fach?»Damit wir uns leben­dig füh­len, damit Gedan­ken, Krea­ti­vi­tät und Ener­gie flies­sen kön­nen, damit sich etwas in unse­rem Leben ent­wickelt und wir die Lust am Leben nicht ver­lie­ren, muss uns etwas zuflies­sen.In vie­len Lebens­si­tua­tio­nen pas­siert es uns aber, dass wir uns von allen Lebens­quel­len abge­schnit­ten füh­len. Ganz dra­stisch erle­ben dies zum Bei­spiel Men­schen in Trau­er­si­tua­tio­nen, in einer Depres­si­on oder bei einem Burn-out-Syn­drom. Vie­le machen bestimmt auch auf­grund der aktu­el­len und andau­ern­den Coro­na-Situa­ti­on sol­che Erfah­run­gen. Aber auch im Fami­li­en- oder Arbeits­all­tag wol­len die Lebens­quel­len manch­mal ein­fach nicht mehr flies­sen.Wenn unse­re Quel­len nicht mehr zu flies­sen schei­nen, dann heisst das nicht, dass das Was­ser ein­fach weg ist. Dann gilt es wohl viel­mehr, die Quel­le wie­der frei­zu­schau­feln – sie zu befrei­en von all dem Schutt und Geröll, mit dem sie über­la­gert ist. Da, wo dann etwas auf­bricht, kann etwas ins Flies­sen kom­men, kann das, was hart und starr gewor­den ist, sich neu ver­flüs­si­gen. Das kön­nen Gewohn­hei­ten, Hal­tun­gen, Ritua­le, Mei­nun­gen sein – mög­li­cher­wei­se sogar mei­ne Bil­der von Gott.Ber­na­dette Sou­bi­rous wird wäh­rend ihrer Erschei­nung von Maria auf­ge­for­dert, aus einer Quel­le zu trin­ken, die zu jenem Zeit­punkt noch gar nicht erkenn­bar war. Mit blos­sen Hän­den beginnt das 14-jäh­ri­ge Mäd­chen in der Erde zu gra­ben, bis dar­aus Was­ser zu flies­sen beginnt. Eine Quel­le, die bis heu­te nicht ver­sickert ist, son­dern fliesst. Eine Quel­le, deren Was­ser bereits vie­len Men­schen Trost, Kraft und Hei­lung gebracht hat.Mich ermu­tigt die­se Sze­ne: Gott ist schon da als Quel­le für mein Leben! Alles, was ich tun muss, ist, mich dafür zu öff­nen. Dann wird auch in mir das Leben spru­deln. Wir kön­nen die Quel­le zwar ver­schüt­ten – aber Got­tes Güte ver­sickert nicht unter dem Schutt und Geröll.Nadia Miri­am Kel­ler, Theo­lo­gin, arbei­tet als Spi­tal­seel­sor­ge­rin i.A. am St. Cla­ra­spi­tal in Basel und als Pfar­rei­seel­sor­ge­rin i.A. im Seel­sor­ge­ver­band Angenstein 
Redaktion Lichtblick
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