Zum Abschied von Pfar­rer Sieber

  • Die­sen Don­ners­tag und Sams­tag fin­den der Gedenk­got­tes­dienst und die Erin­ne­rungs­fei­er für den am Pfingst­wo­chen­en­de ver­stor­be­nen Pfar­rer Ernst Sie­ber in Zürich statt.
  • Hori­zon­te hat­te die Gele­gen­heit, aus die­sem Anlass mit Ernst Sie­bers Toch­ter Ilo­na über jenen Mann zu spre­chen, der sich wie kein Zwei­ter in der Nach­fol­ge Chri­sti für die Armen und Schwa­chen unse­rer Gesell­schaft ein­ge­setzt hat.
 Frau Sie­ber, Sie haben seit dem Tod Ihres Vaters bestimmt vie­le Inter­views geben dür­fen: Inwie­weit hat Sie das Aus­mass der öffent­li­chen Anteil­nah­me über­rascht? Ilo­na Sie­ber: Ich war nicht über­rascht. Wis­sen Sie, das ist weni­ger mei­ne Art. Aber ich habe schon rea­li­siert, dass das eine gros­se Wel­le der Anteil­nah­me war.Und jetzt gibt es zwei Anläs­se, an denen die Bevöl­ke­rung von Ihrem Vater Abschied neh­men kann: Im Gross­mün­ster mor­gen Don­ners­tag und am Sams­tag auf dem Platz­spitz. Ist der erste Anlass nur für gela­de­ne Gäste? Nein, auch ins Gross­mün­ster zum Gedenk­got­tes­dienst dür­fen alle kom­men – wir stel­len draus­sen auch Video­lein­wän­de auf. Der zwei­te Anlass ist aller­dings schon für jene Men­schen, die mei­nem Vater beson­ders am Her­zen lagen – auch weil mein Vater die­se Men­schen bestimmt in der ersten Rei­he gehabt hät­te und vie­le es wohl nicht zum Gedenk­got­tes­dienst ins Mün­ster schaf­fen.Was den­ken Sie, wie vie­le Men­schen wer­den kom­men? Schwer zu sagen. Zum 80. Geburts­tag mei­nes Vaters kamen über 2’000 Leu­te.Ihr Vater hat in bemer­kens­wer­ter Wei­se christ­li­che Näch­sten­lie­be vor­ge­lebt und sich für die Armen ein­ge­setzt: Wie hat Sie das geprägt? Die Arbeit mei­nes Vaters, sei­ne Nähe zu den Men­schen, das hat mich schon sehr früh inter­es­siert. Mein Vater hat mich auch über­all hin mit­ge­nom­men. So habe ich denn auch bald ein­mal rea­li­siert, dass dies in mei­nem eige­nen Leben eine gros­se Bedeu­tung haben soll.Wie kam es dazu? Mein Vater war nicht nur ein Mensch der Wor­te, son­dern vor allem der Tat. Das hat sich ein­ge­prägt – auch sei­ne Hal­tung und die damit ver­bun­de­nen Wer­te: der Glau­be, Ver­trau­en ins Leben, die Nach­fol­ge von Jesus Chri­stus, aber auch Beschei­den­heit. Was ich schön fand: Mei­ne Eltern hat­ten, als ich noch Kind war, nicht viel Unter­stüt­zung. Wir waren eine gros­se Fami­lie mit acht Kin­dern – mei­ne drei Geschwi­ster, ein Adop­tiv­kind und drei Pfle­ge­kin­der. Da war immer etwas los. Auch vie­le Kin­der aus der Nach­bar­schaft sas­sen oft bei uns am Tisch……und Rand­stän­di­ge waren auch immer im Haus? Ja, genau. Das gehör­te dazu. Wir haben alles geteilt. Wir waren nicht ver­wöhnt, aber wir beka­men viel Lie­be, waren zufrie­den und lern­ten, krea­tiv zu sein.Haben Ihnen die­se Men­schen nicht manch­mal auch Angst gemacht? Nein, über­haupt nicht. Im Gegen­teil, für die­se Men­schen habe ich mich schon als Kind inter­es­siert. Ich mag mich erin­nern, als ich etwa fünf Jah­re alt war, da gab es einen Frem­den­le­gio­när bei uns, der hat­te vie­le Nar­ben. Mei­ne Geschwi­ster hat­ten immer Angst vor ihm. Für mich aber war er ein gros­ser Freund. Wir haben sogar Meer­schwein­chen getauscht.Hat­te ihr Vater nebst all sei­nen Enga­ge­ments denn noch Zeit für die Fami­lie? Durch­aus. Die Zeit mit uns war für ihn immer wich­tig, obschon er fast den gan­zen Tag gear­bei­tet hat. Am Sonn­tag nahm er sich am Nach­mit­tag immer Zeit für Bibel­ar­beit mit uns und sprach mit uns über den Glau­ben. Auf Wan­de­run­gen zeig­te er uns die Natur, die Schön­heit der Schöp­fung. Und dann natür­lich Sport: Unser Vater war ein begna­de­ter Ski­fah­rer bis ins hohe Alter. Das hat er uns mit­ge­ge­ben. Und Schwim­men… Ich erin­ne­re mich noch an die Trocken­übun­gen auf der Wie­se, wo wir die Frö­sche imi­tie­ren muss­ten.…War ihr Vater streng in der Erzie­hung? Also Fern­seh schau­en, das durf­ten wir bei ihm nicht. Aber alles ande­re schon. Unse­re Mut­ter war im Grun­de stren­ger. Bei mei­nem Vater hat­ten wir jedoch immer einen Bonus…Ihr Vater war ja bekannt dafür, dass er stets tref­fend aus der Bibel zitie­ren und ad hoc all­tags­taug­lich pre­di­gen konn­te. Mach­te er das auch in der Fami­lie? Ja, das hat er auch zuhau­se gemacht — immer bezo­gen auf All­tag und Poli­tik. Das gab uns Boden­haf­tung. Ich habe Mühe mit blos­sen Sprü­chen. Die Hal­tung eines Men­schen ist das Ent­schei­den­de für mich. Und die Glaub­wür­dig­keit. Inso­fern hat­te ich einen gross­ar­ti­gen Vater… und spä­ter auch Chef, als ich im «Spiess­hof» arbei­te­te.Rich­tig, Sie sind Geschäfts­füh­re­rin im «Spiess­hof», dem Selbst­hil­fe­dorf, das ihr Vater als Motio­när zu sei­ner Zeit als Natio­nal­rat mit 147 Mit­un­ter­zeich­nern auf den Weg brach­te. Wie kam es dazu, dass Sie die Lei­tung über­neh­men konn­ten? Ich muss­te mich auf die Stel­le ordent­lich bewer­ben, hat­te also nicht den Bonus der Pfar­rers­toch­ter. Schön war, dass ich dort etwas Neu­es auf­bau­en konn­te – im sozi­al­psych­ia­tri­schen Bereich. Inso­fern habe ich den «Spiess­hof» wei­ter­ent­wickeln dür­fen.Man könn­te ver­mu­ten, dass es mit­un­ter schwie­rig war, aus dem Schat­ten eines Vaters mit sol­cher Strahl­kraft zu tre­ten. War das der Fall? Ich hat­te nie das Gefühl, im Schat­ten mei­nes Vaters zu ste­hen. Mein Vater war sehr mutig, hat viel ganz allein und ein­zig mit Got­tes­kraft auf den Weg gebracht. Und genau das hat er mir auch zuge­stan­den. «Komm, mach etwas draus», hat er zu mir gesagt.Wie viel von ihrem Vater erken­nen Sie in sich selbst wie­der? Sicher Mut, aber auch Spon­ta­nei­tät und natür­lich Humor. Und das Ver­trau­en, dass man etwas schaf­fen kann, wenn man es will.Gab es auch Din­ge, über die Sie mit Ihrem Vater gestrit­ten haben? Ja, vor allem in der Puber­tät. Da haben wir uns ziem­lich aus­ein­an­der­ge­setzt. Weil ich frei­heits­lie­bend war – im Grun­de wie er. Aber er trat zu jener Zeit als für­sorg­li­cher Vater auf, der mich beschüt­zen woll­te.Chri­stoph Sig­rist, der Gross­mün­ster­pfar­rer, bezeich­ne­te Ihren Vater ein­mal als Got­tes­narr. Ein Bild, das auch für Sie passt? Unbe­dingt. Chri­stoph Sig­rist hat das gut getrof­fen. Der Narr darf zum König gehen und die Wahr­heit sagen, und er wird nicht geköpft. So ist mein Vater auf­ge­tre­ten, um etwas zu errei­chen. Auch in der Poli­tik.Die Poli­tik, war das für Sie auch schon ein The­ma? Bis jetzt noch nicht, ich habe nicht so viel Zeit, ich lei­te den «Spiess­hof» ganz allein. Aber es wür­de mich schon inter­es­sie­ren. Und ich wüss­te durch­aus, wo ich mich enga­gie­ren könn­te.Und eine Bio­gra­fie über ihren Vater? Wann kommt die? Das haben wir in der Fami­lie noch nicht bespro­chen. Es ist noch so vie­les offen im Moment — auch, was mit dem «Bun­des­dörf­li» pas­sie­ren soll, das Papi noch rea­li­sie­ren woll­te. Inso­fern ist es mir ein Anlie­gen, dass die vie­len Enga­ge­ments von mei­nem Vater wei­ter­ge­führt wer­den kön­nen.Nach dem Tod Ihres Vaters wur­den bereits ver­schie­de­ne Ver­glei­che bemüht: Unter ande­rem Franz von Assi­si und Johan­nes der Täu­fer. Wenn Sie Ihren Vater mit einer Figur aus der Bibel ver­glei­chen müss­ten, wel­che wäre das? Mein Vater hat sich mit Franz von Assi­si durch­aus iden­ti­fi­ziert. Das passt – auch was die Beschei­den­heit angeht und den Bezug zu Natur und Schöp­fung. Er war ja gelern­ter Bau­er. Und wir hat­ten immer vie­le Tie­re daheim. Mir kommt spon­tan aber auch einer der Jün­ger Jesu in den Sinn. Ein Apo­stel, der den Glau­ben wei­ter­gibt. Er hat immer gesagt: Wir dür­fen die Men­schen nicht ver­kirch­li­chen, son­dern müs­sen die Kir­che ver­mensch­li­chen. Das fin­de ich per­sön­lich ganz wich­tig. Abschied von Pfar­rer Ernst Sie­ber Am Don­ners­tag, 31. Mai, um 14 Uhr fin­det im Gross­mün­ster die Abdan­kung für Pfar­rer Sie­ber statt. Am Sams­tag, 2. Juni, von 14 bis 17 Uhr gibt es auf dem Platz­spitz eine öffent­li­che Erin­ne­rungs­fei­er mit pro­mi­nen­ten Gästen. 
Andreas C. Müller
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