«Die mei­sten Seel­sor­gen­den haben Mühe, ihre Tätig­keit ande­ren zu empfehlen»

«Die mei­sten Seel­sor­gen­den haben Mühe, ihre Tätig­keit ande­ren zu empfehlen»

  • Der Kir­che man­gelt es an Per­so­nal. Tho­mas Leist, der die Kam­pa­gne «Chan­ce Kir­chen­be­ru­fe» lei­tet, macht vie­le Grün­de dafür aus. Einer davon: Es gebe kei­ne orga­ni­sier­te Nachwuchs­förderung der Pfarreien.
  • Die Bilanz des lang­jäh­ri­gen Fach­stel­len­lei­ters fällt ernüch­tert aus: Immer weni­ger Seel­sor­gen­de könn­ten ihre Arbeit emp­feh­len, was nicht zuletzt auch mit zuneh­men­der Über­be­la­stung infol­ge von Per­so­nal­man­gel und dem wach­sen­den Bedeu­tungs­ver­lust der Kir­chen zu tun habe. Auf die Fra­ge, ob er per­sön­lich für Kir­chen­be­ru­fe wer­ben wür­de sagt er: «Ich weiss es nicht.»

Tho­mas Leist

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Tho­mas Leist stammt aus Deutsch­land, ist 54 Jahr alt, hat in Frank­furt Phi­lo­so­phie und Theo­lo­gie stu­diert und kam 1996 als Pfar­rei­lei­ter nach Uiti­kon in die Schweiz. Seit 2011 lei­tet er in einem 50%-Pensum die «Fach­stel­le Infor­ma­ti­on Kirch­li­che Beru­fe», die seit 2013 als «Chan­ce Kir­chen­be­ru­fe» auf­tritt. Kom­men­den Som­mer tritt er von die­ser Auf­ga­be zurück; die Stel­le wur­de im Janu­ar aus­ge­schrie­ben. Seit Som­mer 2018 tei­len sich Tho­mas Leist und sei­ne Frau Petra die Lei­tung der Pfar­rei Herrliberg.

Herr Leist, Coro­na macht vie­le Leu­te arbeits­los. Steigt des­halb das Inter­es­se an einem Kir­chen­be­ruf?
Tho­mas Leist: Nein. Anfäng­lich sag­ten aber Leu­te, sie hät­ten wäh­rend des Lock­downs Zeit gefun­den, sich zu fra­gen, ob ihre jet­zi­ge Tätig­keit für sie noch stim­me. Ich hat­te ver­gan­ge­nes Jahr rund 100 Bera­tun­gen, das sind nur leicht mehr als im Vor­jahr. Die Mehr­heit betraf zudem nicht seel­sorg­li­che Beru­fe, also zum Bei­spiel Sakristan/Sakristanin, das Pfar­rei­se­kre­ta­ri­at oder Haushälterin.

Die frü­he­re «Infor­ma­ti­ons­stel­le Kirch­li­che Beru­fe» tritt seit 2013 als «Chan­ce Kir­chen­be­ru­fe» auf. Hat sich dies auf die Nach­fra­ge aus­ge­wirkt?
Ja. Sie ist gewach­sen und gleich­zei­tig unspe­zi­fi­scher gewor­den. Es kommt also durch­aus vor, dass jemand erst im Bera­tungs­ge­spräch fragt, ob er für die­sen oder jenen Beruf erst in die Kir­che ein­tre­ten müs­se. Man wol­le «etwas in Seel­sor­ge» machen, höre ich dann, aber mein Gegen­über hat kei­ne Ahnung davon, geschwei­ge denn eine pfar­rei­li­che Bindung.

War das vor­her anders?
Wir hat­ten weni­ger Anfra­gen, aber die Rat­su­chen­den waren schon einen Schritt wei­ter, weil sie meist über eine Mit­ar­bei­te­rin, einen Mit­ar­bei­ter einer Pfar­rei ver­mit­telt wor­den waren.

Was schluss­fol­gern Sie dar­aus?
Es ist eigent­lich erschreckend, wie sel­ten Per­so­nen sagen: «Mein Pfar­rer oder mei­ne Gemein­de­lei­te­rin hat mich auf die Idee gebracht, mich bei ‹Chan­ce Kir­chen­be­ru­fe› zu mel­den.» Das kommt wirk­lich sel­ten vor, ver­gan­ge­nes Jahr waren es nur zwei Mal, bei­de Male wegen eines Pfar­rers. Was mich dar­auf bringt, dass Seel­sor­ge­rin­nen und Seel­sor­ger viel zu wenig Men­schen auf einen Kir­chen­be­ruf anspre­chen mit der Auf­for­de­rung: «Du, das wäre doch etwas für dich!»

Ein Vor­wurf an das Kir­chen­per­so­nal?
Nein. Ich muss mich als Gemein­de­lei­ter ja auch selbst an der Nase neh­men. Ich kann mich nur an zwei Per­so­nen erin­nern, die ich schon ange­spro­chen habe.

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Wor­an liegt die­se Zurück­hal­tung?
Aus mei­ner Sicht sind wir, die Seel­sor­ge­rin­nen und Seel­sor­ger, unschlüs­sig, wie es mit der Kir­che wei­ter­geht. Ich kann in der Bera­tung kei­nem 30-Jäh­ri­gen mehr unbe­fan­gen sagen, er habe für die näch­sten 40 Jah­re einen siche­ren Job, wenn er in der Kir­che arbei­te. Das wäre naiv. Man wird vorsichtiger.

Zwei­fel also nicht am eige­nen Glau­ben, son­dern an der Orga­ni­sa­ti­on?
Ich will nicht schwarz­ma­len, aber rea­li­stisch sein. Die mei­sten Seel­sor­gen­den sind ja recht zufrie­den mit ihrer Tätig­keit. Trotz­dem haben sie Mühe, die­se ande­ren zu emp­feh­len. Zum einen, weil sie wis­sen, dass es Ver­än­de­run­gen geben wird, auch finan­zi­el­ler Art. Zum ande­ren auch, weil man mit zuneh­men­dem Alter mehr der Ecken und Kan­ten gewahr wird und nicht jeman­dem so unbe­darft einen kirch­li­chen Beruf emp­feh­len mag.

Sie könn­ten auch sagen: Ver­trau­en wir auf Gott, es wird dann schon gehen.
Na ja, Gott­ver­trau­en ist das eine, Blau­äu­gig­keit das ande­re. Ich bin mir sicher, dass es immer eine Kir­che geben wird. Sie wird nur anders aus­se­hen, und ob sie in der dann­zu­ma­li­gen Form sol­che Beru­fe auf Dau­er bezah­len kann, fra­ge ich mich. Im Kan­ton Zürich wer­den bei­de gros­sen Lan­des­kir­chen zusam­men näch­stens unter den 50-Pro­zent Anteil an der Bevöl­ke­rung sin­ken. Sol­che Ver­än­de­run­gen muss man wahrnehmen.

Spü­ren Sie die schwin­den­de kirch­li­che Sozia­li­sie­rung der Men­schen in Ihrer Bera­tungs­tä­tig­keit?
Ja. Frü­her gelang­ten, wie gesagt, vie­le Per­so­nen auf Anstoss ihrer Pfar­rei an unse­re Stel­le. Heu­te steht die Sinn­su­che im Vor­der­grund, man möch­te etwas Sozia­les tun. Aber bringt häu­fig kei­ne kirch­li­che Nähe mit.

Was sagen Sie die­sen Men­schen?
Ein Weih­bi­schof warf mir ein­mal vor, ich wie­se zu wenig auf die Chri­stus­be­zie­hung hin, die es für einen kirch­li­chen Beruf brau­che. Ich ant­wor­te­te, ich gin­ge von Beru­fung im Sinn des hei­li­gen Mar­tin aus. Die­ser half dem Bett­ler, bevor er Christ wur­de; erst in der Nacht danach erschien im Chri­stus und sag­te ihm, er sei der Bett­ler gewe­sen. Das heisst: Chri­stus­be­zie­hung muss nicht zwin­gend am Anfang einer kirch­lich-sozia­len Tätig­keit ste­hen, son­dern die­se Tätig­keit kann auch erst zu einer Berüh­rung mit Chri­stus füh­ren. Mit ande­ren Wor­ten: Es kann einem auch erst spä­ter den Ärmel reinnehmen.

Wann sind Sie erfolg­reich?
Grund­sätz­lich: Unse­re Stel­le hat ihre Auf­ga­be erfüllt, wenn die Leu­te Infor­ma­tio­nen zu kirch­li­chen Beruf erhalten.

Und wei­ter?
«Chan­ce Kir­chen­be­ru­fe» ist kein Rekru­tie­rungs­zen­trum. Wir bera­ten Men­schen, damit sie zu einer für sie sinn­haf­ten Tätig­keit fin­den. Das gilt auch für sol­chen, die für die Aus­bil­dung zu einem kirch­li­chen Beruf schon zu alt sind. Bei ihnen kann «Beru­fung» zum Bei­spiel heis­sen: Ich enga­gie­re mich in der Pal­lia­tiv Care oder eine Cari­tas-Auf­ga­be. Das kann man auch neben sei­nem Beruf machen. Ich habe viel mit Men­schen zu tun, die mir von ihrer Sehn­sucht nach Sinn erzäh­len und vol­ler Eifer sind, etwas Neu­es anzu­packen. Sie wol­len etwas ver­än­dern, sind hoch moti­viert. Da bin ich selbst Feu­er und Flam­me und schaue, was mög­lich ist.

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Woher kom­men die­se Men­schen? Womög­lich häu­fig aus der Finanz­bran­che?
Schon auch. Ein­mal frag­te eine Ban­ke­rin, die zu mir kam, am Schluss des Gesprächs, wie­viel sie denn als Seel­sor­ge­rin ver­die­nen wür­de. Auf mei­ne Ant­wort hin mein­te sie, die­se Sum­me sei just so hoch wie der Bonus, den sie im Vor­jahr erhal­ten habe. Der Lohn hielt sie dann aber nicht ab, das Stu­di­um auf­zu­neh­men, und sie ist seit zwei Jah­ren Pasto­ral­as­si­sten­tin. Sie woll­te nicht mehr län­ger ihren Kin­dern nicht erklä­ren kön­nen, was sie auf der Bank tue, weil die­se das nicht ver­stün­den. Sie woll­te ihnen eine glück­li­che Mut­ter sein.

Kirch­lich eher tra­di­tio­nel­le Jugend­li­che machen in Lob­preis-Grup­pen wie Ado­ray oder in der Welt­ju­gend­tags­be­we­gung mit. Suchen sol­che Jugend­li­che eben­falls Ihre Bera­tung?
Nein. Die­se Bewe­gun­gen machen in ihrem Kreis zwar gute Arbeit, aber sie brin­gen ganz sel­ten kirch­li­che Mit­ar­bei­ten­de hervor.

«Chan­ce Kir­chen­be­ru­fe» sei kein Rekru­tie­rungs­zen­trum, sag­ten Sie. Man­che Pfar­rei hat viel­leicht eine ande­re Erwar­tung.
Das mag sein. Wir haben den Schul­ter­schluss mit den Pfar­rei­en immer noch nicht geschafft. Gera­de ein­mal 30 sind Mit­glied unse­res Ver­eins. Ich wer­de nicht zum Pre­di­gen ein­ge­la­den, sel­ten zu einem Infor­ma­ti­ons­an­lass mit unse­rem «Chan­cen­mo­bil». Wir wer­ben mit Pla­ka­ten und mit Spots im öffent­li­chen Ver­kehr, aber kaum je hängt ein Ban­ner an einem kirch­li­chen Gebäu­de. Die Pfar­rei­en suchen Per­so­nal, aber sel­ten kom­men Ver­ant­wort­li­che auf die Idee, dass sie sel­ber etwas dafür tun müs­sen. Es gibt kei­ne orga­ni­sier­te Nach­wuchs­för­de­rung der Pfarreien.

Erstaunt Sie das?
Nein. Zum Ver­gleich: In wel­cher Dorf­arzt­pra­xis liegt schon ein Pro­spekt auf, der für den Arzt­be­ruf wirbt? Dabei haben die Haus­ärz­te ja das glei­che Nachwuchsproblem.

Das klingt ernüch­tert.
Noch­mals nein. Ich mache mir nichts vor. Ich bin selbst auch Pfar­rei­lei­ter und sehe, wie­vie­le Ange­bo­te mir täg­lich aufs Pult flat­tern und auf die ich nicht reagie­re, weil es ein­fach zuviel ist. Wür­de ich selbst ein «Chan­ce Kirchenberufe»-Plakat auf­hän­gen? Ich weiss es nicht.

Andreas C. Müller
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