Die Kon­fes­si­on ist im Polit­be­trieb bedeutungslos

  • Am 18. Okto­ber fin­den die Gesamt­erneue­rungs­wah­len des Aar­gau­er Gros­sen Rats statt. Für das 140 Sit­ze umfas­sen­de Par­la­ment kan­di­die­ren 1027 poli­tisch Interessierte.
  • Auf den Wahl­li­sten ist die Kon­fes­si­ons­zu­ge­hö­rig­keit der 389 kan­di­die­ren­den Frau­en und 638 Män­ner nicht ersichtlich.
  • Par­tei­en, Lan­des­kir­chen und Gross­rä­te neh­men Stel­lung zu Kir­che und Kon­fes­si­on auf der Politbühne.

Zwei Bei­spie­le: Wel­chen Ein­fluss hat Reli­gi­on auf die Politik

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Karin Koch Wick und Lutz Fischer-Lam­precht sind bis­he­ri­ge Gross­rä­te und wie­der­um Kan­di­die­ren­de. Als ehe­ma­li­ge Prä­si­den­tin der römisch-katho­li­schen Kir­chen­pfle­ge Brem­gar­ten bezie­hungs­wei­se als aktu­ell in Wet­tin­gen täti­ger refor­mier­ter Pfar­rer haben bei­de Kir­chen­be­zug. Sie mei­nen zur Bedeu­tungs­lo­sig­keit der Kon­fes­si­ons­zu­ge­hö­rig­keit: «Der sinn­ge­mäs­sen Ein­stel­lung und Aus­sa­ge der Par­tei­en, die Kon­fes­si­ons­zu­ge­hö­rig­keit ihrer Mit­glie­der sei für sie irrele­vant, kann ich unein­ge­schränkt bei­pflich­ten. Immer­hin fin­den sich in der Schwei­zer Geschich­te – oder auch aktu­ell im Aus­land – diver­se Bei­spie­le unheil­vol­ler Ver­knüp­fun­gen von Reli­gi­on und Poli­tik. Ich bin sicher, dass dies sowohl die Kir­chen wie auch die Schwei­zer Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker mass­geb­lich beein­flusst und sen­si­bi­li­siert hat», so Karin Koch Wick. «Der Ent­scheid, wel­cher Kon­fes­si­on jemand ange­hö­ren möch­te, ist höchst­per­sön­li­cher Natur. Wer­te wie Ehr­lich­keit, Soli­da­ri­tät, Tole­ranz, Respekt und Näch­sten­lie­be sind nicht an eine bestimm­te Reli­gi­on gebun­den. Was in der Poli­tik und in der Gesell­schaft zählt, sind die Resul­ta­te; also wie poli­ti­siert und kom­mu­ni­ziert die, der Betref­fen­de, für wel­che Wer­te setzt sie, er sich ein?»

Lutz Fischer-Lam­precht: «Es ist gut, dass wir die Zei­ten über­wun­den haben, an denen die Katho­li­ken am Kar­frei­tag und die Refor­mier­ten an Fron­leich­nam mit dem Gül­le­fass unter­wegs waren. Trau­ri­ger stimmt mich, dass die christ­li­che Ethik mehr und mehr an Bedeu­tung ver­liert. Uns ste­hen gros­se gesell­schaft­li­che Umwäl­zun­gen bevor und wie ich fin­de, nicht nur zum Guten.» 

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Per­sön­lich ste­hen der EVP-Poli­ti­ker und die CVP-Poli­ti­ke­rin zu ihrem reli­giö­sen Hin­ter­grund. Karin Koch Wick: «Der Glau­be und die Kir­che gehö­ren, seit ich mich erin­nern kann, zu mei­nem Leben. Die christ­li­chen Wer­te geben mir Boden­haf­tung und hel­fen, schwie­ri­ge Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. In die­sem Sin­ne bestimmt mein reli­giö­ser Hin­ter­grund mei­ne poli­ti­sche Arbeit indi­rekt.» Lutz Fischer-Lam­precht: «Als ‘typisch refor­miert’ könn­te man viel­leicht mei­ne ‘pro­te­stan­ti­sche Arbeits­ethik’ eben­so bezeich­nen wie das Enga­ge­ment für die All­ge­mein­heit und die Rück­sicht auf Schwache.» 

Gibt es einen Zusam­men­hang von kirch­li­chem Enga­ge­ment und der Gross­rats­tä­tig­keit? «Als Pfar­rer ken­ne ich die Nöte vie­ler Men­schen und weiss so, wo bei­spiels­wei­se im Sozi­al­be­reich Pro­ble­me bestehen. Grund­sätz­lich geht es mir dar­um, die gan­ze Gesell­schaft im Blick zu haben und nicht Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen», betont Lutz Fischer-Lam­precht und Karin Koch Wick, die von 1998 bis 2007 als erste weib­li­che Kir­chen­pfle­ge-Prä­si­den­tin in Brem­gar­ten tätig war, sagt: «Die­ses Amt war ein idea­ler Ein­stieg in die Politik.»

Gemäss Ver­ord­nung zum Gross­rats­wahl­ge­setz muss die Kon­fes­si­ons­zu­ge­hö­rig­keit nicht erfasst wer­den. Hori­zon­te hat dar­um direkt bei den elf Aar­gau­er Par­tei­en, wel­che Kan­di­da­tin­nen und Kan­di­da­ten stel­len, nach­ge­fragt, ob sie gleich­wohl deren Kon­fes­si­ons­zu­ge­hö­rig­keit einfordern. 

SVP: «Wir ste­hen zum abend­län­di­schen Fundament»

Die sie­ben Par­tei­en, die geant­wor­tet haben, ver­nein­ten. Doch gaben sie State­ments zum The­ma ab, die den Listen­num­mern fol­gend wie­der­ge­ge­ben wer­den. «Die SVP steht zum christ­lich-abend­län­di­schen Fun­da­ment unse­res Staats­we­sens, unse­rer Rechts­ord­nung und unse­rer Kul­tur. Zudem for­dern die SVP, dass Kreu­ze als Sym­bo­le unse­rer christ­lich-abend­län­di­schen Kul­tur und unse­rer Reli­gi­on auch im öffent­li­chen Raum respek­tiert und tole­riert wer­den», erklärt Par­tei­se­kre­tär Pas­cal Furer. 

Julia Hop­pe vom Sekre­ta­ri­at der SP schreibt: «Unse­re Par­tei steht allen offen und schliesst kei­ne Per­so­nen auf­grund ihres Glau­bens­be­kennt­nis­ses aus. Wich­tig ist für uns vor allem die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit den Wer­ten und Inhal­ten der Partei.» 

FDP: «Wir schät­zen die Rol­le der Landeskirchen»

Ste­fan Huwy­ler, Geschäfts­füh­rer der FDP: «Die FDP ver­tritt ihre Ideen auf Basis des libe­ra­len Gedan­ken­guts, wobei die wich­ti­ge Rol­le der Lan­des­kir­chen für das Funk­tio­nie­ren unse­rer Gesell­schaft aner­kannt und geschätzt wird. Das Amts­ge­löb­nis als Gross­rä­tin oder Gross­rat wird auf die Kan­tons­ver­fas­sung abge­legt und ist somit ein rein poli­ti­scher Akt. Jedem Rats­mit­glied ist es frei­ge­stellt, von wel­chen reli­giö­sen Grund­sät­zen, Über­zeu­gun­gen er oder sie sich bei der poli­ti­schen Arbeit lei­ten lässt.» 

Kurz und bün­dig Robin Röös­li von den Jung­frei­sin­ni­gen: «Die Jung­frei­sin­ni­gen Aar­gau erfas­sen die Kon­fes­si­ons­zu­ge­hö­rig­keit nicht. Dies ist damit zu begrün­den, dass wir die per­sön­li­che Kon­fes­si­on und das poli­ti­sche Enga­ge­ment tren­nen, jedoch alle Kon­fes­sio­nen tole­rie­ren und bei uns herz­lich will­kom­men heissen.» 

CVP: «Reli­gi­on ist Privatsache»

Bar­ba­ra Totz­ke, Lei­te­rin Kan­to­nal­se­kre­ta­ri­at der CVP Die Mit­te: «Reli­gi­on ist Pri­vat­sa­che. Staat und Reli­gi­on sind getrennt. Wenn Sie auf das C in unse­rem Namen anspie­len, dann stel­len wir klar, dass unse­re Wer­te poli­ti­sche sind. Frei­heit. glei­che Rech­te. Soli­da­ri­tät. Wir hal­ten die Schweiz zusam­men und tra­gen das Kon­kor­d­anz­sy­stem. Die poli­ti­sche Mit­te ist Pro­gramm und Position.» 

«Unse­re Kan­di­die­ren­den beken­nen sich zu den Zie­len und Wer­ten der Grü­nen Par­tei. Die Kon­fes­si­on ändert nichts dar­an und macht unse­re Kan­di­die­ren­den nicht mehr oder weni­ger wähl­bar», sagt Dani­el Hölz­le, Prä­si­dent Grü­ne Aargau. 

EVP: Poli­ti­sie­ren nach dem Evangelium

Béa Bie­ber vom Sekre­ta­ri­at der glp: «Bei uns haben vie­le Wer­te nicht in erster Linie mit einer Glau­bens­zu­ge­hö­rig­keit zu tun. Son­dern mit mensch­li­chen Werten.» 

Schliess­lich die Ant­wort der EVP: «Wir ken­nen unse­re Kan­di­die­ren­den und wis­sen, dass sie einen christ­li­chen Hin­ter­grund haben und nach den Wer­ten des Evan­ge­li­ums leben und poli­ti­sie­ren. Es spielt uns kei­ne Rol­le zu wel­cher Kon­fes­si­on unse­re Kan­di­die­ren­den gehö­ren», so Geschäfts­füh­re­rin Bar­ba­ra Müller.

Luc Hum­bel: «Die Hal­tung ist ent­schei­dend»

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Die Kon­fes­si­ons­zu­ge­hö­rig­keit ist im Aar­gau­er Polit­be­trieb also bedeu­tungs­los. Auch die Aar­gau­er Lan­des­kir­chen geben sich bewusst zurück­hal­tend, wenn es dar­um geht, die poli­ti­sche Tätig­keit von kirch­lich Enga­gier­ten zu unter­stüt­zen. Um auf der Polit­büh­ne den­noch prä­sent zu sein, gehen sie einen ande­ren Weg. Luc Hum­bel, Kir­chen­rats­prä­si­dent der römisch-katho­li­schen Lan­des­kir­che: «Wir ver­net­zen uns mit einem jähr­li­chen Anlass, zu wel­chem wir alle Gross­rä­tin­nen und Gross­rä­te ein­la­den. Wir freu­en uns über die gute Reso­nanz die­ses Anlass.» 

Sein refor­mier­ter Kol­le­ge Chri­stoph Weber-Berg fügt an: «Wir ste­hen auch in regel­mäs­si­gem Kon­takt zur Regie­rung, indem wir uns zum Bei­spiel ein­mal jähr­lich mit dem Vor­ste­her des Depar­te­ments Bil­dung, Kul­tur und Sport tref­fen und gemein­sa­me Anlie­gen mit ihm besprechen.»

«Die Kon­fes­si­ons­zu­ge­hö­rig­keit ist kein Wahl­er­for­der­nis», sagt Luc Hum­bel schliess­lich. «Es steht aber jeder Wäh­le­rin und jedem Wäh­ler frei, die­se Zuge­hö­rig­keit beim Wahl­zet­tel zu berück­sich­ti­gen. Gross­rats­wah­len sind Per­sön­lich­keits­wah­len, da ist die Hal­tung der Kan­di­die­ren­den sehr wohl von Relevanz.»

Wei­te­re aktu­el­le Bei­trä­ge zum The­ma Kir­che und Politik

https://www.horizonte-aargau.ch/der-bischof-tuts-die-pfarreien-sollen-nicht/

Andreas C. Müller
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