Thomas Wallimann-Sasaki: «Die Kirchen müssen sich zu Wort melden»
- Am letzten Septemberwochenende stimmen wir über fünf Vorlagen ab: Begrenzungsinitiative, Jagdgesetz, Steuerabzug für Kinder, Vaterschaftsurlaub und Kampfflugzeuge.
- Horizonte wollte vom Sozialethiker Thomas Wallimann wissen, warum sich die Kirchen mit Empfehlungen zurückhalten.
Kirchliche Abstimmungsempfehlungen
oeku ‑Kirche und Umwelt empfiehlt Nein zum Jagdgesetz
Ein Hauptziel der Revision des «Bundesgesetzes über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel» (Jagdgesetz) ist die Regulierung der Wolfsbestände. Die Revision geht aber weit darüber hinaus. Der Bundesrat kann in eigener Kompetenz weitere geschützte Tierarten für die Bestandesregulierung zum Abschuss freigeben. Nicht der Abschuss von Wölfen ist heute erforderlich, sondern die Begrenzung der menschlichen Eingriffe in die Natur. Denn kein Geschöpf ist überflüssig. Der oeku-Vorstand empfiehlt, das revidierte Jagdgesetz abzulehnen, über das am 27. September abgestimmt wird.
Der Aargauische Katholische Frauenbund sagt Ja zum Vaterschaftsurlaub
Der Vaterschaftsurlaub ist ein unerlässlicher Schritt zur Gleichstellung. Denn Mütter und Väter sind nach der Verfassung gleichberechtigt und gleichwertig. Die Gleichstellung in der Familie und im Erwerbsleben wird in der Verfassung ausdrücklich erwähnt. Der noch fehlende Vaterschaftsurlaub ist deshalb ein wichtiger Meilenstein in Richtung einer gerechten Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Mit dem neuen Gesetz soll nun der lang erkämpfte Mutterschaftsurlaub ergänzt werden mit dem dringend nötigen Vaterschaftsurlaub zwecks besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf zum Wohle der ganzen Familie. Nach Überprüfung aller Argumente empfiehlt der Aargauische Katholische Frauenbund, der Vorlage «Vaterschaftsurlaub» mit einem deutlichen Ja zuzustimmen.
Empfehlungen des katholischen Instituts für Sozialethik (ethik22)
Das vom Sozialethiker Thomas Wallimann geführte Institut ethik22 gibt in seiner Online-Broschüre «Sehen-Urteilen-Handeln» Abstimmungsempfehlugen zu allen fünf Vorlagen. Es gibt keinen Positionsbeszug, aber bei der Begrenzungsinitiaitve wird betont, dass sie zu einer grossen Spannung zur christlichen Ethik steht.
Bischöfliche Kommission Justitia et Pax
Eine Stellungnahme war zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch nicht verfügbar, dürfte aber noch kommen.
Herr Wallimann: Zu welchen Vorlagen müsste sich die Kirche äussern?
Thomas Wallimann-Sasaki: Zum Jagdgesetz, wie das die Kommission für Kirche und Umwelt oeku macht, eigentlich am wenigsten. Meines Erachtens ist die SVP-Initiative das Kernthema.
Warum?
Diese Initiative treibt Keile zwischen uns Menschen und beinhaltet versteckte rassistische Elemente. So etwas muss man thematisieren. Besonders, weil auch unsere Kirche ja von den Ausländern lebt. Wir haben nur aufgrund der Zuwanderung einen gebremsten Mitgliederschwund. Zudem kommen ja auch viele Priester aus dem Ausland. Und ganz im Kern: «Ausländer» gibt es für Christinnen und Christen in diesem Sinne nicht.
Und die anderen Vorlagen?
Da wären noch die Kampfflieger: Frieden und somit der Umgang mit Gewalt – ein Kernthema der christlichen Botschaft. Die Kirchen dürfen sich fragen, welche Position sie gegenüber Waffen und Militär einnehmen möchten. Klar gibt es das Recht auf Selbstverteidigung. Aber man müsste sich getrauen, wenigstens die Frage der Verhältnismässigkeit zu stellen: Was ist die wirkliche Bedrohungslage, und braucht es da 40 Flugzeuge?
Vom Katholischen Frauenbund gibt es eine Empfehlung zum Vaterschaftsurlaub.
Der Vaterschaftsurlaub ist ein Schritt in die richtige eine Richtung, aber im Grunde ein Tropfen auf den heissen Stein. Noch viel wichtiger ist, dass Kinder aus sozial schwachen Familien, gerade auch solche die sprachlich Schwierigkeiten haben, nicht weiter benachteiligt werden.
Und die Kinderabzüge?
Das geht in die gleiche Richtung. Diese Vorlage begünstigt Besserverdienende und jene, die überhaupt Bundessteuern bezahlen müssen. Da müssten sich die Kirchen zu Wort melden und an die Solidarität mit den Schwachen erinnern. Es ist irreführend, zu sagen, dass Familien mit Kindern von dieser Vorlage profitieren. Einmal mehr haben nämlich die Armen kaum etwas davon.
Es scheint, als verhielten sich die Kirchen auffallend zurückhaltend im Abstimmungskampf.
Das ist richtig.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Das kirchliche Engagement bündelt sich bereits jetzt für die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi), über die wir im November abstimmen.
Warum eigentlich? Im September geht es doch um die Menschen hier im Land.
Die Kovi zeigt, dass die Kirchen und ihre Organisationen ein gut entwickeltes Solidaritätsverständnis haben. Armut in den Ländern des Südens ist gravierender als bei uns. Diese Erkenntnis hat sich wohl im Zuge der Corona-Krise noch gefestigt. Wir haben im Vergleich zu anderen Ländern dank unserem gut funktionierenden und wohlhabenden Sozialstaat viel auffangen können.