«Die Kir­che bleibt im Dorf»

Im Finanz­sek­tor brin­gen Köp­fe wie Cre­dit Suis­se-CEO Tid­ja­ne Thi­am die Ban­ken auf Vor­der­mann. Für die Bil­dung von Pasto­ral­räu­men – eines der seit lan­gem gröss­ten Reor­ga­ni­sa­ti­ons­pro­zes­se der Geschich­te der Römisch-Katho­li­schen Kir­che in der Schweiz – sind eben­falls Mana­ger-Per­sön­lich­kei­ten gefragt. Pfar­rer Geor­ges Schwicke­rath, unter ande­rem Ex-Ban­ker, kam vor zwei Jah­ren mit genau die­sem Auf­trag nach Muri und darf am 24. Janu­ar 2016 nun die Errich­tung des Pasto­ral­raums «Muri AG und Umge­bung» feiern.
Herr Pfar­rer Schwicke­rath, die Errich­tung von Pasto­ral­räu­men gehört zu den gros­sen orga­ni­sa­to­ri­schen Her­aus­for­de­run­gen für die Kir­che. In ein­zel­nen Regio­nen zieht sich das über Jah­re hin. Wie lan­ge ging es in Muri? Pfar­rer Geor­ges Schwicke­rath: Wir haben es in zwei Jah­ren geschafft. Ich habe seit mei­ner Ankunft im Som­mer 2013 vom ersten Tag an auf die­ses Ziel hin­ge­ar­bei­tet. Mir war es wich­tig, dass wir zügig vor­an­kom­men. Es bestand ja auch sei­tens des Bischofs der Auf­trag, bis Ende 2016 die Pasto­ral­raum­bil­dung umzu­set­zen.Inwie­weit war es inner­halb die­ser Zeit mög­lich, den Pasto­ral­raum «Muri AG und Umge­bung» von der Basis aus ent­ste­hen zu las­sen? Oder ist das Pro­jekt von oben her­ab umge­setzt wor­den? Mir war der effi­zi­en­te Weg wich­tig. In Bern habe ich den demo­kra­ti­schen Weg mit­er­lebt. Eine Ent­wick­lung, die sich über fünf Jah­re hin­ge­zo­gen hat. Es besteht die Gefahr, dass so irgend­wann die Luft draus­sen ist. Und du kriegst eh nicht alle ins Boot. Inso­fern haben wir hier nicht mit Hea­rings und Spur­grup­pen gear­bei­tet.War­um hat das so gut geklappt? Gera­de die Frei­äm­ter sind ja bekannt dafür, dass sie sich nichts «von oben» dik­tie­ren las­sen? Unter dem Mot­to «die Kir­che bleibt im Dorf» fan­den wir rela­tiv rasch ein Ein­ver­neh­men. Das Ziel war von vorn­her­ein ein Spa­gat zwi­schen «Kir­che vor Ort» und einer sinn­vol­len «Zen­tra­li­sie­rung von Ange­bo­ten».Was heisst das genau? Dass es bei­spiels­wei­se für die Fir­mung ein gemein­sa­mes Kon­zept gibt, aber Kur­se in allen ange­schlos­se­nen Pfar­rei­en ange­bo­ten wer­den. Oder dass in jeder Pfar­rei Tauf­sonn­ta­ge statt­fin­den, die Men­schen also eine ech­te Wahl­mög­lich­keit haben.Wer waren auf dem ein­ge­schla­ge­nen Weg Ihre wich­tig­sten Part­ner? Allem vor­an das Seel­sor­ge-Team und die Kir­chen­pfle­gen.Gleich­wohl dürf­te nicht alles auf frucht­ba­ren Boden gefal­len sein. Rich­tig. Es gibt nun in jeder Pfar­rei am Wochen­en­de nur noch einen Got­tes­dienst und die­ser fin­det nicht jede Woche zur sel­ben Zeit statt. Kommt hin­zu, dass die Got­tes­dien­ste nicht fort­lau­fend von ein- und der sel­ben Per­son gelei­tet wer­den. Das sorg­te zu Beginn schon ein wenig für Unru­he beim Stamm­pu­bli­kum.Wie konn­ten die­se Her­aus­for­de­run­gen gemei­stert wer­den? Ich habe die­se wesent­li­chen Ein­schnit­te bereits bei mei­ner Ankunft ein­ge­führt, und nicht erst mit Blick auf die Pasto­ral­rau­mer­rich­tung. So haben die Leu­te von Anfang an erfah­ren: Ich bin nicht nur der Pfar­rer von Muri. Die Men­schen haben sich mitt­ler­wei­le dar­an gewöhnt. Und sie haben immer noch die Wahl, bei ihrem Lieb­lings­lit­ur­gen in den Got­tes­dienst zu kom­men.Das setzt aber Mobi­li­tät vor­aus. Und die­se ist im Alter zuneh­mend ein­ge­schränkt. Rich­tig. Ich kann ein gewis­ses Unbe­ha­gen durch­aus ver­ste­hen und sage immer: Mit der Errich­tung die Pasto­ral­raums ist die Ent­wick­lung ja noch nicht abge­schlos­sen. Nach­bes­sern kann man immer. Gera­de bei der Fra­ge der Mobi­li­tät schau­en wir, ob wir einen Fahr­dienst auf­bau­en kön­nen. Das Wich­tig­ste ist für mich aber, dass ich im stän­di­gen Dia­log mit den Men­schen blei­ben kann und erfah­re, was sie bewegt. Gleich­zei­tig kann ich dann auch erklä­ren, war­um wir gewis­se Mass­nah­men getrof­fen haben.Was erklä­ren Sie denn den Men­schen? Die Errich­tung von Pasto­ral­räu­men ist zunächst ein spi­ri­tu­el­ler Erneue­rungs­pro­zess. Es geht dar­um, sich den Her­aus­for­de­run­gen zu stel­len, denen unser Glau­be in der heu­ti­gen Zeit aus­ge­setzt ist. Wir haben einen Man­gel an Gläu­bi­gen und immer weni­ger Theo­lo­gen. Die Idee einer Reor­ga­ni­sa­ti­on der Seel­sor­ge hät­te im Grun­de schon viel frü­her gesche­hen müs­sen.Und über den Fahr­dienst hin­aus? Wel­che Visio­nen haben Sie für Ihren Pasto­ral­raum? Ich sehe zwei Schwer­punk­te: Zunächst haben wir mit Muri und Bein­wil zwei Wall­fahrts­or­te. Wall­fahrt und Pro­zes­sio­nen sind doch etwas Schö­nes und Wert­vol­les. Das möch­te ich ver­su­chen in die Zukunft zu füh­ren. Dann lie­gen mir auch die Fami­li­en am Her­zen. Wenn wir in 20 Jah­ren noch Kir­che sein wol­len, müs­sen wir da anset­zen.Und wie dür­fen wir uns das kon­kret vor­stel­len? Auf der einen Sei­te wird es bestimmt Fami­li­en­got­tes­dien­ste geben sowie Ange­bo­te für Eltern nach der Tau­fe. Die­se beschäf­ti­gen sich mit der Fra­ge, wie reli­giö­se Erzie­hung heu­te gelin­gen kann. Wei­ter sol­len auch Wall­fahr­ten fami­li­en­freund­li­cher wer­den. Gewohnt sind wir, dass es um sechs Uhr mor­gens los­geht und auf dem Weg der Rosen­kranz gebe­tet wird. Das funk­tio­niert für Fami­li­en natür­lich nicht. Pasto­ral­räu­me im Aar­gau: Die wich­tig­sten Fak­ten in der KurzübersichtWar­um über­haupt Pasto­ral­räu­me? Der zuneh­men­de Man­gel an Gläu­bi­gen einer­seits sowie Theo­lo­gen (=Seel­sor­ge-Per­so­nal) ande­rer­seits) ver­langt nach einer Redi­men­sio­nie­rung der bestehen­den kirch­li­chen Struk­tu­ren in den Gemein­den sowie nach einer Erneue­rung des Glau­bens.Wie vie­le Pasto­ral­räu­me gibt es im Aar­gau bereits? Mit «Muri AG und Umge­bung» wird im Aar­gau der fünf­te Pasto­ral­raum errich­tet. Der erste war «Am Mut­schel­len». Es folg­ten «Brem­gar­ten-Reus­s­tal», «Regi­on Lenz­burg» und «Regi­on Aar­au».Wel­che Unter­schie­de vom Typ her gibt es? Einer­seits wird es klei­ne­re Pasto­ral­räu­me geben, in denen min­de­stens drei Pfar­rei­en ihre Lei­tung behal­ten (Typ A). Ande­rer­seits über­nimmt in grös­se­ren Pasto­ral­räu­men vom Typ B ein Seel­sor­ge­team die Lei­tungs­auf­ga­ben für alle Pfar­rei­enWel­che wei­te­ren Pasto­ral­räu­me fol­gen 2016? Geplant sind im Aar­gau für Herbst wei­te­re Pasto­ral­rau­mer­rich­tun­gen: Dar­un­ter in Brugg, Rohr­dorf und Turgi. 
Andreas C. Müller
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