Die Katho­li­ken zwi­schen Revo­lu­ti­on und Bürgerblock

Die Katho­li­ken zwi­schen Revo­lu­ti­on und Bürgerblock

Die Katho­li­ken zwi­schen Revo­lu­ti­on und Bürgerblock

Sozia­le Not und Umsturz­angst bestimm­ten die Hal­tung von Bischö­fen und Poli­ti­kern im Lan­des­streik 1918

Vor und wäh­rend dem Lan­des­streik vom Novem­ber 1918 stan­den Kir­che und katho­li­sche Poli­ti­ker im Zwie­spalt: Sie kri­ti­sier­ten deut­lich die Not gros­ser Bevöl­ke­rungs­schich­ten, woll­ten aber nicht mit den sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Arbei­ter­füh­rern pak­tie­ren, erklärt der Histo­ri­ker Urban Fink.Nahm die katho­li­sche Kir­che im Kon­flikt rund um den Lan­des­streik Stellung?Urban Fink: Die­se Auf­ga­be über­nahm die Schwei­ze­ri­sche Kon­ser­va­ti­ve Volks­par­tei (KVP, die Vor­läu­fe­rin der heu­ti­gen CVP), die sich damals als poli­ti­scher Arm der Kir­che ver­stand. Die KVP hat­te einen sozia­len Flü­gel, der die sozia­le Pro­ble­ma­tik sehr genau wahr­nahm. Die Bischö­fe selbst äus­ser­ten sich in Bet­tags­man­da­ten, so im Bet­tags­man­dat 1917 gegen den Wucher mit Nah­rungs­mit­teln. Damit nah­men die Bischö­fe ein Anlie­gen der Bevöl­ke­rung auf, das beson­ders in den Städ­ten drän­gend war, wo es kaum Gär­ten gab und die Woh­nungs­not hoch war.Auf wel­cher Sei­te stan­den die Expo­nen­ten der Kir­che und der KVP?Die Katho­lisch-Kon­ser­va­ti­ven waren in einem Zwie­spalt. Sie woll­ten nicht mit den ­Sozi­al­de­mo­kra­ten pak­tie­ren, aus Angst vor den «gott­lo­sen Sozi» und aus Furcht vor einem revo­lu­tio­nä­ren Umsturz. Zwar erkann­ten auch die Sozi­al­de­mo­kra­ten, dass die Kon­ser­va­ti­ven gewis­se sozia­le Anlie­gen unter­stütz­ten. Aber zwi­schen den bei­den Lagern herrsch­te Miss­trau­en, weil neben der Gefahr der «Gott­lo­sig­keit» ein­zel­ne Sozia­li­sten gegen kirch­li­che Amts­trä­ger läster­ten, zum Bei­spiel in Sachen Zöli­bat.Kir­che – Stüt­ze des bür­ger­li­chen StaatesWie war das Ver­hält­nis der Katho­lisch-Kon­ser­va­ti­ven zur bür­ger­lich-frei­sin­ni­gen Sei­te?Seit dem Ein­tritt ihres ersten Ver­tre­ters Josef Zemp in den Bun­des­rat 1891 wur­den sie in der Bun­des­po­li­tik zum «Juni­or­part­ner» der Frei­sin­ni­gen. Rei­bungs­punk­te mit den Frei­sin­ni­gen erga­ben sich in Bezug auf die von radi­ka­ler Sei­te im 19. Jahr­hun­dert beschnit­te­ne Frei­heit der Kir­che und die Fra­ge der reli­gi­ös geführ­ten Schu­len. Ins­ge­samt wur­de die Kir­che eher als Stüt­ze des bür­ger­li­chen Staa­tes wahr­ge­nom­men. Die Kir­che kämpf­te gegen die sozia­le Not, hat­te aber Angst vor einem all­mäch­ti­gen Staat, sei dies von frei­sin­ni­ger Sei­te oder bei den Sozis nach einer Revo­lu­ti­on.Hat­te der gesell­schaft­li­che Kampf auch Span­nun­gen inner­halb der Kir­chen zur Folge?Auf­fäl­lig ist: Die extrem ultra­mon­ta­nen (rom­treu­en) Pfar­rer waren auch die am mei­sten sozi­al ein­ge­stell­ten. Ein Bei­spiel ist der christ­lich­so­zi­al stark enga­gier­te Pfar­rer August Acker­mann (1883–1968): Er wur­de wegen sei­ner pola­ri­sie­ren­den ultra­mon­ta­nen Ein­stel­lung 1912 vom Solo­thur­ner Kan­tons­rat als Pfar­rer von Wel­schen­rohr abge­setzt, Bischof Jakob Stamm­ler schwieg zu die­ser Ver­ja­gung. Acker­mann war dann eine Zeit­lang Hilfs­geist­li­cher in Basel, eck­te aber auch spä­ter an: 1926 ver­lor er die Pfarr­stel­le in Ober­gös­gen, 1931 in Siss­ach.

Mili­tär­dienst als öku­me­ni­sche Erfahrung

Gibt es von den Bischö­fen offi­zi­el­le Ver­laut­ba­run­gen zu den The­men des Konflikts?Die Bischö­fe woll­ten sicher nicht den Umsturz, äus­ser­ten sich aber nicht direkt dazu. Das über­lies­sen sie den Poli­ti­kern der KVP. Im Welt­krieg haben sie sich für einen «gerech­ten Frie­den» und gegen einen Dik­tat­frie­den ein­ge­setzt. Die Erfah­rung der Grenz­be­set­zung wäh­rend des 1. Welt­kriegs, als katho­li­sche und refor­mier­te Sol­da­ten auf dem glei­chen Stroh schlie­fen, war wich­tig für die Anfän­ge der Öku­me­ne. Das Tage­buch, das der Maria­stei­ner Wall­fahrtsprie­ster P. Wil­li­bald Beer­li wäh­rend des Welt­kriegs schrieb, gibt Ein­blick in die Ent­wick­lung solch guter Bezie­hun­gen zwi­schen Refor­mier­ten und Katho­li­ken.Kom­men­tier­ten Kir­chen­ver­tre­ter öffent­lich ein­zel­ne Ereig­nis­se um den Lan­des­streik, etwa den Mili­tär­ein­satz in Gren­chen, wo drei Per­so­nen erschos­sen wurden?Nein, da wür­de man zu viel erwar­ten. Auch wenn die Streik­füh­rung nach unse­rem heu­ti­gen Wis­sen kei­nen Umsturz plan­te, befürch­te­ten bür­ger­li­che Krei­se einen gewalt­sa­men revo­lu­tio­nä­ren Umsturz. Ich den­ke, dass die Bischö­fe den Mili­tär­ein­satz als klei­ne­res Übel in Kauf nah­men.Sind Äus­se­run­gen von ein­zel­nen Geist­li­chen oder kirch­li­chen Wort­füh­rern bekannt?Eine wich­ti­ge sozi­al­po­li­ti­sche Stim­me auf katho­li­scher Sei­te war Josef Beck (1858–1943) als Theo­lo­gie­pro­fes­sor in Fri­bourg. Aus­ge­hend von sei­nen Erfah­run­gen als Vikar in St. Cla­ra in Basel (1885–1888) befass­te er sich mit der Arbei­ter­fra­ge. Er enga­gier­te sich über Jahr­zehn­te zusam­men mit dem Bas­ler Ernst Fei­gen­win­ter (1853–1919) und dem Bünd­ner Cas­par Decur­tins (1855–1916) für Sozi­al­re­for­men und hat­te gros­sen Anteil an der dama­li­gen Sozi­al­ge­setz­ge­bung.Inter­view: Chri­sti­an von Arx      
Redaktion Lichtblick
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