«Die Hei­lig­ste aller Patchwork-Familien»

«Die Hei­lig­ste aller Patchwork-Familien»

Quer durch die Schwei­zer Bis­tü­mer fin­den sie im Moment statt: die Syn­oden­ge­sprä­che. Sie sind Teil eines Pro­zess, der in die­ser Form ein­zig­ar­tig ist in der rund zwei­tau­send­jäh­ri­gen Geschich­te der römisch-katho­li­schen Kir­che. Am 25. März 2015 nutz­ten 14 Per­so­nen aus den ver­schie­de­nen Orten des Pasto­ral­raums am Mut­schel­len die Gele­gen­heit und tra­fen sich im «Bür­gis­ser­hus» in Beri­kon zum Austausch.Ein­ge­la­den hat­te der Pasto­ral­raum am Mut­schel­len. Micha­el Jablo­now­ski, Pasto­ral­as­si­stent in Berg­die­ti­kon, und Susan­ne Andrea Bir­ke von Bil­dung und Prop­stei führ­ten durch den Abend. «Ein pas­sen­de­res Datum kön­nen wir uns eigent­lich nicht wün­schen für den Anlass», eröff­net Micha­el Jablo­now­ski, «denn heu­te fei­ern wir die Ver­kün­di­gung des Herrn. Den Beginn der wohl hei­lig­sten Patch­work-Fami­lie. Maria wird schwan­ger, doch nicht von ihrem Ver­lob­ten; Josef kämpft in der Fol­ge­zeit mit sich, bevor er ‚Ja‘ sagt zu einem Kind, das nicht sei­nes ist und bevor er ‚Ja‘ sagt zu einer Frau, die er dem Gesetz nach hät­te ver­stos­sen dür­fen.» Josef lässt sich auf die­se merk­wür­di­ge Ange­le­gen­heit ein, immer­hin ist sie gott­ge­wirkt.War­um wir nicht schwei­gen sollten Genau die­se Fähig­keit des sich Ein­las­sens auf die Lebens­wirk­lich­keit, ist der kirch­li­chen Hier­ar­chie im Lau­fe der Jah­re abhan­den­ge­kom­men. Die Chri­sten an der Basis äus­sern immer lau­ter ihren Unmut. Die Leh­re der Kir­che und das Kir­chen­recht gin­gen völ­lig an der Lebens­wirk­lich­keit der Gläu­bi­gen vor­bei. Beson­ders die Fra­ge nach der Zulas­sung von wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen wird als unbarm­her­zig emp­fun­den. In sei­ner men­schen­freund­li­chen Art und Wei­se hat Papst Fran­zis­kus die Ver­let­zun­gen wahr­ge­nom­men: Im Jahr 2014 fand in Rom die aus­ser­or­dent­li­che Bischofs­syn­ode zu Fra­gen der Pasto­ral in Ehe, Fami­lie und Part­ner­schaft statt. Vor­an­ge­gan­gen war eine welt­wei­te Befra­gung des Seel­sor­ge­per­so­nals und der Gläu­bi­gen. Ob es denn legi­tim sei, wenn eine so klei­ne Grup­pe für einen gan­zen Pasto­ral­raum spre­che, will eine Teil­neh­me­rin in die­sem Zusam­men­hang wis­sen. Eine berech­tig­te Fra­ge, die Micha­el Jablo­now­ski mit einem Bei­spiel aus der Poli­tik beant­wor­tet: «Es ist ähn­lich wie bei den Abstim­mun­gen an der Urne. Wer sei­ne Stim­me abgibt zeigt, ‚ich gestal­te aktiv mit. Wer das nicht tut, darf sich nach­her nicht beschwe­ren‘. Hier ist es genau­so. Es waren alle ein­ge­la­den heu­te Abend hier­her­zu­kom­men.»Dif­fe­ren­zier­te Überlegungen Eines wird deut­lich: die Gläu­bi­gen vor Ort machen sich ihre Gedan­ken. Emo­tio­nal und sehr dif­fe­ren­ziert. An drei Tischen, zu drei The­men. Grund­la­ge sind Tex­te aus den Linea­men­ta, den Ergeb­nis­pa­pie­ren der aus­ser­or­dent­li­chen Bischofs­syn­ode. Und die haben es in sich. Sprach­lich, wie inhalt­lich. Dort liest man mit Blick auf Men­schen, die in ande­ren Fami­li­en- und Bezie­hungs­for­men leben: «Als ver­läss­li­che Leh­re­rin und für­sorg­li­che Mut­ter ist sich die Kir­che – obwohl sie aner­kennt, dass es für die Getauf­ten kein ande­res als das sakra­men­ta­le Ehe­band gibt und dass jeder Bruch des­sel­ben Got­tes Wil­len zuwi­der­läuft – auch der Schwä­che vie­ler ihrer Kin­der bewusst, die sich auf dem Weg des Glau­bens schwer tun.» Oder auch: «Die Kir­che erkennt an, dass Got­tes Gna­de auch in ihrem Leben wirkt». Das ist schwer ver­ständ­lich; die Spra­che hat nichts mit dem nor­ma­len Leben zu tun und es ist, das wird an mehr als einer Stel­le deut­lich, rück­wärts­ge­wandt. Im besten Fall zeigt es die Sta­gna­ti­on der Dis­kus­si­on; im schlech­te­sten, dass eine Ver­än­de­rung der Leh­re nicht ange­zielt ist. Es ist bekannt, dass eini­ge heik­le Punk­te an der not­wen­di­gen zwei-drit­tel Mehr­heit schei­ter­ten und erst gar nicht in die­se Zwi­schen­do­ku­men­te auf­ge­nom­men wur­den.Die Fra­ge nach Barmherzigkeit Die Dis­kus­si­on an die­sem Abend ist in jedem Fall so enga­giert, dass die Teil­neh­mer die Arbeits­me­tho­de spren­gen: Wo sie sich in neu­en Grup­pen zusam­men­fin­den sol­len, blei­ben sie sit­zen und sind kaum zu brem­sen; gesti­ku­lie­ren, wie­gen Argu­men­te ab, machen Noti­zen. Da zeigt sich Geist­wir­ken und der Wunsch nach Mit­ge­stal­tung; Inter­es­se an leben­di­ger und men­schen­freund­li­cher Kir­che. Wer das nicht sieht, ist blind. Genau­so wie der, der nicht erkennt, wie tief die Ver­let­zun­gen durch die Lehr­mei­nung bei vie­len Gläu­bi­gen sind. Am Ende steht beson­ders eine Fra­ge im Raum: Wie kann es sein, dass eine Kir­che, die Barm­her­zig­keit und Näch­sten­lie­be pre­digt, Men­schen lebens­lang bestraft, weil sie geschei­tert sind. Ein Mör­der, der bereut, erfährt Gna­de. Ein Ehe­paar, das schei­tert; Part­ner die neue Bezie­hung erle­ben: Die Stra­fe ist lebens­lang. Und die Kir­che läuft Gefahr, je län­ger je unglaub­wür­di­ger in ihrer Kern­aus­sa­ge, der For­de­rung nach Näch­sten­lie­be, zu wer­den.Wich­tig in meh­re­re Richtungen Und was pas­siert jetzt mit den Ergeb­nis­sen? «Das geht in meh­re­re Rich­tun­gen. Die Ergeb­nis­se wer­den nach Sankt Gal­len ans Sozi­al­pa­sto­ra­le Insti­tut gebracht. Dann gehen sie wei­ter nach Rom an die näch­ste Bischofs­syn­ode. Doch es ist auch für uns Seel­sor­ger hier vor Ort wich­tig, was gesagt wur­de. Und, die mitt­le­re Ebe­ne, das Bis­tum, soll auch ruhig sehen, was wir hier machen», erklärt Micha­el Jablo­now­ski. Obwohl man­cher Teil­neh­mer mit Vor­be­halt gekom­men war, sind in der Schluss­run­de alle gelöst und befreit: Es macht Hoff­nung, dass in der Kir­che über­haupt noch der Wil­le zur Dis­kus­si­on da ist. Eine Teil­neh­me­rin for­mu­liert es knackig: «Es rockt. Das ist gut.»
Anne Burgmer
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