Die «Gretchenfrage» erst nach der Pandemie stellen…
- Nach dem gestrigen Entscheid des Bundesrats, das Versammlungsverbot aufrechtzuerhalten, dürfen vorläufig auch kein kirchlicher Religionsunterricht und Firmvorbereitungskurse am „Lernort Pfarrei“ stattfinden. Beides gilt als «Veranstaltung» und unterliegt dem Versammlungsverbot.
- Joachim Köhn leitet die Fachstelle Katechese-Medien der Römisch-Katholischen Landeskirche im Aargau. Im Interview mit Horizonte erklärt der Fachstellenleiter, was das für die Wiederaufnahme des Religionsunterrichts ab dem 11. Mai bedeutet.
- Auf die Frage, inwieweit die Einschränkungen beim Religionsunterricht den Bedeutungsverlust der Kirchen zeigten, gibt sich Joachim Köhn diplomatisch und meint, das solle diskutiert werden, wenn die Krise ausgestanden ist.
Herr Köhn, einerseits gibt es ab 11. Mai wieder Religionsunterricht, andererseits nicht. Was gilt?
Joachim Köhn: Nur jener Religionsunterricht, der an den Schulen und in deren Räumlichkeiten gegeben wird, darf wieder stattfinden. Dieser gilt als Unterricht und die Katechetinnen müssen sich an die jeweiligen Schutzkonzepte der Schulen halten.
Das heisst also: Aller Religionsunterricht, der ausserhalb der Schulräumlichkeiten abgehalten wird – auch wenn er gleich funktioniert — ist verboten?
Ja, genau. Der Lernort Schule hat seine «Gesetzmässigkeiten» wie der Lernort Pfarrei.
Und das betrifft ja nicht nur Firmvorbereitung, sondern explizit auch Religionsunterricht, der in Pfarreiräumen abgehalten wird, weil an den öffentlichen Schulen kein Platz mehr zu vernünftigen Zeiten angeboten wurde, richtig?
Genau. Wobei man dazu sagen muss, dass sich verschiedene Pfarreien auch bewusst dazu entschieden haben, den Religionsunterricht nicht mehr an den Schulen durchzuführen. Nun zeigt sich am Beispiel der Regelungen rund um die Eindämmung des Coronavirus, welche Konsequenzen das hat.
Und das ist nicht eine Frage der Altersklassen, sondern schlicht des Standortes, richtig?
Das stimmt. Ausserschulische Katechese, Erstkommunion- oder Firmvorbereitungen gelten als religiöse Versammlungen und bleiben untersagt.
Wenn man nun bedenkt, wie Frau Bundesrätin Amherd gestern die Wiedereröffnung von Fitnesscentern per 11. Mai rechtfertigte: Wie bewerten Sie den Entscheid, dass bei Religionsunterricht in Abhängigkeit zum Standort zwischen Unterricht und Versammlung unterschieden wird?
Es ist in der Tat schwierig zu verstehen, warum Fitnesscenter öffnen dürfen und Unterricht an Schulen stattfinden darf, aber in Pfarreiräumlichkeiten nicht. Die Kirchen haben ja ein Schutzkonzept entworfen.
Inwieweit zeigt ein solcher Entscheid, wie sehr die Bedeutung der Kirchen und des kirchlichen Religionsunterrichts für die Gesellschaft an Bedeutung verloren hat?
Aus religiöser Sicht lehrt uns die derzeitige Krise Demut und Selbsterkenntnis. Die «Gretchenfrage» würde ich erst nach Beendigung der Corona-Pandemie stellen und diskutieren.
Oder haben sich die Bischöfe und Landeskirchen einfach zu wenig bei der Landesregierung für Ihre Interessen eingesetzt? Die Gastrobranche hat es ja geschafft, sich durchzusetzen.
Die Bischofskonferenz und weitere kirchliche Institutionen haben sich mit Schutzkonzepten beim Bund zu Wort gemeldet. Unsere Verantwortlichen in der Bistumsleitung fordern uns im jetzigen Corona-Stadium auf zu Vorsicht und Aufmerksamkeit beim Einhalten der Massnahmen, zugleich zu Gelassenheit und Masshalten.
Werden Sie als Katechese-Stellenleiter der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau aktiv werden und sich im Kontakt mit anderen kantonalen Katechese-Verantwortlichen und Vertretern von Landeskirche und Bistum gegen diesen Entscheid wehren?
Ich halte es derzeit mit dem Heiligen Thomas von Aquin, der empfiehlt, in solchen Situationen der Wahrheit ins Auge zu sehen. Denken wir nicht nach hinten, sondern schauen positiv nach vorne.