Die Frau der klei­nen Leute

Die Frau der klei­nen Leute

Lukas 1,46–52«Da sag­te Maria: Mei­ne See­le preist die Grös­se des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, mei­nen Ret­ter. Denn auf die Nied­rig­keit sei­ner Magd hat er geschaut. Sie­he, von nun an prei­sen mich selig alle Geschlech­ter. Denn der Mäch­ti­ge hat Gros­ses an mir getan und sein Name ist hei­lig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten.»Ein­heits­über­set­zung 2016 

Die Frau der klei­nen Leute

In der Pan­de­mie sind mir zwei Gebe­te lieb und teu­er gewor­den, am Mor­gen, nach dem Früh­ge­bet der Mön­che, wenn die Basi­li­ka men­schen­leer ist, die Stil­le gross, der neue Tag am Kom­men. Der Kreuz­weg! Ich gehe ihn den 14 Sta­tio­nen ent­lang und ste­he schliess­lich vor der Kopie des Gna­den­bil­des. Am 18. März 2020 wur­de sie, weil die Gna­den­ka­pel­le geschlos­sen wer­den muss­te, auf dem Sei­ten­al­tar plat­ziert. Dort ste­he ich in aller Herr­gotts­frü­he vor «Unse­rer Lie­ben Frau im Stein» und murm­le die Lau­re­ta­ni­sche Lita­nei. Ich mag sie, die­se Anru­fun­gen im Rhyth­mus des «Bit­te für uns!», die Bil­der, die von der Lie­be, vom Ver­trau­en, von der Zunei­gung des christ­li­chen Vol­kes zeu­gen, ange­rei­chert durch die poe­ti­sche Kraft der Bibel, aber auch mit den täg­li­chen Lei­den und Nöten der klei­nen Leu­te.Gern ver­wei­le ich bei der «Jung­frau, von den Völ­kern geprie­sen», weiss mich ver­bun­den mit den Men­schen, die gestern hier waren, um ein Kerz­lein anzu­zün­den und einen Blick der Madon­na und dem Jesus­kind zuzu­wer­fen, jun­ge Fami­li­en mit Kin­der­wa­gen, alte Leu­te am Rol­la­tor, Behin­der­te im Roll­stuhl oder an Krücken, Men­schen aus vie­len Natio­nen und Kul­tu­ren, von unter­schied­li­cher reli­giö­ser Tra­di­ti­on und Prä­gung. Ich den­ke an jene, die mir spe­zi­ell am Her­zen lie­gen, an die andern, die heu­te kom­men wer­den, um hier ihre gros­sen Anlie­gen und klei­nen Sor­gen zu depo­nie­ren, auch um Dank zu sagen in ihrer Mut­ter­spra­che. Maria ver­steht sie alle. Die einen blei­ben kaum eine Minu­te lang, ande­re set­zen sich für eine hal­be Stun­de hin, um unter dem güti­gen Auge Mari­as zur Ruhe zu kom­men. Viel­leicht beten sie still im Her­zen, prei­sen die Grös­se des Herrn, jubeln über Gott, ihren Ret­ter. Viel­leicht sind sie ein­fach da, und es genügt ihnen.Unter die­sen klei­nen Leu­ten auf dem Weg durch den Advent ist auch der Mexi­ka­ner Juan Die­go Cuauht­la­to­atz­in. Im Dezem­ber 1531 war ihm eine Dame erschie­nen, «die ihn bat, näher­zu­tre­ten. Es war eine wun­der­schö­ne Dame von über­mensch­li­cher Schön­heit. Ihr Gewand leuch­te­te wie die Son­ne; der Fels, auf den sie ihren Fuss setz­te, schien aus kost­ba­ren Stei­nen gehau­en zu sein und der Boden rot wie der Regen­bo­gen. Das Gras, die Bäu­me und das Busch­werk sahen wie Sma­rag­de aus; die Blät­ter wie fei­ne Tür­ki­se; und die Zwei­ge blitz­ten wie Gold». Sie rede­te zu Juan Die­go: «Ich bin die hei­li­ge Maria, die ewi­ge Jung­frau, die Mut­ter des wah­ren Got­tes. Ich möch­te, dass hier ein Hei­lig­tum errich­tet wird, um dir mei­ne Lie­be zu zei­gen. Ich bin dei­ne barm­her­zi­ge Mut­ter, dei­ne Mut­ter und die aller Bewoh­ner die­ser Erde. Ich bit­te dich, gehe und sprich mit dem Bischof von Mexi­ko und sage, dass ich dich gesandt habe, um ihm mei­nen Wil­len kund­zu­tun.»Es brauch­te eini­ge Über­zeu­gungs­ar­beit, auch ein Blu­men­wun­der und die über­ra­schen­de Ent­deckung, dass sich das Bild der Dame im Umhang des Juan Die­go ein­ge­prägt hat­te, bis der Bischof bereit war, den Anwei­sun­gen Fol­ge zu lei­sten.Zehn Jah­re zuvor, 1521, hat­te Fer­nan­do Cor­tés in einer blu­ti­gen Schlacht die ein­hei­mi­schen Azte­ken ver­nich­tend geschla­gen, vier­zehn Jah­re spä­ter, 1545, wur­de die Geschich­te von Juan Die­go und der schö­nen Dame in der Ein­hei­mi­schen-Spra­che Nahuatl auf­ge­schrie­ben. Nicht die Kano­nen und die Arro­ganz der spa­ni­schen Erobe­rer, erst recht nicht ihre Gold­gier, son­dern die Jung­frau Maria, Ein­hei­mi­sche unter den Ein­hei­mi­schen, die sich dem Juan Die­go als Azte­kin vor­stell­te, geklei­det nach Stil und Sym­bo­lik sei­ner Kul­tur, sie öff­ne­te Chri­stus den Weg in die Her­zen der klei­nen Leu­te von Mexi­ko. So geschieht es bis heu­te, bis an die Enden der Erde, bis zum Ende der Welt.Peter von Sury, Abt des Bene­dik­ti­ner­klo­sters Mariastein   
Regula Vogt-Kohler
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