Der Weg der Bischöfe zum Frauenstimmrecht

Der Weg der Bischöfe zum Frauenstimmrecht

Auch Bischöfe ändern ihre Meinung – aber langsam

Wie sich die Schweizer Bischofskonferenz im 20. Jahrhundert zum Frauenstimmrecht äusserte

Als «blosse Gehil­fin des Mannes» sei die Frau nicht für «Man­nes­rechte» bes­timmt, verkün­dete die Schweiz­er Bischof­skon­ferenz 1919 zum Frauen­stimm­recht. 1970 tönte es anders: Den Frauen die poli­tis­chen Rechte zu ver­weigern, wäre eine Ungerechtigkeit, schrieb der dama­lige Vizepräsi­dent der Bischof­skon­ferenz.Mit mehreren kan­tonalen Volksab­stim­mungen und zwei über­wiese­nen Pos­tu­lat­en im Nation­al­rat kam das Frauen­stimm­recht ab 1919 in der Schweiz konkret auf die poli­tis­che Tage­sor­d­nung von Bund und Kan­to­nen. In der Schweiz­er Bischof­skon­ferenz (SBK), damals geleit­et von Jakob Stamm­ler (von 1906 bis 1925 Bischof von Basel und Lugano), wurde am 28. Juli 1919 angeregt, dass die Frage des Frauen­stimm­rechts «von den Hochwürdig­sten Bis­chöfen autori­ta­tiv behan­delt werde».1 Dies erfol­gte durch einen Ein­schub in die an der gle­ichen Sitzung ver­ab­schiedete Ansprache an die Gläu­bi­gen zum Eid­genös­sis­chen Bet­tag 1919 (siehe Seit­en 12/13).In dieser offiziellen Ver­laut­barung erteil­ten die Bis­chöfe der poli­tis­chen Gle­ich­stel­lung von Frauen und Män­nern eine Absage: «Wir kön­nen nicht glauben, dass diese Bestre­bun­gen sich als Glück für die Frau erweisen wer­den; wir sind vielmehr überzeugt, dass die naturgemässen Auf­gaben der Frau darunter lei­den müssen und einen empfind­lichen Rückschlag auf die all­ge­meine Volkswohlfahrt zur Folge haben.» Man sollte der Frau nicht «Man­nes­rechte» aufzwin­gen, «für welche sie als blosse ‹Gehil­fin des Mannes› (ver­gle­iche I. Moses 2,18) nicht bes­timmt ist».Rechte und Pflicht­en woll­ten die Bis­chöfe der Frau nur in ihrer Rolle als «Haus­mut­ter» und beson­ders als Erzieherin der Kinder zuerken­nen. «Nüt­zlich und möglich» sei die Mitwirkung der Frauen in einzel­nen Gebi­eten des öffentlichen Lebens wie dem Schul‑, Armen- und Vor­mund­schaftswe­sen.

Päpstlicher als der Papst

Zehn Jahre später war das Frauen­stimm­recht The­ma in Kon­tak­ten mehrerer Schweiz­er Bis­chöfe mit höch­sten Stellen in Rom. Kar­di­nal­staatssekretär Pietro Gas­par­ri erk­lärte den bei­den Bis­chöfen von Chur, Georgius Schmid von Grü­neck und Anton Gisler (Wei­h­bischof), der Vatikan werde sich wed­er dafür noch dage­gen ein­set­zen. Bischof Mar­ius Besson von Lau­sanne, Genf und Freiburg erhielt von dem Kurien­mi­tar­beit­er (und späteren Kar­di­nal) Mons. Giuseppe Piz­zar­do ein Gutacht­en, das sich nach Ein­schätzung der SBK eher befür­wor­tend zum Frauen­stimm­recht äusserte. Unter Hin­weis auf den Umstand, dass schon mehrere Bis­chöfe der Weltkirche öffentlich für das Frauen­stimm­recht einge­treten seien, brachte Rom – unter anderem in einem Brief des päp­stlichen Nun­tius an den dama­li­gen Dekan (Präsi­den­ten) der SBK, Bischof Schmid von Grü­neck – den Wun­sch zum Aus­druck, dass sich die Schweiz­er Bis­chöfe nicht grund­sät­zlich gegen das Frauen­stimm­recht äussern soll­ten. Diese beschlossen darauf, dem Schweiz­erischen Katholis­chen Frauen­bund (SKF) offiziell mitzuteilen, «dass für jet­zt und für die Schweiz als inop­por­tun erachtet werde, für das Stimm­recht einzutreten». Dem Wun­sch Roms tru­gen die Bis­chöfe insofern Rech­nung, als sie auf eine «dog­ma­tis­che oder ethis­che Begrün­dung» für ihre Ablehnung verzichteten.2Dass min­destens einzelne Schweiz­er Bis­chöfe in Sachen Frauen­stimm­recht kon­ser­v­a­tiv­er waren als der Vatikan, bestätigte sich nach dem Zweit­en Weltkrieg. Als Papst Pius XII. im Okto­ber 1945 die Ital­iener­in­nen zur Teil­nahme an den Par­la­mentswahlen aufrief, ver­bot der Basler Bischof Franz von Streng als «geistlich­er Pro­tek­tor» des SKF die Veröf­fentlichung dieses päp­stlichen Aufrufs in der Ver­band­szeitschrift «Die Schweiz­erin». Wegen dieses bis­chöflichen Ver­bots trat die seit zwölf Jahren amtierende Redak­torin Hilde Vérène Borsinger von ihrem Posten zurück, und 1947 grün­de­ten Frauen den Staats­bürg­er­lichen Ver­band katholis­ch­er Schweiz­erin­nen (Sta­ka), um die poli­tis­che Bil­dung der Katho­likin­nen ohne klerikale Ein­flussnahme zu fördern. Bischof von Streng liess einen Anlass des Sta­ka für das Frauen­stimm­recht in der damals noch als pri­va­trechtlich­er Vere­in organ­isierten Römisch-Katholis­chen Gemeinde Basel ver­bi­eten.3

Uneinig vor den Abstimmungen von 1959 und 1971

Im Hin­blick auf die erste eid­genös­sis­che Abstim­mung von 1959 bezo­gen die Delegierten des Frauen­bun­des unter Führung der späteren ersten Nation­al­rat­spräsi­dentin Elis­a­beth Blun­schy-Stein­er am 17. April 1958 erst­mals offiziell Posi­tion für das Frauen­stimm­recht, und das sehr deut­lich mit 117 gegen 26 Stim­men.4 Ihre Res­o­lu­tion wurde unkom­men­tiert in der «Schweiz­erischen Kirchen­zeitung» (SKZ) Nr. vom 24. April 1959 (Seit­en 204/5) abge­druckt, die damals das amtliche Organ der Diözese Basel war. Der gegen seine erk­lärte Mei­n­ung erfol­gte Posi­tions­bezug des Frauen­bun­des muss Bischof von Streng verärg­ert haben, jeden­falls ging er nun nicht mehr sel­ber an die Vor­standssitzun­gen des SKF, son­dern liess sich durch einen Mann seines Ver­trauens vertreten.5Von der Bischof­skon­ferenz ist im Vor­feld der Abstim­mung von 1959 keine gemein­same, offizielle Stel­lung­nahme zum Frauen­stimm­recht bekan­nt. Dem Archivar des Bis­tums Basel, Rolf Fäs, fiel bei der Durch­sicht der SKZ-Jahrgänge auf, dass das The­ma in der ersten Hälfte des 20. Jahrhun­derts deut­lich häu­figer zur Sprache kam als vor den Volksab­stim­mungen von 1959 und 1971. Das deutet darauf hin, dass die Schweiz­er Bis­chöfe sich nicht einig waren und nicht alle die Hal­tung von Strengs ein­nah­men, der sich klar als Geg­n­er exponiert hat­te.

In der Westschweiz drehte der Wind

Laut dem Artikel von Josef Lang (s. Anm. 3) unter­stützte François Char­rière, von 1945 bis 1970 Bischof von Lau­sanne, Genf und Freiburg, die Westschweiz­er Sek­tion des Frauen­bunds, als sie sich 1958 für das Frauen­stimm­recht aussprach. Das Ja der welschen Frauen hat­te eine wichtige Sig­nal­wirkung, weil es zwei Monate vor der gesamtschweiz­erischen Delegierten­ver­samm­lung des SKF den Beweis erbrachte, dass sich Katho­likin­nen für das Frauen­stimm­recht engagieren kon­nten und dabei von ihrem Bischof Rück­endeck­ung erhiel­ten. Nach Ein­schätzung von Josef Lang hat sich Zen­tral­präsi­dentin Blun­schy diesen Umstand zunutze gemacht, um mit der richti­gen Ter­minierung die Chan­cen auf ein Ja des Schweiz­erischen Ver­ban­des zu erhöhen.6Der Rück­tritt des 83-jähri­gen Franz von Streng als Bischof von Basel 1967 dürfte den Wider­stand gegen das Frauen­stimm­recht in der Bischof­skon­ferenz erhe­blich geschwächt haben. Zu einem ein­hel­li­gen Ja reichte es aber auch dann noch nicht. Drei Monate vor der entschei­den­den Abstim­mung vom 7. Feb­ru­ar 1971 heisst es im Pro­tokoll der SBK: «Da die Lage in den Kan­to­nen recht unter­schiedlich ist, über­lässt die BK es dem Urteil jedes Mit­gliedes, ob es eine Erk­lärung abgeben wird.» Den­noch sei die Bischof­skon­ferenz «nicht abgeneigt, kurz vor der eid­genös­sis­chen Abstim­mung eine gemein­same Erk­lärung in dieser Frage abzugeben.»7 Tat­säch­lich lag der Gen­er­alvikari­atskon­ferenz des Bis­tums Basel (dem heuti­gen Bischof­s­rat) gut drei Wochen vor dem Ter­min des Volk­sentschei­ds ein Entwurf des Frauen­bun­des für eine Erk­lärung der Bis­chöfe zum Frauen­stimm­recht vor. Im Pro­tokoll heisst es dazu: «Dieser Text kann aber nicht ohne Änderun­gen gut­ge­heis­sen wer­den.»8 Eine gemein­same Erk­lärung der Bischof­skon­ferenz kam nicht zus­tande.9

«Jede Art der Diskriminierung widerspricht den Absichten Gottes»

Doch der Wan­del in der Hal­tung der Schweiz­er Bis­chöfe zum Frauen­stimm­recht war nicht mehr zu überse­hen. Ein Beleg dafür find­et sich im Bis­chöflichen Archiv von Sit­ten. Auf Anfrage der Wal­lis­er Vere­ini­gung für das Frauen­stimm­recht ver­fasste Bischof Nestor Adam von Sit­ten, damals Vizepräsi­dent und ab Juli 1970 bis Ende 1976 Präsi­dent der Bischof­skon­ferenz, am 7. Feb­ru­ar 1970 – genau ein Jahr vor der Abstim­mung – eine Stel­lung­nahme zum Frauen­stimm­recht10. Adam gibt dieser dur­chaus eine the­ol­o­gis­che Fundierung, indem er sich auf das II. Vatikanis­che Konzil bezieht, das ver­langt habe: «Jede Art der Diskri­m­inierung der per­sön­lichen Rechte muss unter­drückt und aus der Welt geschafft wer­den, da sie den Absicht­en Gottes wider­sprechen [sic].» Auch habe das Konzil an das Recht und die Pflicht erin­nert, zum Wohl der All­ge­mein­heit vom freien Stimm- und Wahlrecht Gebrauch zu machen.«In Anbe­tra­cht von so ein­deuti­gen Stel­lung­nah­men wird jed­er Kom­men­tar über­flüs­sig», fol­gert Bischof Nestor Adam. «Da wir das all­ge­meine Stimm­recht haben, gibt es keinen Grund, die Frauen davon auszuschliessen; ja, es wäre sog­ar eine Ungerechtigkeit, ihnen die poli­tis­chen Rechte zu ver­weigern.» Der näch­ste Abschnitt des bis­chöflichen Schreibens klingt fast wie eine Antwort auf die ein halbes Jahrhun­dert zuvor geäusserten Bedenken der Bischof­skon­ferenz im Bet­tags­man­dat von 1919: «Die Furcht, dass die Mut­ter durch das Frauen­stimm­recht von der Fam­i­lie abge­lenkt werde, ist unbe­grün­det. Im Gegen­teil, die Teil­nahme der Frau am öffentlichen Leben wird einen wohltuen­den Ein­fluss auf die men­schliche Gesellschaft ausüben (…)».Ob dieser Text damals veröf­fentlicht wurde oder welche Adres­satin­nen er als Brief des Bischofs erre­icht hat, ist im Archiv in Sit­ten nicht bekan­nt.11 Aber die datierte Schreib­maschi­nenkopie mit dem Namen von Bischof Nestor Adam zeigt, dass die Argu­mente der Frauen­recht­lerin­nen und die in Gesellschaft und Kirche geführten Debat­ten in dem hal­ben Jahrhun­dert von 1919 bis 1970 nicht spur­los an den Schweiz­er Bis­chöfen vor­beige­gan­gen sind.Chris­t­ian von Arx Für fre­undliche Hin­weise aus ihren Archiv­en danken wir Rolf Fäs vom Archiv des Bis­tums Basel in Solothurn, Sabine Ley­at Fil­liez vom Bis­chöflichen Archiv des Bis­tums Sit­ten und Gio­van­ni Meier-Grand­jean, Archivar im Gen­er­alsekre­tari­at der Schweiz­er Bischof­skon­ferenz in Freiburg. Wesentliche Infor­ma­tio­nen entstam­men dem Artikel «Die Katho­likin­nen und das Frauen­stimm­recht» des His­torik­ers Josef Lang im «Pfar­rblatt» für den Kan­ton Bern, Nr. 3/2021. Anmerkun­gen:1 Pro­tokoll der SBK vom 28.7.19192 Pro­tokoll der SBK vom 3.7.19293 Angaben in diesem Abschnitt nach Josef Lang, «Die Katho­likin­nen und das Frauen­stimm­recht», siehe oben.4 Vgl. die Auflis­tung «Der SKF und seine Haltung(en) zum Frauen­stimm­recht» auf www.frauenbund.ch. Zahlen der Parolen­ab­stim­mung gemäss Josef Lang, «Die Katho­likin­nen und das Frauen­stimm­recht».5 Nach Josef Lang, «Die Katho­likin­nen und das Frauen­stimm­recht», siehe oben.6 Mit­teilung von Josef Lang, 26.1.20217 Pro­tokoll der SBK vom 5.11.19708 Pro­tokoll der Gen­er­alvikari­atskon­ferenz des Bis­tums Basel vom 15.1.1971. Lei­der ist der Tex­ten­twurf des Frauen­bun­des im Archiv des Bis­tums Basel nicht vorhan­den (Mit­teilung von Rolf Fäs am 25.1.2021).9 In den im Archiv des Gen­er­alsekre­tari­ats der SBK gesam­melten Akten (Ord­ner C.5.7 – Déc­la­ra­tions et Com­mu­niqué de presse de la CES 1970–1978) ist keine solche Erk­lärung vorhan­den (Mit­teilung von Gio­van­ni Meier-Grand­jean vom 21.1.2021). – Der His­torik­er Urs Alter­matt schrieb 1992: «In der Frauen­stimm­rechts­frage, die 1959 zum ersten Mal zur Volksab­stim­mung kam, waren die Bis­chöfe ges­pal­ten.» (Urs Alter­matt, Schweiz­erische Bischof­skon­ferenz: die Wende von 1970. In: Miteinan­der – Für die vielfältige Ein­heit der Kirche. Festschrift für Anton Häng­gi. Basel, 1992, [Seite 79]).10 Archives de l’Evêché de Sion (AES), Akten­ze­ichen 456, Nr. 169.11 Mit­teilung von Sabine Leyaz Fil­liez vom 1.2.2021     
Christian von Arx
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