Der versteckte Hirte
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Der versteckte Hirte

Hebräer­brief 10,23–25Lasst uns an dem unwan­del­baren Beken­nt­nis der Hoff­nung fes­thal­ten, denn er, der die Ver­heis­sung gegeben hat, ist treu! Lasst uns aufeinan­der acht­en und uns zur Liebe und zu guten Tat­en ans­pornen! Lasst uns nicht unseren Zusam­menkün­ften fern­bleiben, wie es eini­gen zur Gewohn­heit gewor­den ist, son­dern ermuntert einan­der, und das umso mehr, als ihr seht, dass der Tag naht! Ein­heit­süber­set­zung 2016

Der versteckte Hirte

Offiziell ist die Wei­h­nacht­szeit mit dem Dreikönigstag zu Ende gegan­gen, aber die ersten Christ­bäume lagen schon im alten Jahr draussen zum Abholen bere­it. Die Eili­gen woll­ten schnell zurück in den All­t­ag, vielle­icht weil sie das Beson­dere dieses Festes jen­seits von Fam­i­lien­freuden und ‑pflicht­en nicht mehr wirk­lich ver­ste­hen, es besten­falls noch vage ahnen. Aber auch die hart­ge­sot­ten­sten Tra­di­tion­al­is­ten, die sich den Luxus der Erin­nerung an die alte Ord­nung leis­ten, nach der die Wei­h­nacht­szeit noch bis zum zweit­en Feb­ru­ar gedauert hat­te, leg­en in diesen Tagen die Heilige Fam­i­lie samt Ochs und Esel, den Köni­gen und den Hirten mit ihren Schafen sorgfältig ver­packt zu den Sachen, die man nur ein­mal im Jahr her­vorholt. Den Leucht­en­geln in den Fen­stern wurde der Steck­er gezo­gen, und die Fas­nachtschüech­li sagen euch an: Es ist Zeit weit­erzuge­hen!Ja, natür­lich ist es Zeit weit­erzuge­hen. Tag für Tag bre­it­et sich das Leben vor uns aus in sein­er ganzen Vielfalt, lässt die einen im Licht baden und andere in Trä­nen ertrinken. Das Leben ken­nt königliche Geburt für die einen und Stall­dreck für die anderen und alle Schat­tierun­gen dazwis­chen. Ger­ade deshalb dürfte eigentlich diese Geschichte vom Gott, der mit­ten im Leben der Men­schen seinen Platz find­et, nicht mit dem all­ge­meinen Lichter­löschen an den Christ­bäu­men in Sei­den­pa­pi­er eingewick­elt und weggelegt wer­den. Im Leben, das da so vor­wärt­srollt, müsste ger­ade dies gewiss bleiben, dass Gott dort sein will, wo sich das Leben abspielt. Auch und ger­ade dort, wo Men­schen im Dreck liegen müssen, und wo sein Lächeln das einzig hoff­nungsvolle ist, das tief im Herzen so gut tut, als wür­den Engel sin­gen!Der Geschichte nach sollen auch die Hirten gle­ich nach dem Besuch an der Krippe wieder eilig in ihren All­t­ag zurück­ge­gan­gen sein. Es gab keine Zeit für Sen­ti­men­tal­itäten, eine Herde musste ver­sorgt wer­den. Aber weggelegt haben sie die Begeg­nung im Stall deshalb nicht! Dass Gott kein Ort, an dem Men­schen leben müssen, zu schäbig ist, um diesen Ort zu sein­er Mitte zu machen – jene Erfahrung hat den Hirten etwas ins Herz geza­ubert, für das es keine Worte gibt, nur Dankbarkeit, die man nicht schnell im Keller ablegt.Ich kenne mich und das schnelle Vergessen im Vor­wärts­ge­hen im All­t­ag. Deshalb habe ich beim Wegräu­men mein­er Wei­h­nacht­skrippe heim­lich einen Hirten irgend­wo im Wäscheschrank oder Büchergestell ver­steckt, damit er mir irgend­wann im Jahr unver­hofft in die Hände fällt und mich daran erin­nert, dass das, was wir gefeiert haben, nicht ein­fach vor­bei ist, und ich auch mit­ten im Jahr etwas Wei­h­nacht­slicht zu denen tra­gen kön­nte, denen kein Stern ins Leben leuchtet. Das Christkind, ver­sorgt im Keller, würde es sich­er freuen.Felix Ter­ri­er Rek­tor der Klosterkirche Dor­nach
Felix Terrier
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