«Eucharistiefeier ohne Priester» – ein provokanter Titel, der Reaktionen auslöste. Ein Grund, genauer hinzuschauen und sich mit dem Thema Eucharistiefeier und Wort-Gottes-Feier auseinanderzusetzen und nebenbei eine überraschende Erkenntnis zu gewinnen.«Wortgottesdienste mit Kommunionausteilung sind nichts Neues, bei uns in Schöftland feiern wir diese schon seit zwanzig Jahren», meint Beat Niederberger, Leiter des Pastoalraums Region Aarau. Seiner Ansicht nach entstand aufgrund des unlängst im Pfarrblatt erschienen Artikels der Eindruck, als handle es sich bei Wortgottesdiensten mit Kommunionfeier um etwas Neues. Auch wenn diese Form des Gottesdienstes im Aargau bereits weit verbreitet ist, offenbart sich beim genaueren Hinschauen Überraschendes.
Eindeutige Zahlen
Stichprobenartige Nachfragen bei Pfarrämtern im Aargau zeigen, dass sehr viel mehr Eucharistiefeiern gehalten werden. Und aktuelle Zahlen aus einer Erhebung durch das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut (SPI) in Sankt Gallen beseitigen jedes Fragezeichen: Im Aargau wurden im abgefragten Zeitraum (Pfarreierhebung des Bistums Basel im Februar 2015) an den Wochenenden insgesamt 640 Gottesdienste gefeiert. 413 davon waren Eucharistiefeiern, 216 Wortgottesdienste mit Kommunionspendung und nur 11 Wortgottesdienste ohne Kommunionspendung. Und insgesamt 670 Werktagsgottesdienste teilen sich in 476 Eucharistiefeiern und 194 Wortgottesdienste mit Kommunionspendung auf. «Noch haben wir genug Priester, die die Eucharistiefeiern zelebrieren können», erklärt Tobias Fontein, Bistumsregionalverantwortlicher für die Bistumsregion Sankt Urs. Der Präsident der Liturgischen Kommission, Pius Troxler, sagt: «Die Situation scheint mir regional sehr unterschiedlich. Doch es ist offensichtlich: Die aktiven Priester werden weniger und dadurch werden weniger Messfeiern gefeiert werden können.» Das Wissen um den zukünftig stärkeren Priesterrückgang wird so oft thematisiert, dass dem Empfinden nach schon mehr Wort-Gottes-Feiern als Eucharistiefeiern durchgeführt werden. Im Aargau ein Irrtum, wie die Zahlen zeigen.
Zentrales Sakrament
Die liturgische Vielfalt ist in den letzten Jahren zurückgegangen; es gibt weniger Vespern, Andachten oder Betstunden. Je nach Sichtweise ist das bedauerliche Verarmung, Spiegel dessen, was Gläubige an Angebot wahrnehmen, oder auch notwendige Anpassung an veränderte Personalumstände. Weniger Priester, weniger Seelsorger insgesamt, müssen grössere Seelsorgeräume betreuen. Das berührt auch die liturgisch-theologische Ebene: Die Eucharistiefeier ist die Feier eines zentralen Sakraments der römisch-katholischen Kirche. Es ist gleichzeitig Erinnerung und Vergegenwärtigung des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. In der Eucharistie ist Jesus Christus im liturgischen Vollzug der Gemeinde (sie ist «Leib Christi») und in der gewandelten Hostie sakramental wirklich gegenwärtig. Aus diesem Grund kann eine Hostie in einer Monstranz «ausgesetzt» und angebetet werden. Deshalb werden geweihte Hostien im Tabernakel aufbewahrt, dem künstlerisch oft besonders gestalteten Ort, der den «Leib Christi» beherbergt. Das Wort Tabernakel bedeutet «Hütte» oder «Zelt» und ist eine Neuinterpretation des Offenbarungszeltes, in dem die Gebotstafeln aufbewahrt und mit dem Volk Israel mitgeführt wurden.
Skeptische Beurteilung
Ob es nachvollziehbar ist oder nicht, ob es (Laien)Seelsorgern und Gläubigen gefällt oder nicht, das geltende römisch-katholische Kirchenrecht legt fest, dass nur ein unverheirateter oder verwitweter, zum Priester geweihter Mann dieses Sakrament gültig erwirken kann. Ohne Priester keine Eucharistiefeier und man ist geneigt zu fragen, ob Jesus Christus dann in Zukunft im Gottesdienst sakramental seltener «anwesend» sein wird. Die Antwort darauf ist: Nein. Denn in jeder Pfarrei, in der am Samstag oder Sonntag keine Eucharistiefeier stattfindet, kann im Rahmen eines Wortgottesdienstes die Kommunion gespendet werden. Das heisst, bereits gewandelte Hostien aus einer früheren Eucharistiefeier werden aus dem Tabernakel genommen und verteilt. Es ist Zeichen der bleibenden Gegenwart Jesus Christi. Priester können also in einer Eucharistiefeier Hostien für einen ganzen Pastoralraum wandeln; Diakone und Seelsorger bringen diese in die einzelnen Pfarreien und verteilen sie in Kommunionfeiern. Doch diese Praxis wird seitens der Amtskirche skeptisch beurteilt. Die Befürchtung ist, dass Seelsorgende den Unterschied zur Eucharistiefeier nicht genügend deutlich machen. In einer Leserbriefreaktion heisst es gar in Bezug auf einen Gottesdienst: «Ich werde mir keine grosse Mühe geben einen grossen Unterschied zur Eucharistiefeier zu konstruieren.» Pius Troxler bestätigt, dass er «in der Liturgischen Kommission von sehr Fragwürdigem hört, was liturgische Feiern anbelangt». Selbst wenn der Unterschied der konkreten Gemeinde vielleicht egal oder nicht bewusst sein mag, Verantwortung für eine Gemeinde heisst auch, ihr nicht etwas vorzumachen, das nicht stattfindet.
Wort Gottes
Lange wurde der Fokus auf die Eucharistiefeier gelegt, ein reiner Wortgottesdienst galt als weniger wert. Eine Haltung, die zweierlei verkennt: Den eigenen Wert des Wortes Gottes und den Wert der versammelten Gemeinde. Hier findet allerdings seit Jahren ein Umdenken statt. Neben dem «Tisch des Brotes» wird dem «Tisch des Wortes» zunehmend Raum gegeben, seine Wichtigkeit betont. Das zeigt sich in Publikationen, die ein Anliegen der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanums aufnehmen, «eigene Wortgottesdienste» zu fördern. 1997 gab es eine Schweizer Publikation «Die Wortgottesfeier»; mittlerweile gibt es eine Neuauflage dieses liturgischen Handbuches. Das Interesse an dem Feierbuch ist gross. Im Geleitwort heisst es: «Das neue Buch setzt den Akzent noch stärker als bisher darauf, das Wort Gottes nicht nur zu hören, sondern wahrhaft zu feiern, und es so zum tragenden Fundament jeder Wort-Gottes-Feier zu machen. Sie wird deshalb ohne Kommunion begangen.» Das Hören des Schriftwortes, eingebunden in einen liturgischen Rahmen, kann und soll die Gläubigen berühren, verwandeln und in Gottes liebende Zuwendung hineinnehmen. Eine festliche Wort-Gottes-Feier ohne Kommunion kann mehr bewirken als eine lieblos gefeierte Eucharistiefeier. So viel man über die rechte Form diskutieren kann, bedenklich ist etwas anderes. Pius Troxler formuliert es so: «Das Bewusstsein ‹Wir Christen feiern am Tag des Herrn miteinander Gottesdienst, hören auf sein Wort und geben Antwort› verschwindet. Viele gehen nur noch bei bestimmten Anlässen in die Kirche. Die Gottesdienst-Gemeinden ‹liegen im Sterben›, nicht (nur) wegen Priester- und Seelsorgerinnen-Mangel.»