Der Histo­ri­ker Mar­kus Ries zur Zukunft der Kirche

  • Aktu­ell steckt die katho­li­sche Kir­che jedoch in einer der gröss­ten Kri­sen ihrer Geschich­te. Es stellt sich somit bren­nen­der denn je die Fra­ge, was sich ändern muss, damit sie als Insti­tu­ti­on bestehen kann.
  • Mar­kus Ries, Pro­fes­sor für Kir­chen­ge­schich­te an der Uni­ver­si­tät Luzern, gibt Ein­blicke in die­se Fra­ge­stel­lun­gen und sagt: «Die Kir­che muss nicht ange­passt sein, aber sie muss sich auf den jewei­li­gen sozia­len Kon­text einlassen».
 Herr Ries: Die katho­li­sche Kir­che ist eine sehr alte reli­giö­se Gemein­schaft. Was hat dazu geführt, dass sie so lan­ge Bestand hat? Mar­kus Ries: Die Kir­che als end­zeit­lich aus­ge­rich­te­te Glau­bens- und Hand­lungs­ge­mein­schaft in der Nach­fol­ge Jesu. Tei­le die­ser Kir­che hat­ten immer wie­der die Fähig­keit, sich auf unter­schied­li­che Kon­tex­te ein­zu­las­sen. Der Über­gang vom Mit­tel­al­ter zur Neu­zeit zum Bei­spiel stell­te in gesell­schaft­li­cher und sozia­ler Hin­sicht einen enor­men Struk­tur­wan­del dar. Tei­le der Kir­che ver­stan­den es, sich davon berüh­ren zu las­sen, die­sen Wan­del sel­ber zu gestal­ten und zu beein­flus­sen. Das ver­lief in den ein­zel­nen Epo­chen ganz unter­schied­lich. Dabei kam die Kir­che nicht immer gut weg. Der Auf­bau der Kolo­ni­al­herr­schaf­ten wäre wahr­schein­lich unter ande­ren Vor­zei­chen als den christ­li­chen anders ver­lau­fen.Wie­viel Sta­bi­li­tät braucht ein sol­ches sozia­les Gebil­de wie die Kir­che und wie viel Anpas­sungs­fä­hig­keit? Ihrem Selbst­ver­ständ­nis nach ist die Kir­che pro­phe­tisch, sie hat ihre Beru­fung von Chri­stus und soll nicht ange­passt sein. Es geht eher dar­um, dass sie sich auf den jewei­li­gen sozia­len Kon­text ein­lässt. Dies ist in einem hohen Mass gefragt. Sta­bi­li­tät hin­ge­gen ist ideell gefor­dert, in Rück­bin­dung an die Beru­fung, Salz der Erde zu sein, und dies in Vor­weg­nah­me der end­zeit­li­chen Sen­dung prä­sent zu machen. Die­ser Ver­pflich­tung muss die Kir­che treu blei­ben. In Bezug auf den Rest hat sie sich dia­lo­gisch mit der Gesell­schaft aus­ein­an­der­zu­set­zen; anders geht es nicht.Das betrifft aber vie­le Berei­che… Ja. Und die­se Aus­ein­an­der­set­zung soll immer mit dem Anspruch gesche­hen, für die Gesell­schaft etwas zu bewir­ken – nicht etwa: ande­re zu beleh­ren oder zu beherr­schen.Papst Bene­dikt XVI. unter­schied im Blick auf des Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil die «Her­me­neu­tik der Dis­kon­ti­nui­tät und des Bru­ches» von der «Her­me­neu­tik der Reform» (Ver­laut­ba­run­gen des Apo­sto­li­schen Stuhls 172). Ist die­se Unter­schei­dung gerecht­fer­tigt? Der Papst woll­te her­vor­he­ben, dass jene Neue­run­gen legi­tim sind, die aus dem Bestehen­den her­aus­ge­wach­sen sind und sich als orga­ni­sche Wei­ter­ent­wick­lun­gen dar­stel­len las­sen. Alles Revo­lu­tio­nä­re hin­ge­gen wäre ille­gi­tim. Damit hat er aller­dings sehr stark zugun­sten sei­ner eige­nen Idea­le hin­sicht­lich Lit­ur­gie und Kir­chen­ord­nung gespro­chen; denn für sie fand er auf die­se Wei­se eine soli­de Begrün­dung.Aber die erwähn­ten orga­ni­schen Ent­wick­lun­gen gehen doch meist auf Brü­che zurück, auf Revolutionäres. In einer wei­te­ren Sicht wird deut­lich, dass auch orga­ni­sche Ent­wick­lun­gen Brü­che auf­wei­sen. Gera­de im Zusam­men­hang mit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil ist das offen­sicht­lich, was etwa im neu gewon­nen Ver­hält­nis der Kir­che zu den nicht­christ­li­chen Reli­gio­nen sicht­bar wird. Wenn man die Posi­tio­nen von 1930 und 1980 mit­ein­an­der ver­gleicht, ist das wie schwarz und weiss. Des­halb soll­te man mei­nes Erach­tens nicht ein­fach gering schät­zen, was auf den ersten Blick aus­sieht wie ein revo­lu­tio­nä­rer Bruch.Wel­che Ent­wick­lun­gen wür­den Ihrer Ansicht nach zu einem unver­ant­wort­ba­ren Bruch füh­ren? Unver­ant­wort­lich wäre ein Ver­rat an der eige­nen Sen­dung und der eige­nen Beru­fung. Die Prü­fung muss sich auf den Sinn einer Sache rich­ten, nicht auf die vor­der­grün­di­ge Aus­ge­stal­tung. Ein Bei­spiel: Um einen ein­fa­chen Lebens­stil zu prak­ti­zie­ren, ver­wen­de­te man im Mit­tel­al­ter in eini­gen Bene­dik­ti­ner­klö­stern Zinn­ge­schirr – Por­zel­lan war ein Luxus­gut. Im Lau­fe der Jahr­hun­der­te hat sich die Situa­ti­on ver­än­dert; inzwi­schen gibt es Por­zel­lan als bil­li­ge Mas­sen­wa­re. Der glei­che Zinn­tel­ler, der einst Zei­chen der Beschei­den­heit war, ist dadurch zum Attri­but von Fünf­stern­ho­tels gewor­den. Wer ihn immer noch ver­wen­det, han­delt damit der Bedeu­tung nach ganz anders als im Mit­tel­al­ter, obwohl sie oder er noch das glei­che Mate­ri­al benutzt. So kann es sein, dass ein- und die­sel­be Hand­lungs­wei­se sich durch Ände­rung der Umwelt­be­din­gun­gen im Lau­fe der Zeit in ihr Gegen­teil ver­kehrt.Was begün­stigt eine Reform in der Kir­che? Authen­ti­sche Reform kommt in unse­rer heu­ti­gen Sicht zustan­de, wenn sie das Ergeb­nis eines fort­dau­ern­den Aus­hand­lungs­pro­zes­ses ist. Jür­gen Haber­mas spricht vom «kom­mu­ni­ka­ti­ven Han­deln». Die Ver­wirk­li­chung des­sen, wofür die Kir­che von Chri­stus beru­fen ist, muss immer wie­der am Kon­text gemes­sen wer­den. Um dem Ursprung treu zu sein, müs­sen wir uns der Ver­än­de­rung stel­len und auf die Debat­te ein­las­sen.An wel­chem Punkt steht die katho­li­sche Kir­che aus Ihrer Sicht heu­te? Gibt es einen Reform­stau? Was steht an? Die Kir­che macht schwe­re Kri­sen durch, ohne jede Fra­ge. Das Ver­dun­sten der kirch­li­chen Pra­xis, die abneh­men­de Betei­li­gung der Gläu­bi­gen, der Man­gel an Beru­fun­gen für den kirch­li­chen Dienst, die Ver­stän­di­gungs­schwie­rig­kei­ten in der Gesell­schaft und vor allem auch die Aus­ein­an­der­set­zung mit den Miss­brauchs­ver­bre­chen ver­lan­gen ent­schie­de­ne Refor­men. In den zuge­hö­ri­gen Aus­hand­lungs­pro­zes­sen müs­sen wir die Takt­ra­te um eini­ge Stu­fen erhö­hen.Die Kir­che hat heu­te einen schlech­ten Ruf. Trau­rig, wenn man bedenkt, dass es Zei­ten gab, in denen die Kir­che der Welt vor­aus war und die Gesell­schaft an ihr Mass neh­men konnte. Auf die­ses Ide­al kön­nen wir uns aus­rich­ten, es hät­te auch eine Wir­kung nach aus­sen. «Schaut doch, wie die Christ­gläu­bi­gen mit­ein­an­der umge­hen und wie sie zusam­men­hal­ten», sol­len in Nord­afri­ka die unge­tauf­ten Leu­te einst zuein­an­der gesagt haben. So jeden­falls berich­te­te es der christ­li­che Schrift­stel­ler Ter­tul­li­an im drit­ten Jahr­hun­dert. Ein Muster für die Zukunft!
Andreas C. Müller
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